Autorin Annette Pehnt "Mobbing ist psychologische Kriegsführung"
SPIEGEL ONLINE: Frau Pehnt, Sie haben mit "Mobbing" einen Roman über Schikane am Arbeitsplatz geschrieben, wäre es nicht naheliegender gewesen, ein Sachbuch darüber zu schreiben?
Pehnt: Ein Sachbuch würde das Phänomen analysieren und Ratschläge geben, wie man das Problem handhaben kann. Ich wollte etwas viel Diffuseres beschreiben, nämlich wie Mobbing eine Persönlichkeit demontiert. Wie sich Menschen aus ihrer Selbstdefinition herauskatapultiert sehen, das hat mich interessiert.
SPIEGEL ONLINE: Wie kamen Sie auf das Thema?
Pehnt: In diesem Fall steht eine eigene Erfahrung dahinter. Mein Mann hat das erlebt, deswegen war das Material schon da.
SPIEGEL ONLINE: Ihre exakt beobachtende, lakonische Sprache ist sehr nahe an der Dokumentation, trotzdem handelt es sich um einen fiktionalen Text. Wo genau liegt der Unterschied?
Pehnt: Es gibt tatsächlich einige protokollarische Szenen, dennoch verdichte ich das Thema literarisch. Ich wollte erreichen, dass der Leser die Erfahrung des Mobbings beim Lesen ebenfalls macht. Dass er die Situation nicht mehr einschätzen kann, dass seine Urteilskraft gelähmt ist, eben alles, was man beim Mobbing erlebt. Außerdem verwende ich bewusst einzelne Bilder, die etwas bündeln können.
SPIEGEL ONLINE: Stichwort Cappuccino-Maschine, um die sich sowohl zu Hause als auch im Büro alle scharen
Pehnt: Das ist so wie das Lagerfeuer früher, der Ort, an dem sich alle versammeln, und an dem sich die Gruppe definiert. Dort tauscht man die Neuigkeiten aus, und die, die nicht am Feuer sein dürfen, sind von der Kommunikation abgeschnitten. Das passiert meiner Figur. Außerdem ist so eine Cappuccino-Maschine auch ein Statussymbol, ein Insignium der abgesicherten bürgerlichen Existenz.
SPIEGEL ONLINE: Der Schaum, den diese Maschinen produzieren, hat was Unechtes.
Pehnt: Absolut. Das sind leere Rituale, die im Grunde betrügerisch sind. Denn der, der noch glaubt dazuzugehören, ist längst nicht mehr Mitglied der Gruppe.
SPIEGEL ONLINE: Sie beschreiben die verheerenden Auswirkungen des Mobbings auf Psyche und Körper. Warum kündigt der gemobbte Ehemann Jo nicht einfach?
Pehnt: Man glaubt in so einer Situation lange, man könne diesen Kampf für die Gerechtigkeit durchhalten. Die Fronten sind ja nicht klar. Der Gemobbte denkt, er kann sich mit seinen Kollegen zusammentun, irgendwann verliert er die Relation, er kommt gar nicht mehr darauf, dass er auch einfach gehen könnte. Dazu kommt ganz pragmatisch das Materielle: Vom Einkommen des Mannes leben vier Menschen.
SPIEGEL ONLINE: Ist eine geregelte Arbeit wichtiger als alles andere?
Pehnt: Über die Arbeit definieren wir uns heutzutage. Man kann dabei gar nicht trennen, ob es die inhaltliche Arbeit ist oder die Position, die man in der Öffentlichkeit inne hat. Wenn Sie keine Arbeit mehr hätten, was bliebe Ihnen dann?
SPIEGEL ONLINE: Sie verwenden auffallend oft Kriegsmetaphern. Ist der Alltag des bürgerlichen Lebens Krieg?
Pehnt: Die Ich-Erzählerin wehrt sich gegen diesen Begriff. Aber wenn Krieg eine fortgeführte, permanente Verletzung bedeutet, die bewusst strategisch eingesetzt wird, dann ist das psychologische Kriegsführung. Sie hinterlässt ihre Spuren in der Familie.
SPIEGEL ONLINE: An welchem Punkt verliert Ihre Erzählerin den Respekt? Belügt sie sich nicht selbst, wenn sie vorgibt, zu ihrem Mann zu stehen?
Pehnt: Sie beobachtet sich dabei, wie sie dabei ist, den Respekt zu verlieren. Und befürchtet, dass sie damit ihren Partner demontiert. Denn ohne Respekt kann man nicht mehr zusammen sein. Gleichzeitig versucht sie ihn zu stärken und an ihn zu glauben. Das ist das Fatale daran, dass man nicht mehr weiß, wer der andere ist. Der andere verändert sich, hat eine andere Körperlichkeit, eine andere Ausdrucksweise. Alles bricht zusammen.
SPIEGEL ONLINE: Zerbricht da auch das Wunschbild, dass sich die Frau von ihrem Mann aufgebaut hat?
Pehnt: Auch die Ich-Erzählerin ist nicht stabil. Sie ist hin- und hergeworfen zwischen absoluter Solidarität und totalem Zweifel. Außerdem verklärt sie den Zustand, wie es vorher war. Dass aber früher vielleicht auch nicht alles heil war, wird nur kurz angesprochen.
SPIEGEL ONLINE: Eine ursprünglich emanzipierte Frau wird durch die Geburt ihrer Kinder in alte Rollenmuster zurückgedrängt. Sie erwartet von ihrem Mann, dass er funktioniert. Ist das Buch auch eine Kritik an der doch nicht vollzogen Emanzipation?
Pehnt: Mir ging es darum, zu beschreiben, wie sich dieses Familienmodell auflöst. Insofern übt das Buch schon Kritik an der ganzen Konstruktion der bürgerlichen Kernfamilie. Der Mann ist nicht mehr der Geldverdiener und sitzt zu Hause, doch er kann sich in seine neue Rolle nicht hineinfinden. Und die Frau kann seine frühere Aufgabe auch nicht übernehmen. Diese Familie hat diese Flexibilität offensichtlich nicht.
SPIEGEL ONLINE: Das bürgerliche Milieu wirkt bei Ihnen wie ein Gefängnis, warum sehen Ihre immerhin akademisch gebildeten Figuren keine Alternativen?
Pehnt: Vielleicht, weil sie das Denken der Alternativen noch nicht geübt haben. Weil es bisher noch keine existenzielle Veranlassung dazu gab. Solange das trägt, ist es ja auch ein Fundament, auf dem man sein Haus bauen kann, buchstäblich. Erst die Krise bringt das große Fragezeichen da rein.
SPIEGEL ONLINE: Ist die einzige Lösung Schweigen?
Pehnt: Schweigen wäre vielleicht sogar ganz heilsam. Aber es herrscht ja nicht einmal Schweigen. Die beiden bewegen sich antizyklisch. Wenn der eine unten ist, ist der andere oben. Das Modell, das man gemeinhin von der Familie hat, dass man sich gegenseitig hilft und sich stützt, das ist viel zu einfach gestrickt.
SPIEGEL ONLINE: Sehen Sie sich als Schriftstellerin außerhalb des bürgerlichen Milieus oder als Teil davon?
Pehnt: Auch ich will meine Existenz abgesichert wissen. Wenn sie in Frage gestellt wird, gerate auch ich in Panik. Es ist ein Irrglaube anzunehmen, als Schriftsteller würde man wie ein Bohemien frei durch die Welt ziehen.
Das Interview führte Jenny Hoch
Annette Pehnt: "Mobbing", Piper Verlag, 160 Seiten, 16,90 Euro