Briefschreiber Thomas Bernhard "Holzhacken ist mir lieber als Schreiben"
Der Brief ist irgendwie out, sollte man meinen, seine große Zeit ist vorüber: Wer heute etwas mitzuteilen hat, twittert es in die Welt hinaus, und wenn es wirklich ganz persönlich und privat sein soll, für nur einen Empfänger, dann schreibt er eine SMS oder eine E-Mail.
Man mag das beklagen oder nicht, für die Verlagsprogramme der Zukunft jedenfalls verheißt die Entwicklung nichts Gutes, denn da feiert der Brief zurzeit so etwas wie eine Renaissance, vor allem bei Suhrkamp. Die Briefe, die sich Ingeborg Bachmann und Paul Celan geschrieben haben, hat man dort jüngst zwischen Buchdeckel gepresst und öffentlich gemacht, ebenso die Briefwechsel zwischen Siegfried Kracauer und Theodor W. Adorno sowie zwischen Marion und Wolfgang Koeppen. Eines Tages könnte den Verlagen solches Material ausgehen.
Noch scheinen die Archive aber gut gefüllt, und so veröffentlicht Suhrkamp Ende März ein weiteres Großprojekt: jene etwa 500 Briefe, die sich der legendäre Suhrkamp-Patriarch Siegfried Unseld und der österreichische Eigenbrötler und Weltbeschimpfer Thomas Bernhard zwischen 1961 und 1988 geschrieben haben, angereichert mit wichtigen Aktennotizen.
Seit kurzem bereits erhältlich ist ein Hörbuch, das eine Auswahl der Briefe bietet, vertont von zwei Großschauspielern: den Burgtheater-Mimen Peter Simonischek und Gert Voss, dem Bernhard einst seine Untergangskomödie "Ritter, Dene, Voss" auf den Leib schrieb. Der Briefwechsel wird bei ihnen zu einem Zwei-Personen-Theaterstück: Voss als altväterlich argumentierender Unseld und Simonischek als störrisch stänkernder Bernhard schaffen ein hochemotionales Beziehungsdrama.
Der exzentrische Schriftsteller, der heute Geburtstag gehabt hätte und am Donnerstag vor 20 Jahren starb, verehrte seinen Verleger Unseld: "Wenn Shakespeare der größte Dichter und Minetti der größte Schauspieler ist, dann ist Unseld der größte Verleger", sagte er einmal.
Wie hart sich Unseld diese Achtung erarbeitet hat, das zeigt der Briefwechsel: Mit einer Engelsgeduld, oft schlau taktierend und betont gönnerhaft, parierte er jede Laune seines Autors - und es waren nicht wenige: Wann ein Buch erschien und mit welchem Titel und für wie viel Honorar, das alles wollte die Diva Bernhard dem Verlag diktieren. "Es ist ja immer dasselbe", schrieb Unseld einmal entnervt. "Er ist rücksichtslos, erpresserisch, und erhebt das auch zu seiner künstlerischen Ideologie."
Und ein anderes Mal: "Er ist und bleibt ein merkwürdiger Mann. Sicher ein Genie, aber auch mit den Gefahren eines Genies geschlagen - Maßlosigkeit, Irrealität - und bereit, in materiellen Dingen immer seinen Partner zu erpressen. Andererseits war er liebenswürdig, meiner Frau gegenüber chevaleresk und er fühlte sich ungeheuer wohl in der Umgebung der Klettenbergstraße."
Unseld, dieser Schluss liegt nahe, schätzte Bernhard nicht nur als Autor, er mochte ihn als Mensch - und tat auch deshalb alles, um ihn an den Verlag zu binden: "Der Kalender des Autors ist mir wichtiger als der eigene." Hauptstreitpunkt zwischen beiden war das Geld: Immer wieder ging es um Tantiemen, Vorschüsse, Darlehen, Steuerschulden und Hypotheken auf Bernhards Haus. "Er ist stark und starrsinnig, macht das, was er will", schrieb Unseld. "Nur Geld, nur von Geld lässt er sich bewegen."
Gute Geschäfte zu machen, das gab Bernhard kokett zu, sei für ihn "wenigstens so schön ... wie Schreiben". Als sich sein Roman "Verstörung" 1968 zum Ladenhüter entwickelte, stichelte er gegen Unseld: "Dass ein so großer und so guter Verlag wie der Ihre aber nicht mehr als 1800 Exemplare verkaufen hat können, ist so absurd, dass das kein Mensch glaubt, wenn ich das sagte. Denn selbst wenn ich ganz allein mit meinem Rucksack durchs Land ginge, verkaufte ich in vier Wochen sicher mehr." Unseld focht das nicht an, denn er wusste: "Vollkommen ist niemand, nur Thomas Bernhard - wenn er schimpft."
Er hatte seinen Autor wiederholt gewarnt, der Titel "Verstörung" schrecke all jene Käufer ab, die ein Buch verschenken wollten: "Wir alle wussten das, aber Herr Thomas Bernhard wies die Argumente seines Verlegers zurück, er wusste es besser, und nun haben wir die Quittung!"
Trotz des ökonomischen Misserfolgs forderte Bernhard 3000 Mark Honorar für seine folgende Erzählung "Ungenach". Als Unseld nur 2000 Mark zahlen wollte, drohte er subtil: "Ich brauche etwas zum Leben, also: Wenn ich nichts habe, muss ich, wie jeder andere Mensch auch, arbeiten gehen. Dagegen habe ich nichts, im Gegenteil: Holzhacken oder Ähnliches ist mir die längste Zeit lieber als Schreiben, aber dann kann ich auch nicht daran denken, den Roman, an dem ich arbeite, weiterzubringen und so fort." Unseld beugte sich.
Der Briefwechsel ist ein spannendes Stück deutscher Verlags- und Literaturgeschichte, das obendrein und ganz nebenbei einen Kommentar bietet zur aktuellen Umzugsdiskussion des Ur-Frankfurter Verlages Suhrkamp.
Er kommt aus berufenem Mund, von Thomas Bernhard: "Warum höre ich nichts aus Frankfurt, der heiligen Stadt?", schrieb er 1975 an Unseld und fuhr fort: "Für mich sind alle anderen deutschen Städte, Hamburg ausgenommen, ganz und gar unerträglich, Frankfurt ist als einzige eine permanente herrliche hässliche schöne Schöpfung, die anderen sind tote unerträgliche kopflose schamlose gemeine Museumsstücke, lauter Menschengerümpel, in welchem die Kunststücke entstehen unter lauter Fußtritten." Widerspruch zwecklos.
Hörbuch "Thomas Bernhard und Siegfried Unseld - Der Briefwechsel ": Lesung ausgewählter Briefe. Der Hörverlag ; 3CDs, etwa 240 Minuten Laufzeit; 19,95 Euro.