Neue Erzählungen von Heinz Strunk Versifft, verfettet, versackt

Grill- und Frittierstation in einem Imbiss
Foto: Getty Images/ iStockphotoIm Borstellgrilleck liegt das Fett in der Luft. "Schaschlikmief" und "Imbissfraß" - das ist die Welt von Anja, einst eine attraktive Mittzwanzigerin, die nur vorübergehend in der Wurstbude arbeiten wollte, aber dann den "Absprung" nicht mehr geschafft hat. Als nach einer schier endlosen Pechsträhne nur noch ein Wrack von ihr übrig ist, verbannt sie ihr Chef in den Keller zum Vorbraten von Frikadellen. Schließlich soll sie keine Gäste abschrecken!
Dieses tragische Schicksal ist nur eines von vielen in Heinz Strunks grandiosen Erzählungen. Die meisten seiner Antihelden glauben anfangs noch an das große Glück, bis ihnen das Leben einen Strich durch die Rechnung macht. Viele stehen nach dem Fall wieder auf, flüchten in den Alkohol oder belügen sich selbst.
Sie alle eint die Einsamkeit und manchmal ein zähes Don Quichottentum. Jahrelang kämpft beispielsweise eine beleibte Frau mit dem Umstand, dass niemand etwas von ihr wissen will. Zumindest im Netz glaubt sie Teil einer Gemeinschaft zu sein, die sie mit Sprüchen wie "Wer morgens zerknittert aufsteht, hat am Tag die besten Entfaltungsmöglichkeiten" versorgt.
Was Strunk in "Das Teemännchen" meisterhaft gelingt, sind kleine, flatterhaft locker geschriebene Vermessungen der Tiefebenen unserer Gesellschaft. Typen wie dem Trinker, Currywurst-XXL-Konsumenten, dem gestrandeten Nostalgiker und überhaupt all den armen Schweinen, die nie "vom Fleck gekommen, im schlechten Sinne immer [die] Alte[n] geblieben" sind, gibt er ein Gesicht.
Worte, getränkt in Ekel und Siff
Der Autor denkt sich wie schon in seinen Romanen "Der goldene Handschuh" und "Jürgen" in die Psychen und Milieus von Losern ein, erweist sich als Koryphäe der Rollenprosa. Um seine Momentaufnahmen, deren Prägnanz an Bilder von Straßenfotografen erinnert, so authentisch einzufangen, nutzt er allerlei aufgelesenes Sprachmaterial: Jargon, Sprichwörter, Zeilen aus alten Schlagersongs.
Ähnlich einem Soziologen thematisiert der geniale Szeneliterat dabei stets die eigendynamische Wirkung von Räumen. Besonders Nicht-Orte wie Autobahnraststätten haben es ihm angetan: "Schattenreiche, errichtet auf den Säulen Müllfraß, Pornozeitschriften, Kondomautomaten und Fernfahrerduschen", wo zum Beispiel ein "adipöse[s] Pärchen" seine Zeit am Spielautomaten verbringt.
Neben den unpersönlichen Lokalitäten finden sich Schuppen für Absacker und Abstürze wie das "Madhaus". Dort füllen zwei schäbige Metal-Fans des Nachts Jungstudentinnen ab, um sie von diesem "Saufladen" direkt nach Hause zu karren. "Sie begrabbeln die widerstandsunfähigen Mädchen und am Ende spritzen sie ihnen ins Gesicht. Das filmen sie mit ihren Handys. Knapp sechs Minuten Cumshots sind auf diese Weise schon zusammengekommen." Die Worte sind getränkt in Ekel und Siff, sind Ausweis emotionaler Verrohung.
Preisabfragezeitpunkt
07.06.2023 09.01 Uhr
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Ohne dezidiert politisch sein zu wollen, sind Strunks Geschichten mit sozialem Sprengstoff angereichert. Er dokumentiert das Brodeln im Untergrund, die angestaute Wut und Desillusionierung der "schweigende[n] Mehrheit".
Dass man jenseits dieser wirklichkeitssatten Prosa auch ins Fantastische weisende Miniaturen entdecken kann, offenbart eine ganz erfrischende Seite des Popstars unter den zeitgenössischen Autoren. Ein grantelnder Gast wird von seinem Hotelzimmer verschluckt, und eine Gruppe von Kleinstwagen begehrt gegen die großen Karosserien auf, womit sie den globalen Verkehr lahmlegen - vielleicht ein Gleichnis auf die noch ausstehende Revolution der Modernisierungsverlierer? Zumindest "eine wundersame Fügung, wie sie allein die Welt noch retten kann", heißt es am Schluss.
Strunk öffnet also ein kleines Fenster für die Abgehängten. Für sie mag das ein kleiner Hoffnungsschimmer sein. Uns Leserinnen und Lesern gewährt es einen Einblick in vernachlässigte und manchem fremde Randbezirke unserer Gesellschaft. Dort, jenseits der bürgerlichen Mitte, sammelt der momentan anregendste Erzähler der deutschen Gegenwartsliteratur seine tragikomischen Geschichten auf, für die er einen so konsequenten wie stimmigen Sound entwickelt hat. Man vernimmt das pure Leben: echt und unverstellt.