Bachmann-Preis-Bühnenbildner Maya "Die Jury darf ja nicht einschlafen"

Leuten beim Lesen zuschauen - öder geht's im TV nicht. Quatsch, sagt Heinz Peter Maya, der die Kulissen für den Klagenfurter Literaturwettbewerb baut. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview spricht der Bühnenbildner über blutige Autoren, eitle Juroren - und die Lust daran, Gras beim Wachsen zuzusehen.

SPIEGEL ONLINE: Herr Maya, am Sonntag wird in Klagenfurt zum 33. Mal der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Wie weit sind Sie mit den Vorbereitungen?

H.P. Maya: Letzte Woche haben wir das Gerüst aufgebaut, in diesen Tagen werden wir fertig - im Prinzip alles Routine. Aber seit letztem Jahr ist alles etwas anders, wir haben umgebaut.

SPIEGEL ONLINE: Wieso das?

Maya: Der Saal hat einfach eine schwierige Form. Die Bühne ist nun nicht mehr auf der schmalen, sondern auf der langen Seite. Die Kameras haben endlich Platz für Fahrten, der Raum wirkt größer. Und wer liest, sitzt nicht mehr zwischen der Jury, sondern weiter weg - und die Kamera kann drumherum fahren.

SPIEGEL ONLINE: So dynamisch? Ingeborg-Bachmann-Preis heißt doch: Drei Tage lang Leuten beim Rumsitzen, Vorlesen, Zuhören zuschauen - die wohl statischste Sendung der Welt.

Maya: Na ja, viel Bewegung geht natürlich nicht, es darf nicht zu hektisch werden. Die Zuschauer sollen sich schließlich konzentrieren können, wenn gelesen wird. Das ist das gleiche Prinzip wie bei den Nachrichten. Es ist ja kein Theaterstück. Das Ambiente darf nicht stören.

SPIEGEL ONLINE: Woher wissen Sie denn, wie was wirkt?

Maya: Erfahrung. Ich denke beim Entwerfen das Kameraauge schon mit. Früher habe ich sogar mit meiner Videokamera immer das Modell abgefilmt, um zu sehen, wie es ausschaut.

SPIEGEL ONLINE: Sie bauen jede Kulisse als Modell?

Maya: Wenn Sie in mein Atelier kommen, stehen die da alle herum, sind schon ganz verstaubt. Für die Pressekonferenzen vorher muss ich immer Modelle basteln, früher habe ich immer extra einen kleinen Koffer mitgegeben. Ein Foto würde es eigentlich auch tun.

SPIEGEL ONLINE: Wie sind Sie überhaupt an diesen Job gekommen?

Maya: Ich habe viele Bühnenbilder fürs Theater gemacht, so ist der damalige Kulturchef des ORF auf mich aufmerksam geworden.

SPIEGEL ONLINE: Und welche Vorgaben hat man Ihnen gemacht?

Maya: Die haben einfach gesagt: Mach mal. Die ganzen Jahre davor war das Bühnenbild immer das Gleiche: ein Buch. Das war das Markenzeichen. Ich habe dann Gras wachsen lassen.

SPIEGEL ONLINE: Wie bitte?

Maya: Ich habe Keilrahmen mit Leinwand bezogen, Gras ausgesät und gut gegossen. Während der Wettbewerbstage ist das Gras dann wie verrückt gewachsen, bei dem Scheinwerferlicht ist das ja kein Wunder. Das war toll!

SPIEGEL ONLINE: Was hat Gras denn mit dem Thema zu tun?

Maya: Man sagt doch, jemand hört Gras wachsen. Ich finde, Schriftsteller können das, sie haben Inspiration.

SPIEGEL ONLINE: Erzählen Sie mal: Wie bildet man Literatur ab?

Maya: Einmal habe ich einen Hintergrund im Stil von verknittertem Papier gestaltet: Autoren zerknüllen ja auch gerne mal ihre Manuskripte und fangen noch mal neu an. Oder der Fleckerlteppich, schließlich sind Geschichten ja auch gewoben. Und manchmal geht es ja auch um Ingeborg Bachmann.

"Verstehen Sie? Wörtersee!"

SPIEGEL ONLINE: Wieso, wie bauen Sie sie ein?

Maya: Meist wenn ein Jubiläum ansteht, wie vor drei Jahren. Zu meinem 20. Jubiläum habe ich eine Wüstenkulisse aufgebaut, wegen Bachmanns Liebe zur Wüste. Oder ihr Satz "Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar". Dieses Zitat habe ich abgebildet, wie es gesprochen aussieht - als Frequenzkurve, die sich über den gesamten Hintergrund zog.

SPIEGEL ONLINE: Kennen Sie die Wettbewerbstexte eigentlich vorher, wie die Jury?

Maya: Nein, das nicht, aber ich nehme hinterher immer alle mit, ich habe die gesammelt. Unsere Texte werden ja inzwischen in andere Sprachen übersetzt. Ich finde sowieso, Klagenfurt muss sich als Literaturstadt verstehen: Ingeborg Bachmann, Robert Musil - wir haben viel zu bieten. Ich sage nur: Klagenfurt am Wörthersee, verstehen Sie, also ohne "h" - am Wörtersee!

SPIEGEL ONLINE: Das klingt, als hätten Sie eine Mission.

Maya: Ja, das habe ich auch in mein Bühnenbild dieses Jahr eingebaut.

SPIEGEL ONLINE: Aha?

Maya: Wassertropfen, die auf Wasser prallen und dann Kreise bilden, die immer größer werden. Der Einfluss des Bachmann-Preises wird größer, verstehen Sie? Aber man sollte das eigentlich nicht so zerreden.

SPIEGEL ONLINE: Wasserkreise - das heißt, die Kulisse ist in diesem Jahr wieder blau. Wird da die Stimmung nicht zu kühl?

Maya: Nicht jedes Blau ist kalt! Ultramarinblau zum Beispiel nicht. Rot ist sehr gefährlich, und Grün dazu geht erst recht nicht. Blau ist vor allem ideal, um Tiefe im Raum zu schaffen.

SPIEGEL ONLINE: Der Saal scheint ein echtes Problem zu sein. Mit welchen Tricks arbeiten Sie noch?

Maya: Reproduktionen von Fotos mache ich unscharf, das sieht dann aus, als wäre es in der Ferne. Und Spiegel setze ich gerne ein, damit man im Fernsehen den Raum nicht einschätzen kann.

SPIEGEL ONLINE: Klingt wie ein Kommentar auf die Selbstbespiegelung des Literaturbetriebs.

Maya: Stimmt. Ich hatte sogar einmal die Idee, den Jurymitgliedern einen Spiegel vor die Gesichter zu montieren. Manche von denen nehmen sich selbst immer so wichtig, dass sie die Lesenden ganz vergessen. Das ist oft lustig.

SPIEGEL ONLINE: Sie sympathisieren wohl mehr mit den Kandidaten.

Maya: Ach, die, die auf Effekthascherei setzen, mag ich auch nicht so. Der eine mit den Rasierklingen ...

SPIEGEL ONLINE: ... Rainald Goetz, der 1983 vorlas, sich mit einer Rasierklinge die Stirn aufschnitt und bluttriefend weitermachte.

Maya: Ja, das hat mir nicht gefallen. Einer wollte nur im Stehen lesen, dann musste ich ihm halt ein Stehpult bauen.

SPIEGEL ONLINE: Schauen Sie sich den Wettbewerb eigentlich an?

Maya: Klar, immer und zwar komplett, ich zittere da mit! Entweder auf einem separaten Monitor oder zu Hause. Bei mir im Atelier stehen drei Fernsehgeräte, oft habe ich dann Gerdi Obersteiner, den Regisseur, am Telefon. Der war von Anfang an dabei, wir verstehen uns mittlerweile blind. Aber ich rede denen natürlich nicht rein.

SPIEGEL ONLINE: Sondern?

Maya: Ich frage vorher: Was wünscht Ihr Euch denn? Wollt Ihr einen bestimmten Boden, irgendwelche Objekte? Die sagen dann höchstens: Kannst Du bitte die Schrift ein bisschen schräger anordnen, damit wir besser schwenken können?

SPIEGEL ONLINE: Mit Ihrem Bühnenbild können Sie die Stimmung im Raum ganz schön beeinflussen. Was steht da im Vordergrund?

Maya: Ich versuche, den Vorlesern einen Schutzwall zu bauen. Sie sollen sich wohlfühlen.

SPIEGEL ONLINE: Wie geht das?

Maya: Keine harten Kontraste, den Rest erledigt die Beleuchtung.

SPIEGEL ONLINE: Die Kulisse soll also die Teilnehmer beruhigen - und wie wird es anregend für die Jury?

Maya: Einmal stellte ich ihnen Bistrotische und Thonet-Stühle hin, eine Kaffeehausatmosphäre für Kaffeehausdiskussionen. Das hat funktioniert.

SPIEGEL ONLINE: Auf Kaffeehausstühlen kann man doch nicht stundenlang sitzen!

Maya: Doch, die sind sehr bequem. Das ist sowieso das wichtigste, die Jurymitglieder dürfen ja nicht einschlafen. Deswegen mache ich die Stühle auch nicht selbst, sie werden gekauft oder geliehen.

SPIEGEL ONLINE: Und die Tische?

Maya: Normalerweise entwerfe ich sie immer neu - für die Wüstenkulisse waren es Transportkisten wie bei einer Safari. Mittlerweile steht in fast jedem Büro in Klagenfurt eines meiner Möbelstücke. Aber heuer nehmen wir die Tische vom letzten Mal, wir müssen ein bisschen sparen.

SPIEGEL ONLINE: Hat sich schon mal jemand beschwert?

Maya: Bislang nicht. Aber wir sitzen ja danach oft noch alle zusammen, dann sagen die Jurymitglieder schon mal: Die Sessel sind ja dieses Jahr sehr bequem, H.P. - alle nennen mich H.P.. Und die Damen fragen: H.P., was soll ich morgen anziehen, sieht das oder das Kleid besser aus vor dem Hintergrund? Aber einmal wäre ich den Job trotzdem fast los geworden.

SPIEGEL ONLINE: Wie das?

Maya: Man dachte damals wohl, es müsste etwas Neues her und schrieb einen Wettbewerb aus. Da habe ich dann den ersten Platz gemacht - seither gab es nie wieder Diskussionen.

Das Interview führte Anne Haeming

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