
Comic "Israel verstehen" Entwicklungsroman in pastellfarbenen Bildern
Es gäbe gute Gründe, diesen Comic nicht zu lesen. Zum einen ist da die Geschichte: Eine junge jüdische Amerikanerin, in deren Alltagsleben die Religion keine große Rolle spielt, macht sich auf nach Israel und spürt ihren Wurzeln nach, sucht nach Identität, spiritueller Heimat und einer Haltung im Palästinenserkonflikt. Aufregend klingt das nicht, originell auch nicht, mit Werken zum Thema "Suche nach den jüdischen Wurzeln" könnte man die Trennmauer zu den Palästinensergebieten wohl im Maßstab 1:2 nachbauen.
Zum anderen ist da dieser Aufkleber auf dem Cover. "Graphic Novel" steht darauf. Eigentlich ein Grund zum Kaufboykott, soll der Aufkleber doch suggerieren, dass Bildergeschichten mit diesem Label irgendwie hochwertiger, erwachsener sind als schnöde Comics. Damit hat die Ranschmeiße der Branche an Feuilleton und Literaturbetrieb nun auch den Panini Verlag erreicht, lange eines der letzten Comicrefugien.
Werbung mit kreuzdämlichem Kurzcomic
Die Branche, die sich lange gegen ein borniertes Kulturverständnis gestemmt hat, gegen die Trennung zwischen läppischer Comic-Unterhaltung und hehrer Literatur, zieht jetzt genau diesen Graben selbst. In Bahnhofsbuchandlungen verteilen Comic-Verlage Flyer, auf denen mit einem kreuzdämlichen Kurzcomic für Graphic Novels als bessere Bildergeschichten getrommelt wird: Sie seien "mehr wie Bücher und mit Themen, die sich eher an Erwachsene richten" steht da. Willkommen beim schönen, alten Vorurteil, Comics seien Kinderkram! Weiter geht es mit diesem Satz: "Bei Graphic Novels gehen Text und Bild meistens Hand in Hand, ergänzen und kommentieren sich gegenseitig". Alle Achtung! Bei Comics ist das natürlich ganz anders. Carl Barks und Charles M. Schulz dürften sich im Grabe umdrehen. Aber leider scheint die Rechnung aufzugehen, zahlreiche Buchverlage haben sich dem lange geschmähten Genre unter dem neuen Label angenommen.
Genug davon. Zurück zu Sarah Gliddens sehr ambitioniertem und dann doch auch sehr gelungenem Comic. Die New Yorkerin, 1980 in Boston geboren, erzählt von einer Gruppenreise nach Israel, an der sie 2007 teilgenommen hat. Die "Birthright" Initiative schickt junge Juden, die noch nie in Israel waren, kostenfrei auf eine zwölftägige Erkundungsreise durch das Land, um ihr Verständnis für Israel zu wecken und neue Einwanderer zu rekrutieren. Sarah bereitet sich vor, beschäftigt sich vor allem mit dem Palästinenser-Konflikt. Sie ist durchaus kritisch, der Politik des Landes gegenüber und den Ambitionen der Reiseleiter, denen sie nicht zu Unrecht propagandistische Absichten unterstellt.
In ihrem Comic bildet sie die Stationen ihrer Reise, ihrer Annäherung an Land und Menschen, ab. Sie schildert die Begegnungen und Auseinandersetzungen, die inneren und äußeren Streitgespräche, ihre Gedanken und Empfindungen, porträtiert in klaren Strichen ihre Mitreisenden und referiert ausführlich die Geschichte und Kultur des Landes.
"Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger" ist eine ebenso persönliche wie informative Reisereportage und gleichermaßen ein Entwicklungsroman in pastellfarbenen Bildern. Ein Comic, der nicht zuletzt davon erzählt, wie schwierig es ist, einfache Antworten auf komplexe Fragen zu finden und in so einer Welt erwachsen zu werden.