Debüt-Roman von Marc Fischer Koks essen Seele auf
Noch bevor Marc Fischers Debütroman "Eine Art Idol" so richtig losrockt, lassen die vorangestellten Zitate bereits erkennen, wohin die Reise geht: Der Masterplan stammt vom Radikal-Philosophen E.M. Cioran, die Hymne an den "Last Of The Famous International Playboys" liefert Ex-"Smith" Morrissey. Gewidmet sind die folgenden dreihundert Seiten dazu Lee Hazlewood, der auf seinem letzten Album "13" nach eigener Auskunft die Storys von Zuhältern, Huren, Fixern, Gangstern und sonstigen traurigen Gestalten erzählte.
Das klingt mehr als nur ungemütlich, und tatsächlich findet sich der als Briefkastenonkel einer Hamburger Boulevardzeitung gescheiterte Ich-Erzähler eines unerfreulichen Tages auf der dunklen Seite des Mondes wieder: "Ich war ein Schiffbrüchiger im Meer der Nacht, über dem der Rettungshubschrauber der Abendpost gekreist hatte, doch der Hubschrauber drehte ab und überließ mich den schwarzen Wellen, dem Untergang, den Haifischen. Da wäre es besser, der Hubschrauber wäre gar nicht erst gekommen."
Doch anstatt sich wie jeder normale Mensch schleunigst auf den Weg zur Drogen-, Schulden- und Typberatung zu machen, wirft sich der Mann, den sie in besseren Zeiten "Doktor Klug" nannten, dem Untergang mit offenen Nasenflügeln entgegen: "'Angst essen Seele auf, sagt Fassbinder', sagte ich, mit einem Hundertmarkschein in der Nase. Ich aber sage: 'Auch Koks essen Seele auf'." Dergleichen Einweg-Späße sind einige zu finden, der "Eiserne Sachbearbeiter" namens Bismarck, der den Dispo-Kredit ziemlich überzogen findet, beispielsweise. Und wer mag, darf sich auch an der Beschreibung eines "älteren Schriftstellers" ergötzen, "der Romane über den Wahnsinn schrieb und sich am Frühstückstisch manchmal mit dem Brotmesser am Bein herumschnitt, um beschreiben zu können, ob das Blut geradlinig fließt oder Umwege nimmt."
Zur "schlecht gekünstelten Münchner Mundart, die seit einiger Zeit als schick gilt", kann man nur sagen: "Passt schon" und besonders neckisch sind obendrein die Peinlichkeiten beschrieben, die den Alltag des zeitgenössischen Medienproletariats ausmachen; selbst in den hippsten Clubs trifft man immer jemanden, der einen noch aus der Zeit beim Telefonmarketing kennt.
Hier also wird die Fallhöhe verhandelt, aus der wohlbehütete junge Menschen nach gelegentlichen Überflügen schnell mal abstürzen. So, wie dem Autor Marc Fischer seine Existenz als renommierter Magazinjournalist anscheinend nicht ausreicht und es ihn nun zur Schriftstellerei drängt, reicht auch dem Erzähler sein Dasein als flotter Zeilenschmied nicht aus: Samurai will er stattdessen werden, "Hingabe" finden und fortan ein "Leben voller Anstand und Ritterlichkeit" führen, was natürlich schwierig wird, wenn man als "Meister des Halbwissens" noch die Miete für eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in Hamburg-Hoheluft zusammenkratzen muss. Außerdem ist da ja noch diese andere lästige Verpflichtung, denn: "Der Weg des Samurai" führt nämlich nicht etwa in die Hamburger Szene-Kneipe "Pudel Klub", sondern "ist der Tod".
So sinnlos wie all die Abende in den bekannten Hamburger Kneipen soll diese letzte Reise indes nicht sein, schließlich möchte auch der Erzähler um jeden Preis Weltgeschichte schreiben oder wenigstens Teil einer Jugendbewegung sein - die sich ihm in Gestalt des Mäzens Max Höller nähert, der ihn erst von finanziellen Sorgen erlöst und dann zum Sprachrohr dieser Bewegung macht. Begeistert mischt er mit, schreibt deren Manifest und will sich und die Berliner Siegessäule am Ende mit ein paar Kilo Semtex in die Morgenluft einer kommenden Revolution jagen. Dass mit dem Sieg der "Schattenarmee" unter anderem die Demokratie abgeschafft werden würde, kümmert ihn dabei kaum, Hauptsache, es ist mal wieder Action. Anders formuliert: Die sprichwörtliche "Tugend der Orientierungslosigkeit" im Tim-Staffel-Remix.
Damit ist Marc Fischer zwar nicht der große Wurf, aber zumindest die Darstellung der Befindlichkeit eines wegen ihres wachsenden Einflusses nicht zu unterschätzenden Teils der Jugend von gestern gelungen, die man getrost als eine der vielen unerfreulichen Begleiterscheinungen der Kohl-Ära betrachten darf. Heute um die dreißig, aufgewachsen in westdeutschem Wohlstand und, wie beispielsweise in "Tristesse Royale" nachzulesen, von allen guten Geistern verlassen. Schön, dass es mal jemand aufgeschrieben hat, schade dass jemand, der die Reportage besser als den Roman beherrscht, heutzutage nicht einfach guten Gewissens bei seinen Leisten bleiben darf. Hätte der Mann doch auf Morrissey gehört: "Do Your Best And Don't Worry."
Marc Fischer: "Eine Art Idol". Kiepenheuer & Witsch, Köln; 316 Seiten; 22,90 Mark