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Merkels Erfolgsrezept: Die Kanzlerin und wir

Foto: Marijan Murat

Erfolgsmodell der Kanzlerin Warum Deutschland Merkel wählt

Zauder-Künstlerin, Mutter Blamage, Patin? Die Kritik an der Kanzlerin ist oft harsch formuliert - der Beliebtheit von Angela Merkel tut das keinen Abbruch. Ein neues Buch versucht das Geheimnis ihres Erfolgs zu ergründen und kommt zu ein paar überraschenden Einsichten.
Von Oskar Piegsa

Über einige ihrer Kollegen auf dem internationalen politischen Parkett könnte man problemlos Romane schreiben, man denke lediglich an Berlusconi, Bush, Putin. Aber über die Kanzlerin? Angela Merkel scheint als Protagonistin alles zu fehlen, was dafür nötig wäre: Ecken, Kanten, Abgründe.

Nicht mal Finsteres aus ihrer DDR-Vergangenheit konnten die Buchautoren bislang ausgraben, und das lag nicht an einem Mangel an Versuchen. Viele Bücher sind in den vergangenen Monaten über die erste Frau an der deutschen Regierungsspitze geschrieben worden - gerne im Gestus der Entlarvung. Das deuten schon die Buchtitel an: Als "Phänomen " wird Merkel da bezeichnet, als "Patin ", "Zauder-Künstlerin " und "Mutter Blamage ".

Offenbar ist Angela Merkel erklärungsbedürftig. Und einen neuen Versuch dazu unternimmt Journalist Ralph Bollmann, der vor allem für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" schreibt und sich bereits als Kenner der deutschen Provinz  und Freund der Bürokratie  hervorgetan hat. In seinem neuen Sachbuch "Die Deutsche - Angela Merkel und wir" wirft er einen nüchternen und systematischen Blick auf die Kanzlerin.

Erklärungsbedürftig sind auch wir

Bollmann zeichnet darin Merkels berüchtigte machtpolitische Kurswechsel nach: Erst inszenierte sie sich als Klimakanzlerin, dann blockierte sie die EU-Abgasregelung. Erst war sie für Atomkraft, dann dagegen, erst suchte sie den Schulterschluss mit George W. Bush vor dem Irak-Krieg, dann stand sie Barack Obama in Libyen nicht zur Seite, erst wollte sie Griechenland nicht helfen, dann doch.

Natürlich führt eine veränderte Faktenlage zu neuen Schlussfolgerungen. Selbst eine erklärte Klimakanzlerin kann in einer Wirtschaftskrise das Wohl der Autoindustrie über den Schutz der Umwelt stellen. Dennoch ist es bemerkenswert, dass Merkel nicht das Stigma der Wankelmütigen anhaftet, sondern es ihr laut Bollmann gelungen ist, "zur beliebtesten Regierungschefin seit Gründung der Bundesrepublik aufzusteigen, vor allem was die Zustimmungsraten jenseits der Parteianhängerschaft betrifft." Wenn Angela Merkel erklärungsbedürftig ist, sind wir es also auch, ihre Wähler und Bürger.

Überraschende Einsichten

In seinem Versuch, Merkels Popularität zu verstehen, verwendet Ralph Bollmann viele der genretypischen Elemente des deutschen Politikjournalismus: Die anonymen Quellen, Zitate von Kollegen aus dem Ausland und dem eigenen Haus und die vielen Beobachtungen aus der Halbdistanz, in denen es schon als intimer Moment erscheint, wenn unter dem Hosenbein der Kanzlerin zwei Zentimeter nacktes Bein aufblitzen (Merkel, berichtet Bollmann, zog sofort ihre Socken hoch).

Bemerkenswert ist Bollmanns Buch aber, weil der Autor lieber Sozialwissenschaftler zitiert als biografische Schlüsselfiguren. Er psychologisiert kaum und interessiert sich generell stärker für die Politikerin als für die Person Angela Merkel. Nicht "Kindheit", "Karriere" und "Kanzlerschaft" heißen seine Kapitel, sondern "Identitäten", "Staatsräson" und "Halbhegemon".

Durch seine historischen und ideengeschichtlichen Einordnungen gelingen Bollmann überraschende Einsichten. So zeigt er etwa, dass das Argument der "Alternativlosigkeit" mitnichten allein Merkel-typisch ist. Ihr Amtsvorgänger Schröder bemühte diesen Begriff ebenso gern. Auch dass die Kanzlerin eine Sozialdemokratisierung der CDU betrieben und Schröder mit seinen Agenda-Reformen die SPD-Linie verraten habe, entlarvt er als Fehleinschätzungen. Der Sozialstaat, so Bollmann, sei schon bei Bismarck und Adenauer eine konservative Sache gewesen, während Sozialdemokraten staatsferne Modelle der Selbstorganisation bevorzugt hätten.

Es sind für Bollmann vor allem zwei Faktoren, die für Merkels Beliebtheit sorgen. Erstens inszeniere sie sich als Person so, wie sich ihre Bürger selbst gerne sehen: als fleißig, bescheiden, vernünftig, normal, als "die Deutsche" eben. Das hat schon bei Helmut Schmidt gut funktioniert.

Und der zweite Erfolgsfaktor? Die Finanzkrise. Was für Kohl die Wiedervereinigung war, ist für die Kanzlerin diese tiefgreifende Zäsur in Europa. "Die Euro-Krise wurde für Merkel, was für Kohl die Wiedervereinigung war: das Ereignis, das der eigenen Kanzlerschaft eine historische Aura verlieh", schreibt Bollmann. So wird die Bundeskanzlerin Angela Merkel - ganz ohne Ecken, Kanten, Abgründe - zur historischen Figur.


Ralph Bollmann: Die Deutsche - Angela Merkel und wir; Klett-Cotta; 224 Seiten; 17,95 Euro (bei Amazon  erhältlich)

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