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Wettlesen in Klagenfurt: Kopfsprünge in den Wörthersee

Foto: Leif Randt

Debütant beim Bachmann-Preis Preis gewonnen, Pferdehandtuch verloren

Baden im Wörthersee, Trinken im Kollegenkreis - ach ja, und Vorlesen vor einer Jury, live im TV: So ist der Literaturwettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis. In diesem Jahr war Leif Randt erstmals in Klagenfurt dabei - für SPIEGEL ONLINE führte er Tagebuch beim legendären Wettlesen.

Montag, 4. Juli, 10 Uhr 20, WG-Zimmer

Jetzt ist es tatsächlich passiert. Ich hatte einen unangenehmen Klagenfurt-Traum: Als ich vorlesen wollte, waren alle Buchstaben vertauscht. Später im Traum erzählte ich meiner Mutter am Telefon von dem Vorfall. Sie sagte mit bedrückter Stimme: "Nein, so ist das nicht gewesen. Ich habe es im Fernsehen mit angesehen. Das war nur die Aufregung, mein Sohn."

Mittwoch, 6. Juli, 15 Uhr 20, Hotelzimmer

Ankunft im Hotel. Es ist brüllend heiß. Ich will duschen gehen, aber schaue vorher noch nach E-Mails. Als ich kurz nackt vor meinem Laptop sitze, öffnet ein Zimmermädchen die Tür. Sie entschuldigt sich und verlässt mein Zimmer. So fängt das also an in Klagenfurt. Ein bisschen peinlich und ein bisschen bedrängend.

Mittwoch, 6. Juli, 22 Uhr, ORF-Studio

Auslosung der Lesereihenfolge. Das Studio, in dem vorgelesen und diskutiert wird, ist so eng bestuhlt, dass man fast übereinander sitzt. Die Autoren wurden in der zweiten Reihe alphabetisch geordnet. Eigentlich würden alle gerne am Donnerstagnachmittag lesen, um danach tagelang stressfrei im See baden zu können, aber das geht natürlich nicht. Ich ziehe das Los mit der 11, lese also erst am Samstagmorgen, gefühlt in ein paar Jahren. Im Garten vor dem Studio wurde ein Buffet und eine Open-Bar aufgebaut. Die Autoren sprechen über ihre Startnummern, die Lektoren sprechen über ihre Autoren, viele klagen über Kopfweh. Zu essen gibt es unter anderem gebackene Hähnchenschnitzel, die als traditionell Österreichisch beschrieben werden, und die mir sehr imponieren.

Donnerstag, 7. Juli, 2 Uhr 20, Wörthersee

Eine Gruppe Betrunkener fährt auf Mietfahrrädern zum Wörthersee. Wir haben beim ORF-Studio Tischdecken geklaut, um sie als Handtücher zu benutzen. Eigentlich sind wir ja alle gar keine Typen, die nachts nackt in Seen springen. Doch in Klagenfurt drängt sich das irgendwie auf. Und es hat wohl auch Tradition, zumindest sagen das diejenigen, die hier schon öfter waren, weil sie für Zeitungen oder Verlage arbeiten. Auf dem Weg zum Steg geht eine Weißweinflasche zu Bruch, und dann ist das klagende Geschrei erstmal groß. Das Wasser ist ungemein mild und rund um den See ragen Berge in den Himmel. Nirgendwo künstliches Licht. Obwohl die Nacht sternenklar ist, können wir nur unsere hellen Silhouetten erkennen, kaum physische Details. Darüber sind wir wohl alle etwas erleichtert.

Donnerstag, 7. Juli 2011, 12 Uhr 20, ORF-Gelände

Am ersten Lesetag brennt die Sonne vom Himmel, so wie auch an allen anderen Lesetagen. Draußen vor dem Studio stehen Bierzeltgarnituren unter Pavillons, auf TV-Schirmen ist der Wettbewerb zu verfolgen. Einige Zuschauer haben sich Würstel im Kelag-Café geholt. Ich stoße spät hinzu. Man scheint auf meine vergleichsweise bunten Shorts zu achten. Einer hebt den Daumen und ruft mit fränkischem Akzent: "Eins-A-Outfit!" Einige sprechen über die zerbrochene Weißweinflasche von gestern Abend, andere über den Text, der gerade vorgelesen wurde. Ein junger Lektor sagt zu einer jungen Lektorin: "Ich fand das eigentlich geil. Ich mochte diese vielen eher schiefen Bilder. Das hatte Energie."

Donnerstag, 8. Juli, 21 Uhr 30, Bürgermeisterschloss

Und wieder ein Buffet. Diesmal hat der Bürgermeister der Stadt Klagenfurt in einen prachtvollen Vorgarten geladen, mit Blick auf den See. "Hier fehlt eigentlich nur Roy Black", sagt einer, während er sich einen Sekt-Aperol von einem der Tabletts nimmt. Solange die Sonne noch golden auf dem See glitzert, mache ich einige Fotos.

Freitag, 8. Juli, 3 Uhr 40, Diskothek Teatro

Ein gut gebräunter Verleger, der schon seit 25 Jahren nach Klagenfurt fährt, stellt sich neben der Tanzfläche zu mir und sagt: "Du bist der introvertierteste Typ, der mir im Kreativsektor bisher untergekommen ist. Glaubst du, dass alles zu dir kommt?" Ich sage: "Ja." Dann herzt er mich: "Das grenzt ja an Autismus." Ich erkläre, dass ich mein Autismus-Selbstbild vor einiger Zeit abgelegt habe. Weil es nämlich gar nicht stimmt. Wir stoßen an.

Freitag, 8. Juli, 17 Uhr 45, Strandbad Wörthersee

In den Wörthersee ragen mehrere Sprungbretter. Mittlerweile lasse ich mich auch tagsüber auf jeden Badespaß ein: vier Kerzen, drei Kopfsprünge, sechs Arschbomben.

Samstag, 9. Juli 2011, 1 Uhr 57, Hotelzimmer

Noch acht Stunden bis zu meiner Lesung im TV. Ich gehe auf dem roten Teppichboden meines Hotelzimmers auf und ab. Es ist viel zu warm, ich dusche einmal kalt, womit ich meinen Kreislauf schon wieder wahnsinnig anrege, und als ich an der Minibar vorübergehe, denke ich das hässliche und völlig unsinnige Wort 'Absacker'. Draußen heizen Jugendliche auf Vespas über das Kopfsteinpflaster, eine Gruppe Einheimischer streitet sich laut auf offener Straße. Für mich ist ihr Kärntnerisch kaum zu verstehen. Es weht überhaupt kein Wind ins Zimmer. Ich denke mir: 'Egal wie wenig ich schlafe, morgen werde ich topmotiviert aus dem Bett schießen.'

Samstag, 10. Juli 2011, 8 Uhr 10, Hotelzimmer

Der Handywecker klingelt. Ich schieße überhaupt nicht aus dem Bett. Trotzdem schaffe ich es erstmals ans Frühstücksbuffet. "Du hast ja die Ruhe weg!", sagt eine andere Autorin vor einer Schale Müsli. "Geht so", sage ich. Beim Griff zur Teetasse zittert meine Hand.

Samstag, 10. Juli 2011, 9 Uhr 40, ORF-Studio

"Wollen Sie diese Struppigkeit mit Haarspray fixieren?", fragt die herzliche Dame in der Maske. Ob es dann nicht sehr fettig aussehen werde, möchte ich wissen. "Nein, nein", antwortet die Dame, "nicht wenn man Qualitätsprodukte benutzt." Wenig später betrete ich das Fernsehstudio mit einem feucht glänzenden Kopf.

Samstag, 9. Juli 2011, 15 Uhr 10, ORF-Gelände

Alle Lesungen sind vorbei. Ich wurde von der siebenköpfigen Jury kaum hart kritisiert. Es bildeten sich Lager. Zwei klare Gegner, zwei klare Fans, drei, die ein bisschen Lob hatten und auch ein bisschen Kritik. Mir fällt auf, dass ich mich insgeheim auch über die Gegner freue. Denn ästhetische Feindbilder bringen Spaß. Eines der beiden treffe ich Stunden nach der Lesung auf der Studio-Toilette. Wir grüßen uns halbherzig, wir lächeln nicht.

Sonntag, 10. Juli 2011, 4 Uhr 5, Diskothek Teatro

Das Teatro muss nach österreichischem Recht eigentlich um Punkt vier Uhr schließen. Doch der DJ spielt eine Zugabe, weil einige lautstark "One more Hit!" skandieren. Er entscheidet sich für "We are the world" von Michael Jackson. Die übrig gebliebenen Gäste, fast ausschließlich Literatur-Geschäftsreisende, stellen sich im Kreis auf, Arm in Arm, und beginnen zu schunkeln. Unser Schunkeln fühlt sich wie Seegang an. Und wir singen alle mit.

Sonntag, 10. Juli 2011, 12 Uhr, ORF-Studio

Zuletzt werden meine ästhetischen Feinde doch noch überstimmt und ich erhalte einen Preis. Im Laufe des Nachmittags kommen fünf der sieben Juroren auf mich zu und gratulieren. Nur die beiden Gegner bleiben mir fern. Ich finde das ehrlich und eigentlich gut von ihnen und ich wünsche ihnen für die nächsten Jahre, in denen ich ihnen hoffentlich nie mehr begegne, nur das Beste.

Sonntag, 16 Uhr 50, Airport-Klagenfurt

Ich habe im Gepäck noch einmal nachgesehen. Aber jetzt ist es Gewissheit: Ich habe mein Pferdehandtuch, das ich über die letzten Monate so sehr lieben gelernt habe, am Wörthersee verloren.

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