
Jon Klassens Hutgeschichten: Großer Fisch jagt kleinen Fisch
Bilderbuch als Internet-Hit Kleiner Fisch, große Philosophie
Bären oder Fische, die Hüte tragen, sind schwer zu finden. Und doch wurde in Bilderbüchern schon das eine oder andere Exemplar gesichtet. Noch viel schwerer zu finden als Bären oder Fische, die Hüte tragen, sind Bilderbücher, in denen es um Bären oder Fische geht, die Hüte tragen - deren Geschichte aber nicht allein Kinder fesselt, sondern alle Altersgruppen.
Jon Klassen sind zwei derartige Bilderbücher gelungen. Für "Wo ist mein Hut" wurde er gerade mit dem Deutschen Jugendliteratur-Preis ausgezeichnet. Ein Bär tritt auf, gutmütig ist er, wie sich das für Bilderbuchbären gehört, und offenbar auch ein bisschen schwer von Begriff. "Mein Hut ist weg. Ich will ihn zurück", sagt der Bär und macht sich auf den Weg. Er trifft einen Fuchs, einen Frosch, einen Hasen. Erst aber, als er einen Rehbock trifft, kommt ihm die entscheidende Idee.
"Wo ist mein Hut" ist eines jener klassischen Bilderbücher, die mit sparsamer, ausdrucksstarker Illustration eine Geschichte erzählen, bei der Kinder mitdenken und sich freuen können, dass sie schlauer sind als der Bär. Im Internet aber entwickelte sich das Buch zum Erfolg unter Erwachsenen.
Wo ist mein Kopf?
Seiten wie tumblr oder Know Your Meme zeigen eine Vielzahl von Variationen auf das englischsprachige Original - aus dem Bilderbuch ist ein Netzphänomen geworden: ein knopfäugiger Junge möchte seinen Cupcake zurück, ein Monster seine Humanität. Und ein Mangamädchen vermisst gar seinen Kopf. Auch die Zeichner der derart abgewandelten Bildgeschichten behalten die Struktur von Klassens Original bei. Sind die Fragen, die er stellt, doch schwerwiegend genug, um auch Menschen über fünf Jahren zu beschäftigen: Was ist Recht? Was ist Unrecht? Was ist Eigentum, was Diebstahl? Wie weit darf Selbstjustiz gehen? Klassen, Jahrgang 1981, macht daraus Philosophie mit dem Zeichenstift, liebevoll und eindringlich.
Nun erscheint sein nächstes Bilderbuch in deutscher Übersetzung - und es ist noch viel besser. "Das ist nicht mein Hut" erzählt eine ähnliche Geschichte wie sein Vorgänger. Nun aus der Sicht des Diebes: einem kleinen Fisch. Er hat einem großen Fisch die Kopfbedeckung weggenommen, als der schlief. Der Leser folgt dem Monolog des Diebes, einem Musterbeispiel an Selbstrechtfertigung, Selbstberuhigung und Selbsttäuschung in einleuchtender, sympathischer Form - gipfelnd in den Sätzen: "Ich weiß, dass man keine Hüte stehlen soll. Ich weiß, dass der Hut nicht mir gehört. Doch ich behalte ihn. Er ist dem großen Fisch sowieso zu klein. Aber mir passt er ganz genau."
Die Krabbe gibt den entscheidenden Tip
Die ganze Menschheitsgeschichte hindurch sind die kleinen und die großen Untaten so oder ähnlich beschönigt worden. Und die ganze Menschheitsgeschichte hindurch gab es auch immer wieder einen Verräter. In Klassens Geschichte gibt eine Krabbe den entscheidenden Tipp an den großen Fisch. Denn der hat sich ja längst auf die Suche gemacht.
"Das ist nicht mein Hut" hat die Dynamik eines klassischen Gangsterfilms - und nicht nur Kleinkinder werden mit dem kleinen Fisch fiebern, der es zuletzt bis in ein Gestrüpp von Wasserpflanzen geschafft hat, sich in Sicherheit wähnend: "Hier findet mich keiner."
So geht es in diesem großartigen Bilderbuch, wie in seinem Vorgänger, nicht nur um die großen rechtsphilosophischen Fragen - sondern auch um die eine, entscheidende Frage von existentieller Bedeutung: Wer wird überleben? Große Fische sind schließlich stärker als kleine Fische, und der Tod hat noch jeden verschluckt - denken wir Erwachsenen.
Kinder haben da manchmal ihre ganz eigene Ansicht.