Ausnahme-Roman "Americanah" Einmal USA und zurück

Klug, humorvoll, politisch: Chimamanda Ngozi Adichies preisgekrönter Roman "Americanah" über eine junge Nigerianerin, die in den USA fast das Glück findet, ist ein literarischer Triumph.
Chimamanda Ngozi Adichie: Mehrfach ausgezeichnet für "Americanah"

Chimamanda Ngozi Adichie: Mehrfach ausgezeichnet für "Americanah"

Foto: Sunday Alamba/ AP

Mit dem Zug raus aus dem wohlhabenden Princeton in den Vorort. Von dort aus weiter mit dem Taxi in eines der Viertel, in denen keine Weißen wohnen: Eine solche Reise muss die Nigerianerin Ifemelu antreten, als sie sich die naturkrausen Haare flechten lassen will. In der berühmten Uni-Stadt selbst gibt es keine Friseursalons, die einen solchen Service anbieten würden. "Die wenigen Schwarzen, die sie hier gesehen hatte, waren so hellhäutig und hatten so glatte Haare, dass sie sie sich nicht mit Zöpfen vorstellen konnte." Der Weg zum Friseur ist also nicht einfach nur eine lästige Reise, die Ifemelu einen ihrer letzten Tage in den USA zu vermiesen droht - es ist auch eine Reise, die zeigt, wie Hautfarbe und Klassenzugehörigkeit bestimmte Pfade durch die Welt vorzeichnen.

"Americanah", der dritte Roman der nigerianisch-stämmigen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie, ist voll solch kleiner Reisen, er ist aber auch voll großer Reisen - von Nigeria über den Atlantik in die USA oder übers Mittelmeer und den Ärmelkanal nach England. Wobei sich in der virtuos geschichteten Erzählung von "Americanah" die Kategorien groß und klein innerhalb weniger Seiten auflösen. Adichie gelingt es mühelos, die politische Aufladung des Alltags - siehe Friseurbesuch - deutlich zu machen und das Private in den schicksalhaften Lebensentscheidungen aufscheinen zu lassen.

Das Leben der Afropolitans

Ifemelu will nämlich zurück nach Nigeria. Nach 13 Jahren in den USA, mit einem Princeton-Stipendium im Rücken und einem intellektuell und politisch versierten Mann an ihrer Seite. Schlecht, so meint man zunächst, ist es ihr in Amerika wohl nicht ergangen. Und wenn sie eine zwiespältige Erfahrung gemacht hat, dann hat sie sie in ihrem vielbeachteten Blog "Raceteenth - oder Ein paar Beoachtungen über schwarze Amerikaner (früher als Neger bekannt) von einer nicht-amerikanischen Schwarzen" verarbeitet. Das Blog hat sie zu einer beliebten Rednerin zum Thema "race" gemacht, von den Gagen kann sie gut leben und gemeinsam mit ihrem attraktiven Freund Blaine, einem Yale-Dozenten, den Lifestyle eines progressiv orientierten Yuppie-Paares führen.

Warum es Ifemelu trotzdem zurück nach Nigeria zieht, erzählt Adichie mit Hilfe von Rückblenden sowohl in Ifemelus Leben als Jugendliche in Nigeria als auch in ihre ersten Jahre in den USA. Die Überblendung verschiedener Zeiten und Orte fügt sich dabei in Adichies souveräner Montage zu einer Lebensgeschichte zusammen, in der gleichzeitig nichts und alles bedeutsam ist. Denn Ifemelu macht Erfahrungen, wie sie prototypisch für junge, gebildete Afrikaner in der globalen Diaspora sind - den "Afropolitans", wie die britisch-nigerianisch-ghanaische Autorin Taiye Selasi es in ihrem Aufsatz "Bye-Bye, Babar" sie genannt hat. Ihnen bieten sich vormals ungeahnte Möglichkeiten, doch die Loslösung von der Heimat gerät emotional fordernder als gedacht.

Als literarischer Schöpfung haftet Ifemelu aber nichts Prototypisches an, sie ist ein bis ins kleinste Detail stimmiges Individuum, dem jede seiner Erfahrungen zu eigen ist - vom gewitzten Blog-Eintrag bis zur schmutzigen Unterhose, vom Kampf mit dem zunehmenden Gewicht bis zum Triumph an der Prestige-Uni. Diese Individualität und Nuanciertheit sind es, die "Americanah", ein Slangwort für aus den USA nach Afrika Heimgekehrte, herausragen lassen - nicht zuletzt im Vergleich zu Selasis eigenem Afropolitans-Roman. "Diese Dinge geschehen nicht einfach so", obwohl international gefeiert, strotzt vor unglaubwürdigen Figuren. Die Familie im Zentrum des Buchs besteht ausnahmslos aus Ausnahmeschönheiten und Hochbegabten, die auch noch in zahllose Skandale diesseits und jenseits des Atlantiks verwickelt sind. Als Erzählung hat das, wie Selasi selbst, viel Glamour, aber auch eine grobschlächtige Melodramatik.

Villa, SUV und eine materiell anspruchsvolle Ehefrau

Bei Adichie hingegen führt der Weg von Nigeria nicht immer direkt aufs Ivy-League-College, sondern manchmal auch in eine Londoner Toilette. Dort arbeitet Obinze, Ifemelus große Liebe aus Schulzeiten. Auch er hat einst die Heimat verlassen, weil sie unter der Militärdiktatur von Sani Abacha im Chaos zu versinken drohte. Und wie Ifemelu muss sich auch Obinze zunächst mit den niedersten Aushilfejobs begnügen und Dokumente fälschen, um seinen prekären Status als Illegalen wenigstens minimal absichern zu können. Doch daran schließt sich bei ihm nicht das langsame Ankommen im fremden Land an. Obinze muss kämpfen - und er kämpft vergebens.

Seine Rückkehr nach Nigeria markiert die größte Schmach in seinem Leben. Gleichzeitig kehrt er in ein gewandeltes Land zurück, eines, das ihm Chancen eröffnet und Perspektiven bietet. Im Zuge des nigerianischen Wirtschaftsbooms steigt er als Makler in die oberen Ränge der neuen Mittelschicht auf, er kann sich Villa, SUV und eine materiell anspruchsvolle Ehefrau leisten. Trotzdem fehlt ihm etwas - nämlich Ifemelu. Als sie ebenfalls nach Nigeria zurückkommt, scheint plötzlich wieder alles möglich zu sein, für das Land ebenso wie für das ehemalige Liebespaar. Nichts könnte mehr zwischen ihnen stehen. Außer ihren in der Fremde gelebten Leben.

"Americanah" ist also auch eine Liebesgeschichte und dazu noch eine ziemlich große. Für einen Roman, der Themen wie Rassismus und postkoloniale Weltordnung verhandelt, ist das die vielleicht souveränste Geste: Von all solchen gewichtigen Themen zu erzählen und sich und seine Figuren dennoch nicht auf sie zu beschränken. Das macht tolle Romanfiguren wie Ifemelu aus - und herausragende Romane wie "Americanah".

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