Islam-Roman "Himmelssucher" Das Schwein schmeckt, der Koran brennt

Ein junger Muslim wird verführt - von Schweinswurst, von einer Frau, vom Islam. In seinem Roman "Himmelssucher" zeigt Ayad Akhtar viele Widersprüche in der islamischen Welt auf. Für den Autor ist das auch ein Risiko: Selbst eine satirisch gemeinte Koranverbrennung dürfte schlecht ankommen.
Autor Ayad Akhtar: In Milwaukee als Sohn pakistanischer Einwanderer aufgewachsen

Autor Ayad Akhtar: In Milwaukee als Sohn pakistanischer Einwanderer aufgewachsen

Foto: Michael Loccisano/ Getty Images

So mancher Muslim in der westlichen Welt stellt sich irgendwann die Frage: Soll ich Schweinefleisch probieren? Wenn ja, droht dann eine Strafe Gottes? Lässt er den Himmel einstürzen? Oder schickt er einen Blitz auf mich los?

So ergeht es auch Hayat Shah, der in den Achtzigern in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin studiert. Bei einem Basketballspiel kauft Hayat für sich und seine Freunde Bratwürste. Für sich eine Rindswurst. Aber dann landet versehentlich Schweinefleisch in seinen Händen: "'Ich hob die Wurst an den Mund, schloss die Augen, biss ab und kaute. Mein Herz raste, während sich mein Mund mit einem süßen, rauchigen, leicht beißenden Geschmack füllte, der mir absolut bemerkenswert vorkam - was vielleicht auch daran lag, dass er mir so lange verboten gewesen war.' Ein Blick hinauf zur Decke der Sporthalle. 'Sie war noch da. Nichts deutete darauf hin, dass sie jeden Moment einstürzen würde.'"

Ein Schlüsselerlebnis, das die Lebenssituation von Menschen wie Hayat - die zweite Generation von pakistanischen Einwanderern in den USA - treffend beschreibt. Ständig von inneren Konflikten getrieben, müssen sie sich entscheiden zwischen westlicher und östlicher Welt, zwischen einem religiösen und einem säkularen Leben. Was die einen als religiöse Rebellion verstehen, ist für andere völlig selbstverständliche Anpassung. Vor allem für Jugendliche ein schwieriger Balanceakt.

Schöne Jugendfreundin

Der Schauspieler und Autor Ayad Akhtar, 41, selbst in Milwaukee als Sohn pakistanischer Einwanderer aufgewachsen, hat vieles aus seinem Leben in seinem Debütroman "Himmelssucher" verarbeitet. Als Kind habe er sich oft "unsichtbar" gefühlt, als Mitglied einer Minderheit, die niemand wirklich verstand, sagt er.

Der Roman über das Erwachsenwerden, der in der amerikanischen Originalfassung "American Dervish" heißt, passt in eine Zeit, in der die Welt darüber diskutiert, ob man einen Propheten beleidigen darf oder nicht, ob die Meinungsfreiheit oder die Achtung religiöser Gefühle wichtiger sind. "Himmelssucher" wirkt dem Irrglauben entgegen, Muslime seien sich in diesen Fragen einig.

Die Handlung dreht sich um die turbulente Jugend von Hayat. Seine Eltern behelligen ihn kaum mit Religion. Sein Vater ist Arzt. Er pflegt seine Liebschaften, trinkt zu viel Alkohol und betrachtet Religion als etwas "für Dummköpfe". Sein Sohn weiß das. Hayats Mutter, Psychologin mit abgebrochenem Studium, ist nicht so rigoros in ihrer Ablehnung gegenüber dem Islam, sondern insgeheim sogar sehr gläubig, aber "das Leben mit Vater (…) hatte sie gelehrt, ihre religiösen Regungen für sich zu behalten".

Heikler Stoff

Ausgerechnet zu dieser nicht gerade harmonischen Familie stößt, aus Pakistan kommend, eine Jugendfreundin der Mutter: Mina. Gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn ist sie auf der Flucht vor ihrem Ex-Mann. Hayat ist begeistert von der schönen Frau. Mina, Liebhaberin der modernen amerikanischen Literatur und liberale Muslimin, beginnt, Hayat den Koran und den Islam näher zu bringen.

Der Vater beäugt die Hinwendung seines Sohnes zur Religion kritisch. Hayat will den Koran auswendig lernen, wie es sich für einen guten Muslim gehört. Aber er tut es auf Englisch und wird auf einer Hochzeitsfeier, wo er ein paar Suren vorträgt, ausgelacht - von einem Jungen, der den Koran auf Arabisch auswendig kann, aber nichts davon hält: "Das ganze Zeug auswendig zu lernen. Als würde man sich drei Jahre lang jeden Tag Rizinusöl reinschütten."

So entstehen mehrere Konflikte: Mina verliebt sich in einen jüdischen Kollegen von Hayats Vater, und Hayat verhindert die Beziehung durch einen grausamen Verrat. Innerhalb der pakistanischen Gemeinde in Milwaukee kommt es zu Zerwürfnissen. Als dem Vater die Religiosität seines Sohnes zu viel wird, verbietet er ihm die Beschäftigung mit dem Islam - und verbrennt den Koran des Jungen.

Heikler Stoff ist das. Schon weniger kritische Texte wurden als blasphemisch abgeurteilt und brachten ihren Verfassern große Schwierigkeiten. Doch Ayad Akhtars Roman ist keineswegs antiislamisch, sondern - zumindest in Teilen - Satire. Ohne einfache Antworten zu geben, stellt er die Fragen, die sich Hunderttausende von Muslimen in der westlichen Welt stellen. Und vielleicht auch in der östlichen.

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