Heidenreichs Spitzentitel "Trostpflaster für die Wunden des Lebens"
Kennen Sie die noch? Ich habe noch ihre alten Platten. Patti Smith - Rock'n'Roll-Idol der 70er Jahre. Sie hat dann ihre Karriere jahrzehntelang unterbrochen, um mit ihrem Mann, dem Gitarristen Fred "Sonic" Smith, ihre zwei Kinder großzuziehen. Inzwischen ist ihr Mann gestorben, die Kinder sind erwachsen und jetzt tritt Patti wieder auf und singt. Sie ist jetzt 70. Jetzt sieht sie ungefähr so aus, immer noch schön, da mag man doch 70 werden. Sie ist schon leicht drüber. Und sie schreibt Bücher an ihrem Leben entlang. Kleine, schmale Erinnerungsbücher. Das erste war eins über ihre Zeit mit dem Fotografen Robert Mapplethorpe, damals in New York, das heißt "Just Kids". Dann hat sie "M Train", eins über ihr Leben mit ihrem Mann, dem Gitarristen, geschrieben. Und jetzt ein Buch, bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, "Im Jahr des Affen". Das Jahr des Affen, nach dem chinesischen Horoskop, war das Jahr 2016, das Jahr, in dem Patti Smith 70 wurde.
Und sie ist losgezogen wie immer, kleines Gepäck, Rucksack, Wäsche drin, ein paar Bücher, dicke Wanderschuhe und ist kreuz und quer durch Amerika, aber auch nach Europa geflogen, gereist, gefahren. Sie hat Freunde besucht, sie macht sich Gedanken in diesem Buch über das Alter, über Verluste. Sie besucht Sam Sheppard, ihren Freund, den Schriftsteller und Schauspieler, der ja inzwischen auch gestorben ist. Sie hilft ihm bei seinen letzten Texten. Freundschaft ist für sie sehr wichtig. Und sie schreibt, auf, was sie sieht unterwegs, und macht sich Gedanken darüber, wie das jetzt ist, dass sie selber plötzlich alt wird. Sie fährt meistens mit Leuten, die sie irgendwie mitnehmen, für ein bisschen Beteiligung, für ein paar Dollar. Und da hat sie eine wunderbare Geschichte: Da trifft sie ein Paar mit einem völlig versifften Auto. Aber die fahren nach San Diego, acht Stunden Fahrt. Und die sagen: "Wir nehmen dich mit, aber kein einziges Wort reden." Und sie sitzt jetzt in diesem Auto, und die spielen wunderbare Musik im Autoradio und mit Kassetten. Und irgendwann sagt Patti: "Boah, ist das eine geile Musik." Und die halten sofort an, mitten auf dem Highway, setzen sie raus und sagen: "Wir haben gesagt, kein Wort reden." Also, so komische Sachen kommen in diesem Buch vor.
Und sie schreibt viel übers Altwerden. Und da möchte ich in Ihnen einen kleinen Ausschnitt vorlesen: "Nichts kann die Zeit aufhalten oder an der Tatsache rütteln, dass ich im Jahr des Affen 70 würde. 70, nur eine Zahl, aber eine die anzeigt, wie der zugeteilte Sand durch die Eieruhr rinnt und man selbst ist das verflixte Ei. Während die Körner rieseln, ertappe ich mich dabei, dass ich die Toten stärker vermisse als früher. Ich stelle fest, dass ich öfter weine, wenn ich im Fernsehen Liebesszenen sehe. Einen in Ruhestand gehenden Detektiv, die man in den Rücken schießt, während er aufs Meer blickt, oder einen müden Vater, der sein Kind aus dem Bettchen hebt. Ich merke, dass mir die Tränen in den Augen brennen, dass ich keine schnelle Läuferin mehr bin und dass mein Zeitgefühl sich beschleunigt." Schöner kann man eigentlich über das Altwerden gar nicht schreiben.
Sie ist eine poetische Träumerin, aber sie ist durchaus in der Realität vernetzt. Sie nennt Donald Trump einen, ich will es genau zitieren: "Einen unerträglichen, gelbhaarigen Hochstapler und seine Wahl eine schreckliche Seifenoper." Aber das ist auch schon das Realistischste an diesen eher verträumten Texten. Sie sagt: "Das Dumme an Träumen ist, dass man einfach irgendwann aufwachen muss." Patti Smith sieht die reale Welt durchaus, auch wenn sie sich immer bemüht, die Nachrichten ganz schnell weg zu drehen, wenn sie im Radio kommen. Aber zuhause ist sie einfach in der Welt der Musik, der Dichtung, der Freundschaft. Und ihr Buch ist wie ein Trostpflaster auf eine Wunde, die das Leben uns jeden Tag neu schlägt. Die Texte sind sehr poetisch, sehr verträumt, manchmal auch ein bisschen rätselhaft, aber nie sentimental, nie kitschig.
Und sie sagt: "Mein Mann ist tot. Meine Mutter ist tot. Mein Bruder ist tot. Meine Katze ist tot. Mein Hund ist schon 1957 gestorben und immer noch tot. Und trotzdem hoffe ich immer wieder, dass irgendwas Wunderbares passiert. Vielleicht morgen." Aber so ganz groß kann die Hoffnung nicht sein, denn sie setzt ihrem Buch ein Zitat von Antonin Artaud voran: "Eine tödliche Torheit kommt über die Welt." Diese tödliche Torheit, glaube ich, ist längst da. Aber mit Büchern wie diesem, kann man sich ein bisschen trösten.