
Oppositioneller Liao: "Die Mächtigen haben ein hässliches Herz"
China-Dissident Liao "Ich lebte wie ein Hund"
SPIEGEL ONLINE: Herr Liao, Ihnen ist von der chinesischen Führung erst vor kurzem verboten worden, Ihre Werke im Ausland vorzutragen und zu veröffentlichen. Jetzt kommen Sie hierher und bringen ein Buch über Ihre Zeit im Gefängnis heraus. Schweben Sie in Gefahr?
Liao: Ich habe vor meiner Ausreise den Behörden zusagen müssen, mein Buch "Für ein Lied und hundert Lieder" nicht im Ausland zu publizieren. Der Fischer Verlag hat den Erscheinungstermin dreimal verschoben - auch meiner persönlichen Sicherheit wegen. Ich bin aber nicht mehr bereit, mich in China wie eine Geisel halten zu lassen. Meine Zusage hatte ich nur gegeben, damit ich ausreisen darf. Natürlich ist eine derartige Abmachung eine unfassbare Beleidigung für einen Schriftsteller. Das Wichtigste für mich ist die Freiheit, zu veröffentlichen, und die Freiheit, zu schreiben. Deshalb sitze ich Ihnen heute gegenüber.
SPIEGEL ONLINE: Wie lange wollen Sie bleiben?
Liao: Ich werde bleiben, so lange es für mein Buch nötig ist. Danach werde ich in die USA reisen, später nach Australien. Ab 2012 habe ich ein einjähriges Stipendium des DAAD, diese Zeit werde ich in Berlin verbringen. Aber ich hoffe, dass ich, wenn dereinst die Regierung wechselt, sicher nach China zurückkehren kann.
SPIEGEL ONLINE: Sie saßen vier Jahre im Gefängnis, weil Sie 1989 ein Gedicht über das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens geschrieben haben, erlitten in der Haft Zusammenbrüche und haben zweimal versucht, sich umzubringen. Wie konnten Sie überleben?
Liao: Spätestens, als ich ins Gefängnis geworfen wurde, habe ich gemerkt, dass mein Geist, meine Identität als Intellektueller hier keinen Platz haben. Von dem Moment an, als ich mich bei der Einlieferung nackt ausziehen musste, als mein After auf Schmuggelware untersucht wurde, lebte ich wie ein Hund. Wenn ich an diese Zeit denke, erscheint es mir unglaublich, dass ich noch am Leben bin. Doch irgendwann wurde mir klar, dass ich dokumentieren muss, was ich erlebt habe. Die Zeit im Gefängnis war das dunkelste Kapitel meines Lebens. Eine Zeit, in der ich meine Menschenwürde aufgeben musste. Ich betrachte mich als eine Art Träger der Geschichte. Es ist meine Aufgabe, diese Geschichte zu erzählen.
SPIEGEL ONLINE: Ist es eine Genugtuung, wenn selbst aus derart erniedrigenden Erfahrungen noch Literatur entstehen kann?
Liao: Viele politische Gefangene haben über ihre Zeit im Gefängnis geschrieben. Von deren Berichten unterscheidet sich meiner. Zum Beispiel war es im Gefängnis üblich, dass wir Gefangenen uns wegen der großen Hitze gegenseitig Zahnpasta in den After eingeführt haben, weil dadurch das Gefühl einer Abkühlung entstand. Doch wenig später wurde die Zahnpasta hart und es war nicht leicht, sie wieder heraus zu bekommen. Wenn ich heute meine Aufzeichnungen darüber lese, dann frage ich mich, wie weit unten ich damals gewesen bin. Ich vermute, die meisten ehemaligen politischen Gefangenen würden niemals über so etwas schreiben.
SPIEGEL ONLINE: Konnten Sie im Gefängnis schreiben?
Liao: Nicht viel. In meinem Buch gibt es auch dreißig Gedichte, die ich im Knast geschrieben habe und im Einband eines gebundenen Buches verstecken konnte. Das eigentliche Manuskript des Buches habe ich später geschrieben. Dreimal musste ich dabei wieder von vorn anfangen, weil es bei Durchsuchungen beschlagnahmt wurde.
SPIEGEL ONLINE: Nach der Freilassung Ai Weiweis und des Bürgerrechtlers Hu Jia, nicht zuletzt auch durch die Genehmigung Ihrer Ausreise, entsteht der Eindruck einer politischen Entspannung. Gleichzeitig sitzen der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo und viele andere noch immer in Haft. Wie beurteilen Sie die Situation kritischer Intellektueller in China?
Liao: Eigentlich hätte ich bereits am 4. April zum "PEN World Voices Festival" nach New York reisen sollen. Anfangs dachte ich noch, ich könnte es einfach wieder so machen wie 2010, als ich zur Lit.Cologne nach Köln wollte: Ein Ticket kaufen und zum Flughafen fahren - wo ich dann allerdings aufgehalten wurde. Aber bei der Polizei sagte man mir, dass es diesmal nicht so glimpflich enden würde. Ein Polizist drohte: Wenn du das noch einmal versuchst, dann werden wir dich für eine ganze Weile verschwinden lassen. Als ich am 3. April erfahren habe, dass Ai Weiwei festgenommen wurde, war ich schweißgebadet. Diese Anspannung hält bis heute an.
SPIEGEL ONLINE: Können Sie sich vorstellen, eines Tages von der chinesischen Botschaft nach Berlin eingeladen zu werden, um hier aus Ihren Werken zu lesen?
Liao: Das ist ein wunderschöner Traum. Zur Zeit allerdings würde ich diesen Leuten ungern begegnen. Die Mächtigen, die heute mein Land regieren, haben ein sehr schmutziges, hässliches Herz. Ich glaube nicht, dass mich Hu Jintao oder Wen Jiabao jemals einladen würden. Auf die Idee kämen die gar nicht.
SPIEGEL ONLINE: Obwohl Ihre Bücher in China verboten sind, finden sie über den Schwarzmarkt doch reißenden Absatz.
Liao: Wie ich gehört habe, stehen meine Bücher auf Platz drei der Liste der erfolgreichsten raubkopierten Bücher in China - das ist mein Beitrag für mein Land. Bei uns sagt man, ein Schriftsteller muss drei Dinge besitzen: Eine Scheidungsurkunde, einen Entlassungsschein aus dem Gefängnis und einen Durchsuchungsbefehl, dann ist er ein guter Schriftsteller.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben alle drei.
Liao: Ja, Scheidungsurkunden besitze ich sogar zwei. Und noch mehr Durchsuchungsbefehle.
SPIEGEL ONLINE: Wir zeichnen dieses Gespräch mit einem iPhone auf, einem in Amerika entworfenen Gerät, das in China von sehr schlecht bezahlten Arbeitern hergestellt wird. Müssen wir Europäer ein schlechtes Gewissen haben, wenn wir solche Produkte kaufen?
Liao: Eigentlich kümmert sich das chinesische Volk gar nicht darum, ob die Westler ein gutes oder schlechtes Gewissen haben. Es gab in China Arbeiter, die mussten Speiseöl-Reste in Abflüssen sammeln, diese Brühe wurde dann mit frischem Öl verpanscht und als neu verkauft. Ein großer Skandal. Den iPhone-Arbeitern geht es da vergleichsweise gut.
SPIEGEL ONLINE: Als Sie letztes Jahr zur Lit.Cologne reisen wollten, haben Sie vorher an Bundeskanzlerin Merkel einen offenen Brief geschrieben, in dem Sie um Hilfe bei der Ausreise gebeten haben. Haben Sie darauf eine Antwort bekommen?
Liao: Nein, jedenfalls keine schriftliche. Aber ein Mitarbeiter des deutschen Konsulats hat sich mit mir getroffen und mir gesagt, dass die Kanzlerin meinen Brief gelesen habe und sehr berührt sei, meinen Fall weiterhin intensiv beobachten und sich auch für mich einsetzen werde. Bei dieser Gelegenheit habe ich ihm eine raubkopierte DVD von "Das Leben der anderen" gegeben, um sie daran zu erinnern.
SPIEGEL ONLINE: Oft wird hierzulande argumentiert, die Wirtschaftsbeziehungen zu China dürften durch den Einsatz für Menschenrechte und Freiheit in China nicht gefährdet werden. Haben Sie dafür Verständnis?
Liao: In den USA oder Frankreich mag eine derartige Haltung angehen. Aber Deutschland hat eine Verantwortung, die aus seiner Geschichte resultiert: Erst die Nazi-Diktatur, dann die DDR-Zeit. Wenn die Ostdeutsche Merkel meint, ihren Schwerpunkt auf Wirtschaft setzen zu müssen, kann sie das tun. Aber die Intellektuellen sollten das Gewissen des Landes sein und ihre Stimme erheben.
SPIEGEL ONLINE: Stört es Sie, dass Sie im Westen stets zuerst nach der politischen Situation in China befragt werden und kaum nach Ihrem Werk als Schriftsteller?
Liao: Das ist normal. Ich komme aus der größten Diktatur der Welt. Wie mein Freund Liu Xiaobo, der entschiedenste Kämpfer für die Menschenrechte, werde ich immer Fragen zu diesem Thema gestellt bekommen - und weniger zu meinem eigenen Werk. Für mich ist es wichtig, die chinesische Tradition weiter zu tragen, indem ich meine Erlebnisse und die anderer dokumentiere. Eines Tages wird die KP verschwunden sein, dann werden noch mehr Leute meine Bücher lesen wollen. Vor über zweitausend Jahren schrieb der Historiker Sima Qian das "Shiji". Auch er hat unter schlimmsten Bedingungen gelitten. Das war sein Schicksal. Aber sein Buch wird immer noch gelesen.
SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet Ihnen Freiheit?
Liao: In China waren die Intellektuellen schon seit Urzeiten oftmals sehr einsam. Zwar schien ihre Lage zu ihren Lebzeiten ausweglos, aber dennoch wurden ihre Werke ewig weiter getragen. Im Gefängnis stellte ich mir vor, mich in einem geistigen Dialog mit Konfuzius oder auch Sima Qian zu befinden. Und dieser Dialog hat mich weiter getragen und wird ewig weiter gegeben. Das ist chinesische Kultur.
SPIEGEL ONLINE: Die aktuellen Umstände sind also irrelevant im Angesicht der Ewigkeit der Kultur?
Liao: Verantwortlich für die schlimme Lage ist die chinesische KP. Doch im Vergleich zur Jahrtausende währenden chinesischen Geschichte beherrscht die KP nur eine sehr kurze Zeitspanne.
Das Interview führte Stefan Kuzmany