Cartoon-Kult Die fabelhafte Welt der Emily

Die Rückkehr der Riot Grrrls: Emily the Strange, eine uncoole, 13-jährige Einzelgängerin mit langen schwarzen Haaren und chronisch schlechter Laune erobert die Mädchenherzen der ganzen Welt - dabei wurde sie ursprünglich als Marketing-Gag erfunden. Inzwischen spinnt sich eine ganze Industrie um die Comicfigur.
Von Sonja Ernst

Nach der japanischen Kultfigur "Hello Kitty", die seit nunmehr 30 Jahren Kaffeetassen, Bettwäsche und Kinderklamotten verziert, ist ein nun ein neuer Star geboren: "Emily the Strange", die seltsame Emily, ist jedoch eher eine "bad Kitty". Postmodern, schräg, mit ein wenig "Addams Family"-Touch.

"Ich bin nicht verrückt, ich bin wahnsinnig", sagt Emily. Sie ist 13 Jahre alt, oft mies gelaunt aber liebenswert, allein, aber nicht einsam, "anti-cool" sozusagen. Die kleine Egozentrikerin hat vier schwarze Katzen, mit denen sie in ihrem kleinen Kosmos voller schlauer Lebensweisheiten und schwarzem Humor lebt.

Emily ziert T-Shirts, Taschen, Accessoires, Poster und Kalender, sie ist als Actionfigur zu haben und schreibt inzwischen auch schon Bilderbücher, bei denen sich manchmal versteckte Botschaften unter Schichten von schwarzem Drucklack verbergen. Das mürrische Mädchen gehört inzwischen zu den beliebtesten Objekten beim Online-Shopping, dabei sollte sie eigentlich nie zur Marke werden. "Ich hatte ja keine Ahnung", sagt Emilys Erfinder Rob Reger. "Der Erfolg hat eine seltsame Ironie."

Reger ist zu einer Signierstunde in einem Comic-Laden in Berlin-Kreuzberg eingeladen worden. Er trägt ein rotes Hemd, darüber eine schwarze Kapuzenjacke mit Emily-Motiv. Unter seiner rot-schwarz gestreiften Wollmütze wuchert struppiges dunkles Haar.

Vor ihm in der Schlange stehen vor allem Mädchen und junge Frauen, nur sehr wenige Jungs. Die Girlies tragen Emily-Taschen und -Accessoires, aber ganz so streng nimmt es niemand mit der Fan-Hysterie. Zwischen den Emily-Devotionalien findet sich auch hin und wieder ein "Kitty"-Motiv; sogar die altgediente "Heidi" grüßt auf einem Stoffbeutel von den Bergen.

Reger nimmt sich Zeit. Er ist freundlich und offen. Er hat Lachfalten um die Augen, aber er ist kein großer Unterhalter. In Bücher und auf Poster malt er Emilys Katze Sabbath, die meist auf Streit aus ist und eine Kampfwunde am rechten Ohr hat. Oder er zeichnet Nef Chef, den Denker unter Emilys felinen Begleitern, einen Nihilisten mit schwarz-weiß gestreifter Schwanzspitze. Und natürlich malt er viele verschnörkelte Emilys. Mit dem jovialen Abschiedsgruß "Stay strange" - "bleib seltsam, bleib eigen" - entlässt er seine Fans.

Ann-Kristin Schmidt sieht ein wenig aus wie Emily. "Na ja, das ist kein Zufall", sagt die 18-Jährige. Sie hält ihr Poster mit Regers Signatur in den Händen. Die Leipzigerin trägt eine schwarze Stoffblume mit weißem Totenkopf im Haar. "Emily ist einfach anders. Sie macht alles alleine", sagt Ann-Kristin. Eine Identifikationsfigur? "Schon, aber eher an den schlechten Tagen", sagt sie und lacht. Sie kennt Emily schon seit fast vier Jahren. Aber inzwischen identifizierten sich immer mehr Leute mit ihr, sagt die Schülerin.

Vor 13 Jahren, als Emily erfunden wurde, zierte sie zunächst Anstecknadeln und Auto-Aufkleber der kalifornischen Firma Cosmic Debris, die sich der Produktion bunt bedruckter T-Shirts und Accessoires für Surfer, Skater, Snowboarder und Lifestyle-Junkies verschrieben hatte und mit dem Gruft-Girlie Werbung machen wollte. Der Grafikdesigner Reger gründete das Kollektiv aus Künstlern und Designern einst mit, mittlerweile arbeitet der 35-jährige mit seinen Kollegen fast ausschließlich an Emily. Cosmic Debris macht viel Geld mit der Einzelgängerin: 2003 nahm die Firma rund fünf Millionen Dollar ein, der Großteil kommt aus der "Emily-Produktion". Neben der großen Seltsamen bevölkern allerdings auch noch andere Comic-Gestalten den Merchandising-Katalog der Design-Schmiede, darunter der Pandabär Yum Pop und die blonde Unschuld Oopsy Daisy.

Normalerweise klettern Merchandise-Helden und -Heldinnen von der Leinwand herunter oder entsteigen Comics und Büchern. Emily hingegen entstand einfach als Emily. Sie ist sehr dünn, trägt ein kurzes schwarzes Kleid und ihr Haarschnitt erinnert an Frauen in David Lynch-Filmen oder an Uma Thurman in "Pulp Fiction". Im Gegensatz zur Katzenfigur "Kitty" kann Emily sprechen, und diese Gabe nutzt sie ausführlich: Zu ihrer Lebensphilosophie zählen verdrehte Sprüche wie "Be what you can't be" - "sei, was du nicht sein kannst" oder "Sei nicht böse, führe nur nichts Gutes im Schilde".

Die seltsame Erfolgsgeschichte begann Mitte der Neunziger in der amerikanischen Punkrock- und Grunge-Szene, als die Subkultur das Werbemädchen in einen Kontext mit der damals populären "Riot Grrrl"-Bewegung setzte: Zornige und selbstbewusste junge Frauen, die ihre Unabhängigkeit verteidigen und ihr eigenes Ding machen wollten. Das erste Emily-Buch ist in den USA inzwischen in der siebten Auflage erschienen. In Deutschland wurden bislang zwei Bücher veröffentlicht, im Juni folgt das dritte. Rob Reger berät die ausländischen Verlage zum Teil bei den Übersetzungen, immerhin lebt Emily auch von ihren Botschaften und Anspielungen. Ihr Lieblingsspruch "get lost" soll zum Eintauchen in unbekannte Welten inspirieren, aber er bedeutet auch: "Zieh Leine".

Die Bücher kennzeichnet eine minimalistische, durchdachte Designsprache - in Schwarz, Rot und Weiß. Es sind keine Romane, sondern eine Sammlung von Abbildern und Weisheiten, Poesiealben aus dem Abseits. Im Sommer, wenn der erste Emily-Comic in den USA herauskommen soll, wagen sich Reger und sein Team erstmals ans Narrative heran.

Doch die Fans brauchen keine Geschichten, um sich für Emily zu begeistern. Petra Klauke, 28, mag vor allem das Design und die schlichte Ästhetik. Für die Wuppertalerin ist die Outsiderin weniger Identifikationsfigur als Gefährtin: "Ich werde mich nächste Woche nicht gleich umbringen", sagt sie und lacht. "Emily kommt cool rüber. Etwas morbide, aber sehr witzig." Die Kultfigur sei eher ein Verlierertyp, vielleicht, meint Klauke, treffe das aktuelle Lebensgefühl vieler Jugendlicher.

Dabei liebt Emily das Leben. Sie interviewt Blumen und geht auf Entdeckungsreise. Sie mag Bowling und Skateboarden. Sie ist eine liebenswerte Träumerin mit vielen Macken und Spleens. Es sind wohl gerade diese kleinen Fehlbarkeiten, die die Fans zu schätzen wissen. Emily ist nicht perfekt und will es auch nicht sein. Sie geht auf Spinnenjagd, schmiedet Rachepläne gegen die ganze Welt, bricht Regeln und Herzen, liest Comics und entwirft düstere Zeichnungen und Skizzen. Am liebsten ist sie allein.

Die fabelhafte Welt der Emily? Dass Mädchen sich in der Pubertät manchmal seltsam und eigenbrötlerisch verhalten, ist ja eigentlich nichts Neues. Dennoch mag Marco Seckelmann, vor allem Emilys Philosophie: "Leute sind eben komisch", sagt der 30-Jährige, der für seine Freundin ein Autogramm von Reger ergattern will. Der findet diese simple Erklärung gar nicht so verwunderlich: "Vielleicht hat es schon lange niemand mehr gesagt? Zuletzt habe es Jim Morrison mit dem Song 'People Are Strange' getan, und das war bereits in den Sechzigern."

Wie viel von Reger steckt eigentlich in dem 13-Jährigen Girlie? "Alles", sagt Reger, "außer dem Sex". Für ihn ist Emily asexuell, ihre Welt kommt ohne "sex and crime" aus. Eine Romanze wird es für sie wohl nie geben. Dafür umso mehr Ruhm und Ehre, auch wenn das so gar nicht mit ihren Grundsätzen vereinbar erscheint: kein Mainstream, kein cooles Outfit, alles selber anpacken. Der Widerspruch ist Reger bewusst. "Aber mit mehr Geld konnten wir auch immer weitermachen. Erst die Bücher, jetzt der Comic und als nächstes hoffentlich ein Animationsfilm." Reger signiert noch ein paar Poster und Bücher - mehr Katzen, mehr Emilys. Dann will er wissen, wo es die schönsten Schlösser und Burgen in Deutschland gibt, hier in "Strangermany".


"Emily" und "Emily's Secret Book of Strange" sind in Deutschland im Achterbahn Verlag erschienen. 72 Seiten, 2-farbig mit Drucklack, ca. 12,90 Euro

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