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Wäscher-Comics: Auf den Spuren von Falk und Nick

Foto: Hansrudi Wäscher/ becker-illustrators

Comic-Pionier Hansrudi Wäscher "Er hat das Tempo der Mangas vorweggenommen"

Ein Nachkriegspionier wird neu entdeckt: In den Fünfzigern brachte Hansrudi Wäscher der deutschen Jugend das Comic-Lesen bei, nun werden seine Zeichnungen für Smartphones aufbereitet. Im Interview erklärt Biograf Andreas C. Knigge, warum Wäschers Geschichten noch heute faszinieren.

SPIEGEL ONLINE: Herr Knigge, der deutsche Comic-Pionier Hansrudi Wäscher, dessen Biografie Sie nun aufgeschrieben haben, sagte, dass Sie ihn früher einmal beschimpft haben. Was war da los?

Knigge: Ich habe ihn nie wirklich beschimpft. Aber als ich Mitte der siebziger Jahre anfing, mich mit Comics zu beschäftigen, war die Szene im Aufbruch. In Frankreich arbeiteten Künstler wie Moebius und Bilal an der Erneuerung des Comics - in Deutschland aber liefen immer noch Typen rum, die uralte Wäscher-Comic-Heftchen wie "Akim" und "Sigurd" tauschten. Diese Rückwärtsgewandtheit war für junge Comic-Fans wie mich ein rotes Tuch - und Wäscher hat das dann stellvertretend für alle abgekriegt.

SPIEGEL ONLINE: Gab es je einen konkreten Vorwurf?

Knigge: Nein, er wirkte auf mich damals einfach nur uncool und verstaubt. Es war eine moralische Zeit. Den Ausläufern der 68er waren die biederen Serien Wäschers nicht links genug und zu staatstragend. Der Streit um Wäscher war ein Generationskonflikt. Man darf nicht vergessen, dass Wäscher in den fünfziger Jahren eine ganze Altersgruppe deutscher Comic-Fans infizierte.

SPIEGEL ONLINE: Was ist heute noch interessant an Hansrudi Wäscher?

Knigge: Sich auf seine Biografie einzulassen, ist eine spannende Zeitreise. Sie führt uns zurück in die Anfangsjahre der Bundesrepublik. Wäscher veröffentlichte seine ersten Hefte 1953. Nur 4000 Deutsche hatten damals einen Fernsehapparat. Draußen lag Nachkriegsdeutschland in Trümmern. Die Zukunft war ungewiss. Genau diese Jugendlichen entführte Hansrudi Wäscher mit seinen Comics in aufregende, kunterbunte Phantasiewelten. Eine funktionierende Jugendkultur mit Filmen, Musik und Ähnlichem gab es ja noch nicht.

SPIEGEL ONLINE: Wie sahen Hansrudi Wäschers Welten aus?

Knigge: Es ging immer um Abenteuer, mal unter Rittern, mal im Weltraum oder im Dschungel. Ein roter Faden, der sich durch alle Erzählungen Wäschers zieht, ist, dass die Bösen auffallend oft Zauberer, Magier oder Hexen sind. Letztlich ein Appell an die Vernunft. Man könnte das sogar als eine Aufarbeitung der Verführung des Menschen durch den Faschismus interpretieren.

SPIEGEL ONLINE: Sind Wäschers Comics für den heutigen, vor allem jungen Comic-Leser noch lesenswert?

Knigge: Ich habe im vergangenen Jahr das komplette Werk von Hansrudi Wäscher in einem Stück gelesen. Fünf bis sechs Regalmeter Papier die ich in sieben Wochen durcharbeitete, eine Tour de Force. Anfangs, muss ich gestehen, habe ich die Hefte mit etwas spitzen Fingern angefasst. Allein auf deren Ästhetik liegt ja schon eine dicke Schicht Staub. Das sind alles Abenteuergeschichten - aber ich habe die interessante Erfahrung gemacht, dass ich nach spätestens zehn, zwölf Seiten am Haken des Erzählers hing. Es liest sich packend. Am Ende jeder Episode lauert ein toller Cliffhanger, nach dem Motto, "Wie kann sich Sigurd wohl aus dieser Klemme befreien? Ihr erfahrt es nächste Woche". Ich wollte immer wissen, wie es weitergeht. Nächtelang verschlang ich Wäschers Geschichten, schlief und griff beim Frühstück zum nächsten Heft. Wenn man sich auf seine Welten einlässt, hat man mit Hansrudi Wäscher immer noch großen Spaß!

SPIEGEL ONLINE: Gibt es etwas spezifisch Deutsches an den Comics von Wäscher?

Knigge: Ich glaube ja. In allen seinen Abenteuern liegt eine gewisse Gemütlichkeit. Egal, ob im tiefen Wald, in einer abgelegenen Burg, ja selbst im Weltraum, vermittelt sich immer das Gefühl einer Heimeligkeit. Das empfinde ich als typisch deutsch.

SPIEGEL ONLINE: Angeblich wird Wäscher nun von jungen Lesern wiederentdeckt. Stimmt das?

Knigge: In kleinem Rahmen ist das so. Es gibt im Internet Foren, in denen junge Leute sich über Wäscher austauschen. Dass das Interesse steigt, mag auch damit zu tun haben, dass Wäscher Erzähl- und Darstellungstechniken vorweggenommen hat, die heute den enorm populären japanischen Mangas sehr ähnlich sind. Durch seine Seitenarchitektur und Bilddynamik hat er ein Tempo in seine Bildergeschichten gebracht, das noch immer modern ist. Auch seine Erzähltechnik ähnelt der der Mangas, dieses endlose Dehnen einer Handlung. Mich hat das auch an moderne amerikanische Fernsehserien wie "Lost", "Prison Break" oder "24" erinnert.

SPIEGEL ONLINE: Angeblich soll es bald sogar Wäscher-Apps geben.

Knigge: Stimmt. Zurzeit werden Wäschers Comics für die Smartphone-Nutzung aufbereitet.

SPIEGEL ONLINE: Wäschers Zeichnungen gelten als schlicht. Zu Recht?

Knigge: Wäschers Bilder haben nicht die Ästhetik der Arbeiten von Comic-Künstlern wie Moebius oder Bilal. Aber um tolle Optik ging es Wäscher auch nie. Er wollte vor allem Geschichten erzählen. Die Zeichnungen waren sein Instrument. Eigentlich muss man Wäschers Geschichten lesen, wie sie damals erschienen sind: in Piccolo-Heften. In diesem Format entwickeln seine Abenteuer immer noch eine eindrucksvolle Rasanz. Und genau darum ging es Wäscher. Er wollte gar nicht, dass seine Bilder lange bestaunt werden, er wollte nur schnell die Handlung vorantreiben.

SPIEGEL ONLINE: Trotzdem fällt bei Wäscher auf, dass er eigentlich nur ein Gesicht zeichnen kann. Die Köpfe seiner Serienhelden Sigurd, Falk, Akim oder Nick unterscheiden sich nur marginal durch Frisuren und Haarfarben.

Knigge: Das stimmt. Seine Zielgruppe waren Kinder, denen ist so was egal. Aber diese Technik hatte natürlich noch einen ganz anderen Grund. Man darf nicht vergessen, wie unfassbar produktiv Wäscher zu seinen Bestzeiten in den fünfziger und sechziger Jahren war. Vielleicht ist er sogar der produktivste Comic-Zeichner aller Zeiten. Man muss sich vorstellen, dass Wäscher manchmal an einem Tag ein ganzes Heft zeichnete, weil er vier wöchentlich erscheinende Serien gleichzeitig hatte. Wäscher sagt dazu, dass er mal versucht hat, andere Gesichter zu zeichnen. Das klappte aber nicht so gut. Also beschränkte er sich auf das eine typische Wäscher-Gesicht.

SPIEGEL ONLINE: In ihrem Buch beschreiben Sie einen Besuch bei Wäscher: Im Wohnzimmer hingen schöne Gemälde von ihm. Hat er sein Talent als Künstler verschenkt?

Knigge: Das ist aus heutiger Perspektive schwer zu beurteilen. Fest steht nur, dass Wäscher ein Könner ist und ein guter spätexpressionistischer Maler. Die Bilder an seiner Wand, für die er sich mehr Zeit genommen hat, sind sehr eindrucksvoll.

SPIEGEL ONLINE: Wäscher sah sich als Handwerker und nicht als Künstler?

Knigge: Genau. Wäscher zeichnete aus Spaß, nicht, weil er Kunst schaffen wollte. Seine Comics waren nicht für die Ewigkeit gedacht, sondern als Gebrauchsgegenstände. Er ging davon aus, dass die im Müll landen. Das passt zu seinem Charakter, Wäscher ist eindrucksvoll bescheiden.

SPIEGEL ONLINE: Was haben Wäschers zahlreiche Helden außer ihren Gesichtern gemeinsam?

Knigge: Sie sind Idealisten, die für das Gute eintreten. Gebrochene Charaktere findet man da nicht. Die sind alle einfach, aber plausibel.

SPIEGEL ONLINE: War es ein später Triumph für Wäscher, als er 2008 beim Comic-Festival in Erlangen mit dem renommierten Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet wurde?

Knigge: Nein, so denkt er nicht. Er hat es wohl eher als anstrengend empfunden, auf die Bühne zu kommen und seinen Preis entgegenzunehmen. Gesträubt hat er sich zwar nicht, aber Genugtuung hat er dabei kaum empfunden. Im Gegenteil, es stresst ihn, wenn ihm Verehrer zu seinem Geburtstag Päckchen mit selbstgekochter Marmelade oder Kuchen schicken. Er ist ein höflicher, zurückhaltender Mensch, der in Ruhe gelassen werden möchte.

SPIEGEL ONLINE: Hansrudi Wäscher ist mittlerweile 84 Jahre alt, arbeitet er noch?

Knigge: Ab und zu zeichnet er kleine Heftchen, oder er macht Illustrationen. Für ihn ist das keine Arbeit, sondern Entspannung, ja, fast Meditation. Und es gibt mittlerweile tatsächlich einen neuen Markt für Wäschers Arbeiten, der eher noch zunimmt.

Das Interview führte Christoph Dallach

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