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Cornelia Funke: Die Welten der Märchenerzählerin

Foto: dpa-Film Senator/ picture-alliance/ dpa

Cornelia Funke "Auch ein Nazi sehnt sich vielleicht nach etwas, das in meinen Büchern zu finden ist"

In ihrem neuen Buch flieht ein Mädchen vorm Faschismus - ein politischer Kommentar? Cornelia Funke über den Reiz des Bösen, ihre Wahlheimat USA - und warum es sie interessiert, wie die Fliege an der Wand auf uns Menschen blickt.
Von Swantje Kubillus
Zur Person

Cornelia Funke, Jahrgang 1958, ist mit einer Gesamtauflage von 20 Millionen Büchern Deutschlands erfolgreichste Jugendbuchautorin. Den internationalen Durchbruch schaffte sie 2002 mit "Herr der Diebe". Funke ist Autorin der Tintenwelt- und Reckless-Romane, außerdem schuf sie die Jugendbuchreihe "Die Wilden Hühner". Ihr aktueller Roman "Das Labyrinth des Fauns" erschien im Juli im S. Fischer Verlag und ist eine Adaption des oscarprämierten Films "Pans Labyrinth" des mexikanischen Regisseurs Guillermo del Toro.

DER SPIEGEL: Frau Funke, in Ihrem neuen Roman "Das Labyrinth des Fauns" kämpft die Heldin Ofelia in einer Fantasiewelt gegen das Böse, historischer Hintergrund ist aber der Schrecken des Franco-Regimes. Hilft Lesen gegen Faschismus?

Funke: Lesen kann einem erklären, in den Schuhen anderer zu gehen. Wie fühlt es sich zum Beispiel an, ein Flüchtling zu sein? Aber allein das wird nicht reichen. Ich bin da bei Erich Kästner: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es." Das Einzige, was für mich zum Beispiel tatsächlich gegen die AfD hilft, ist, dass wir uns alle wehren und politisch aktiv werden. Man muss sich mit dem Thema beschäftigen und die Ängste derer, die nach rechts abwandern, ernst nehmen. Ich glaube, es ist einer der größten Fehler der Linken, diese Ängste den Rechten zu überlassen.

DER SPIEGEL: Was konkret soll die Linke denn tun?

Funke: Ein erster Schritt wäre, zuzugeben, dass wir eigentlich alle in uns eine rassistische Ecke haben. Weil wir Angst vor dem Fremden haben. Gleichzeitig denke ich natürlich auch, dass es doch eigentlich jetzt mal an der Zeit ist, dass die menschliche Spezies darüber hinwegkommt. Weil wir - und zwar eben alle - mit einer Klimakatastrophe zu tun haben und gemeinsam arbeiten müssen. Im Moment geht für mich eine politische Katastrophe mit einer klimatischen Hand in Hand.

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Cornelia Funke: Die Welten der Märchenerzählerin

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DER SPIEGEL: Ihre Romane handeln oft von mutigen Kindern und Jugendlichen, die sich in fantastischen Welten gegen einen autoritären Feind verbünden. Glauben Sie, ein Nazi würde Ihre Bücher lesen?

Funke: Man muss da vorsichtig sein. Lesen wird gern glorifiziert, nach dem Motto, das Buch ist immer gut. "Mein Kampf" war auch ein Buch. Ich glaube aber, dass ich nicht eine von den Schriftstellerinnen bin, die das Böse verklären. Trotzdem sehnt sich natürlich vielleicht auch ein Nazi nach etwas, das in meinen Büchern zu finden ist - auch wenn mir das nicht gefällt. In "Das Labyrinth des Fauns" würde er sich vielleicht im Hauptmann Vidal und dessen mörderischer Wut wiederfinden, dem brutalen Stiefvater von Ofelia, der Jagd auf spanische Partisanen macht.

DER SPIEGEL: Der Roman basiert auf dem Film "Pans Labyrinth" von Guillermo del Toro, wegen vieler brutaler Szenen bekam er die Freigabe "ab 16". Ihr Buch ist nun ab 14 empfohlen - glauben Sie, dass Jugendliche in dem Alter schon mit dem Stoff umgehen können?

Funke: Mein allererster Impuls war auch: Die sind zu jung dafür. Aber eigentlich denke ich, dass sie schon bereit sind, auch für harte Szenen. Und für mich war von Anfang an klar, dass ich nichts aus dem Film beschönigen oder gar verharmlosen werde. Nicht für alle Widerstandskämpfer geht es in der Geschichte gut aus. Der Faschismus in Spanien wurde nun mal nicht gestürzt. Ich denke, gerade in der derzeitigen politischen Situation ist es wichtig, sehr realistisch zu sein.

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Cornelia Funke, Guillermo del Toro

Das Labyrinth des Fauns

Verlag: FISCHER Sauerländer
Seitenzahl: 320
Für 20,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

29.05.2023 11.13 Uhr

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DER SPIEGEL: Sie leben seit 15 Jahren in Kalifornien. Wie geht es Ihnen dort unter Donald Trump?

Funke: Die Situation ist in den USA genauso beunruhigend wie überall sonst auch. Denken Sie an den Rechtsruck in Italien oder das Brexit-Votum in Großbritannien; von Freunden aus Deutschland, die keine Weißen sind, höre ich, dass sie wieder auf offener Straße angefeindet werden. Trump ist in dieser Hinsicht nur ein besonders peinliches Aushängeschild. Es ist gefährlich, dass es durch Leute wie ihn wieder gesellschaftsfähig wird, sich rassistisch zu äußern. Es ist, als ob das alte Monster wieder den Kopf hebt.

DER SPIEGEL: Was bedeutet es für Sie, fantastische Literatur zu schreiben?

Funke: Ich will es mal so formulieren: Ist Ihnen in diesem Moment bewusst, dass wir gerade auf einem Planeten sitzen, der um einen Feuerball kreist?

DER SPIEGEL: Nein. Nicht wirklich.

Funke: Beobachtet uns die Fliege an der Wand ganz anders als wir sie?

DER SPIEGEL: Vermutlich.

Funke: Jeden Tag bin ich bestürzt über meine eigene Unwissenheit über diese Welt. Über das, was kreucht und fleucht und was mich an Vielfalt des Lebens umgibt. Das heißt, jedes fantastische Erzählen wird gespeist von unserer Wirklichkeit. Alles ist viel umfassender, verzauberter und unwirklicher, als wir uns das vorstellen können. Von daher ist fantastisches Erzählen für mich eine Möglichkeit, dem Fantastischen unserer Existenz etwas näher zu kommen.

DER SPIEGEL: Wird es eine weitere Zusammenarbeit mit Guillermo del Toro geben?

Funke: Das weiß nur Guillermo. Ich denke, dass das eine so unglaubliche Erfahrung war, dass man das nicht zwingend wiederholen muss. Aber ich habe mit ihm auch schon an Filmstoffen gearbeitet - wir beide denken ähnlich über die Welt und haben dieselben Werte. Ich bin immer für eine Zusammenarbeit mit ihm offen.

DER SPIEGEL: Könnten Sie sich vorstellen, auch mit anderen Fantasyregisseuren zusammenzuarbeiten? Etwa mit Peter Jackson?

Funke: Peter? Nein. Ich habe die "Herr der Ringe"-Filme sehr oft gesehen, und es gibt vieles daran, das mein Leseerlebnis ergänzt hat. Aber da waren auch viele Dinge, die mir gar nicht gefallen haben.

DER SPIEGEL: Nämlich?

Funke: Peters Besessenheit mit Gollum und den Schlachten…, gerade beim zweiten und dritten Teil. Da hat er ganz viel verpasst, finde ich. Guillermo hatte ja den Hobbit auch hingeschmissen, als er merkte, wo das Ganze hingehen soll - und Peter Jackson hat es haltgemacht. Ich glaube, Guillermo ist eine ganz andere Art von Regisseur. Mit anderer Inspiration.

DER SPIEGEL: Welches ist denn Ihre?

Funke: Die amerikanische Wildnis ist für mich immer noch die größte Verzauberung. Mein Grundstück ist 2,5 Hektar groß. Oft kommen mich junge Künstler aus aller Welt besuchen. Ich erkläre Ihnen dann, dass es nachts Kojoten gibt, die aber keine Menschen angreifen, man sich vor Berglöwen aber in Acht nehmen sollte. Es gibt dort auch Erdmännchen und Klapperschlangen. Neulich saß ich draußen auf der Veranda, der volle Mond hing hinter meiner hundert Jahre alten Platane und über mir zog eine riesige Eule ihre Runden.

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