Benefiz-Roman John Sinclair und die Kölner Literatur-Zombies
Köln ist eine unheimliche Stadt. Über dem Rhein thront dunkel der Dom, in der Severinstraße droht seit einiger Zeit ein Kirchturm umzustürzen und im nicht weit entfernten MediaPark geschehen kurz hintereinander drei Morde. Die Körper der Toten sind so entstellt, dass ihre Identität nicht geklärt werden kann, die lokale Boulevardzeitung "Express" titelt: "Die Bestie vom MediaPark noch immer nicht gefasst!" Und während die Kinobesucher im nahe gelegenen "Cinedom" Schlange stehen, tauchen plötzlich zwei Gestalten auf, die stark nach Erde und Fäulnis riechen.
Klarer Fall für den Geisterjäger John Sinclair und seinen Schöpfer Helmut Rellergerd - den erfolgreichsten und zugleich unbekanntesten deutschsprachigen Schriftsteller. Sein Name steht auf kaum einer Bestsellerliste. Aber seine Romane mit Titeln wie "Tigerfrauen greifen an", "Schrei, wenn dich die Schatten fressen" oder "Die Satans-Zwerge von Sylt" haben sich insgesamt mehr als 260 Millionen Mal verkauft. Seit 1973 beschreibt Rellergerd unter dem Pseudonym Jason Dark Woche für Woche die Abenteuer von John Sinclair.
Nur mit einem Heiligen Kreuz und einer Beretta samt geweihten Silberkugeln bewaffnet kämpft Sinclair als Oberinspektor von Scotland Yard gegen das Böse. Er bringt damit Vampire und Hexen zur Strecke und schickt Dämonen dahin zurück, wo sie herkommen: ins Reich der Unterwelt. Sinclair ist mehr als eine Figur der deutschen Unterhaltungsliteratur. Er ist ein global agierender Held wie James Bond oder Superman, der immer dann zum Einsatz kommt, wenn es darum geht, die Welt vor dem Untergang zu retten.
Manchmal, wie im heute erschienenen 1374. Band "Zombies im MediaPark", geht es nebenbei aber auch um ganz profane, alltägliche Dinge - etwa um die Renovierung des Kölner Literaturhauses. Das Heft ist nämlich Teil einer Benefizaktion zwischen dem Bastei-Verlag und dem seit 1999 im MediaPark ansässigen Kölner Literaturhaus. Mit 50 Euro konnten die ersten zehn Spender eine Rolle in dem Roman übernehmen. Es sind kurze Gastauftritte von John-Sinclair-Fans aus Limburg oder Ellbach, die das gleiche Schicksal ereilt wie die meisten Nebenfiguren in Horror-Serien: Sie sterben früh und qualvoll.
Aber nicht nur Personen, auch Firmen und Institutionen leisteten einen Beitrag und wurden dafür im Heft namentlich erwähnt. Im Gegensatz zu den jungen Männern werden sie allerdings von den Zombies verschont. In James-Bond-Filmen gehört Schleichwerbung mittlerweile zum Konzept. Bei John Sinclair dagegen ist Product Placement auf dieses eine Heft beschränkt und dient einem guten Zweck. Das Kölner Literaturhaus ist als das einzige weitgehend privat finanzierte Literaturhaus in Deutschland auf Zuschüsse angewiesen. Deshalb organisiert Programmleiter Thomas Böhm regelmäßig ungewöhnliche Aktionen. Vor vier Jahren veranstaltete er eine Reihe populärer Lesungen und gab die Anthologie "Weltliteratur - Vom Nobelpreis bis zum Comic" heraus; im vergangenen Jahr versteigerte er Utensilien bekannter Schriftsteller im Kunsthaus Lempertz.
Thomas Böhm ist 36 Jahre alt und mit den John-Sinclair-Romanen aufgewachsen. Das erste Heft hat er mit 12 gelesen. "Lupina, die Königin der Werwölfe" weckte in ihm die Beigeisterung für Bücher. Auf einem Fan-Treffen hat er beim Geisterjäger-Rätsel sogar den ersten Preis gewonnen: ein handsigniertes Exemplar von Helmut Rellergerd. Böhm unterscheidet nicht zwischen ernsthafter und trivialer Literatur. Für ihn ist es eine Auszeichnung, in "Zombies im MediaPark" den Schurken zu spielen: Als Anhänger einer Voodoo-Sekte gelingt es ihm, den unter dem Literaturhaus begrabenen Großvater und dessen Jünger wieder zum Leben zu erwecken, damit sie Rache an denjenigen nehmen können, die im MediaPark ihre Ruhe stören.
Auf die Geschichte hatte Böhm keinen Einfluss. Nur als Rellergerd ihn anrief und ihm mitteilte, dass er im Roman seine Kollegin Bettina Fischer umgebracht habe, bat Böhm den Autor, die Story zu ändern, um, wie er sagt, "das Betriebsklima nicht zu stören". Böhm ist auch auf dem Cover abgebildet, eine bleiche, diabolisch grinsende Gestalt, deren Augen milchig leuchten. "Jetzt bin ich unsterblich", sagt Böhm, "als Titelmodel und als Zombie."
Der Literaturhaus-Chef ist als Antagonist von John Sinclair zu einem Helden des Alltags geworden, ebenso wie die Mitarbeiter einer Kölner Bahnhofsbuchhandlung, ein Kleinverleger im Köln-Turm und ein paar Schüler und Studenten. Seit heute sind sie Personen im John-Sinclair-Kosmos.
Der 59-jährige Helmut Rellergerd hat schon öfter real existierende Menschen in seine Geistergeschichten eingebaut, hauptsächlich Freunde, Verwandte und Bekannte. Zum ersten Mal treten sie jedoch mit ihren richtigen Namen in Erscheinung. Und obwohl am Ende einige den Zombies zum Opfer fallen und Rellergerd immer wieder betont, dass es sich bei dem Heft um ein einmaliges Projekt handelt, kann er nicht ausschließen, dass sie eines Tages in Köln als lebende Leichen wieder auftauchen. In der Welt von John Sinclair ist eben alles möglich.
Helmut Rellergerd alias Jason Dark: Geisterjäger John Sinclair Band 1374: "Zombies im Mediapark". Bastei Verlag, 1,50 Euro.