Deutsche Debüts Andreas Kurz - märchenhaft lachhaft
Es war einmal ein Frosch. Er hieß Harry. Weil nichts dran war an ihm, nannten ihn alle nur den "Dünnen". Meistens beachteten sie ihn aber gar nicht, denn er war nicht cool und ging allen auf die Nerven mit seinem Faible für einen unbekannten amerikanischen Dichter namens Kaminski. Die öden Sprüche und grottenschlechten Gedichte diese "Geheimtipps" unter der "Underground"-Dichtern wird Harry bei jeder unpassenden Gelegenheit los: "Die Ruhe liegt im Suff " oder: "Nachfalter schwirren / suchen nach Licht / glauben, wo es hell ist / ist es besser. / Nachtfalter irren." Der "Dünne" hält das für "Großstadtpoesie".
Es war einmal ein Aschenputtel. Es hieß Moni. "Moni hatte ein Dutzendgesicht und mindestens fünf Kilo zuviel." Außerdem hat sie kurze Beine und breite Hüften. Sie ist nett und ein bisschen naiv, "Typ graue Maus". Das reicht, um am Dating-Markt nicht wahrgenommen zu werden unter all den anderen Prinzessinnen mit langem blondem Haar, "insektenartigen Gliedmaßen" und "runden, perfekten Brüsten".
Eine Begegnung zwischen dem Frosch, der gern König wäre, und dem Aschenputtel, das auch mal einen Prinzen zu Gesicht bekommen möchte, sieht das Märchen bekanntlich nicht vor. Also hilft der Münchner Autor Andreas Kurz in seinem Roman "Nachtfalken" ein bisschen nach. Die beiden einsamen Herzen Harry und Moni treffen sich in einer deutschen Großstadt-Bar: Zwei sympathische Verlierer unter lauter Gewinnertypen oder jedenfalls solchen, die sich dafür halten.
Walter Wollenschläger zum Beispiel, der esoterische Fernsehproduzent mit der alten Seele und dem ganz speziellen Sensorium fürs Feinstoffliche. Goldmine-Pictures heißt seine Firma, und eine Fernsehshow will er produzieren, um "im Strom kosmischer Energie leicht und fast wie nebenbei reich zu werden." Oder Max König, den Walter als Sponsor ködern will. Er reist aus Teneriffa an und verspricht, für Wollenschlägers Fernsehshow das Geld "mediengeiler Anleger" aufzutreiben gegen entsprechende Beteiligung: "Sagen wir 25 Prozent", zu überweisen auf ein Konto auf den Cayman Islands.
Unesoterischer Ideenklau
"Nachtfalken" so heißen nur haarsträubend schlechte Bücher oder solche, deren Titel nicht ganz ernst zu nehmen sind. Zum Glück gehört Andreas Kurz Roman zur zweiten Kategorie. Seine Nachtfalken entpuppen sich nämlich ziemlich schnell als flügellahme Enten, Möchtegern-Zampanos der Medien- und Showbranche, in der sie nicht einmal eine Statistenrolle spielen, auch wenn sie sich als Hauptdarsteller ausgeben: Der eine lebt ganz unesoterisch vom Ideenklau, dem anderen sind längst die Gläubiger auf den Fersen.
Andreas Kurz ist ein bisschen wie Helmut Dietl für die ärmeren Haushalte: Mittelklassige Bar statt mondäner Italiener, zerknittertes Leinen statt edle Seide. Und sein Roman ist von der Beschwingtheit und Leichtgewichtigkeit eines Sommerhits: das Richtige für den Strand, selbst wenn es im Buch schon Herbst geworden ist.
"Nachtfalken" ist ein spätes Romandebüt. Kurz ist Jahrgang 1957, aber alles andere als ein Anfänger. Er arbeitet als Texter und Drehbuchautor, hat schon zahlreiche Erzählungen in verschiedenen Anthologien veröffentlich, und das merkt man seinem Roman an. Kurz kann Dialoge schreiben, er hat ein Ohr für den Jargon der Medien- und Esoterikbranche, für das Gelaber, die Phrasen und flotten Sprüche der Spaßgesellschaft und als ehemaliger Kameramann und Regisseur ein Faible für harte Schnitte.
Sein heiteres Panoptikum verzweifelt komischer Vögel samt ihrer halbseidenen Geschäfts- und vollkaputten Partnerschaftspraktiken erzählt er als flotte Folge kurzer Einzelszenen. Die fügen sich allesamt gut ineinander, und Kurz weiß, wo er den Zufall ins Spiel bringen muss, um seiner Geschichte die Fahrt zu verleihen, die sie braucht, um mit Elan und Witz durch eine ereignisreiche Septembernacht zu kommen.
Herzkasper und Hybris
Ein bisschen Sex (mal ein flotter Dreier, mal eine Beinahe-Vergewaltigung), ein bisschen Crime, aber immer von der harmlosen Sorte; Blut fließt nur ganz wenig. Fast ist es wie bei Agatha Christie oder Edgar Wallace: Die Welt ist ganz schön niederträchtig, aber doch nicht so schlecht, dass man sich wirklich fürchten müsste, denn auch in "Nachtfalken" siegt am Ende die Gerechtigkeit.
Den Oberfiesling König holt der Herzkasper, der wehleidige und von grotesker Hybris befallene Wollenschläger wird das Geld, das ihm schon sicher schien, auch wieder los. Und die ewigen Verlierer Harry und Moni werden mit einer ordentlichen Dosis ehrlichen und aufrichtigen Gefühls belohnt: Aschenputtel darf endlich den Frosch küssen.
Zwar wird kein Prinzenpaar aus den beiden, aber wenn sie nicht gestorben sind, dann bescheint sie immer noch das "Licht einer warm im Abenddunst über dem Meer hängenden orangestrahlenden Sonnenscheibe." Es sei ihnen vergönnt. Schließlich wurde man von einem modernen Märchen auch schon mal schlechter unterhalten.
Andreas Kurz: "Nachtfalken". Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt/M., 176 Seiten, 13,40 Euro