Neuer Roman von Dave Eggers Den USA bleibt nur Masochismus

Schriftsteller Dave Eggers: Gegenwartsgesättigte Reportageromane
Foto: Michelle QuintIn der Wüste Saudi-Arabiens soll ein neues Dubai entstehen, ein Nobelresort und Glitzerquartier mit Meeresblick, in dem sich Reisende aus dem Westen wohlfühlen sollen, das aber auch zur behutsamen Modernisierung des islamischen Landes beiträgt. Vielleicht dürfen in der King Abdullah Economic City, wie das (real existierende) Projekt heißt, dereinst sogar Frauen Auto fahren. Alan Clay interessiert dies nicht sonderlich, was nicht daran liegt, dass er in seinem früheren Leben Fahrradverkäufer war. Der Amerikaner Clay ist 54 Jahre alt, die Hauptfigur in Dave Eggers' Roman "Ein Hologramm für den König" - und er ist gescheitert.
Clay gehört zu den Verlierern in einer neuen Weltordnung, in der Arbeitsplätze ausgelagert und Traditionsunternehmen verkauft werden. Er ist bei Freunden und Geschäftspartnern verschuldet, kann das Studium seiner Tochter nicht mehr bezahlen - ein alternder Mann mit altmodischen Geschäftsvorstellungen. In Saudi-Arabien will er das Glück erzwingen und das große Geschäft machen. Die Technik des funkelnden Wirtschaftsdorados soll von einer amerikanischen IT-Firma kommen, und Clay will deren Konzept an König Abdullah höchstselbst verkaufen.
Dumm nur, dass sich der König für sein einstiges Lieblingsprojekt überhaupt nicht mehr interessiert. Die Baustelle in der Wüste steht mehr oder weniger still - das arabische Pendant der deutschen Großprojekte, nur viel größer: Berliner Großflughafen plus Stuttgart 21 plus Elbphilharmonie. In einem klimatisierten Zelt mit nur teilweise funktionierender Internetverbindung bereiten sich Clay und sein Team, in dem die anderen Mitarbeiter ein Vierteljahrhundert jünger sind als er, auf eine Präsentation vor dem König vor. Das Hologramm eines Kollegen aus London, das den Kern der Leistungsschau bilden soll, ist die Metapher für die Komplettvernetzung der Welt.
Chinesen sind billiger
Eine Welt, mit der der tragische Held Clay nicht mehr mithalten kann. Der Mann ist ein wandelnder, sympathisch-vertrottelter Anachronismus, der seine Anwesenheit in Saudi-Arabien der Jahrzehnte zurückliegenden Bekanntschaft mit dem Neffen des Königs verdankt und nun verzweifelt versucht, einen letzten Coup zu landen. Doch weil er impotent ist, gelingen ihm nicht einmal mehr erotische Techtelmechtel.
Eggers, ein Profi für gegenwartsgesättigte Reportageromane ("Zeitoun", "Weit gegangen"), versteht es, mit einem warmherzigem Blick zu betrachten, wie der Mensch dem globalisierten Kapitalismus auf absurde Weise ausgeliefert ist. Man ist sich nicht ganz sicher, ob Clay seine Würde bewahrt, aber auch in grotesken Szenen mit asiatischen Wanderarbeitern, flirtenden Frauen, gelangweilten Kollegen (wo bleibt der König?) gibt ihn Eggers nie dem Spott preis. Meisterhaft gelingt es ihm, seinem Helden nahe zu kommen: in einem intimen, aber nie distanzlosen Porträt.
Clays welker Körper symbolisiert dabei überdeutlich: Amerika ist nicht mehr der Kraftmeier im Gefüge der Welt. Am Ende kommt der König tatsächlich, aber er hat die Chinesen mit im Schlepptau. Sie sind viel billiger. Die amerikanische Literatur ist mit Eggers in ihrer masochistischen Phase angekommen, aber sie betrachtet den schleichenden Bedeutungsverlust Amerikas mit heiterer Gleichgültigkeit: Nun ist halt mal China dran, na und?
Man kann das bisweilen vielleicht ein wenig zu perfekt komponierte "Hologramm für den König" aber auch als durchaus berührende und menschliche Reisegeschichte lesen, in der ein Amerikaner in Arabien strandet und verwundert feststellt, dass er mit Neid auf die dortigen patriarchalischen Strukturen blickt. Einmal, bei einem Roadtrip in die Berge, hilft Clay spontan zwei Wildfremden beim Errichten einer Mauer: Er versteht kein Wort von dem, was die anderen sagen. Aber man baut gemeinsam, die Muslime und der Westler, abgehängt vom Fortschritt oder nie an ihm interessiert - und für einen Moment zufrieden.
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