Deutsche Mangas Jung, weiblich, sexy... Zeichnerin

Selbst malt die Frau: Talente wie Judith Park und Nina Werner sind die neuen Stars der hiesigen Manga-Szene. Die setzt neuerdings auf Alltagsstoffe - und schreibt so ihre Boom-Story fort. SPIEGEL ONLINE stellt die wichtigsten Vertreterinnen in einer Serie vor.

Vor zehn Jahren fing alles an. Im Oktober 1997 veröffentlichte Carlsen Comics den ersten Band einer hierzulande bis dahin eher unbekannten Comicserie aus Japan. "Dragonball" von Akira Toriyama, eine rasante, leichtfüßige Endlos-Action-Saga, war in Japan der erfolgreichste Vertreter seiner Zunft und hatte dessen Schöpfer zum Millionär gemacht.

"Dragonball" war nicht der erste Manga in Deutschland. Anfang der neunziger Jahre erschien Katsuhiro Otomos internationaler Bestseller "Akira" mit akzeptablem Erfolg ebenfalls bei Carlsen. Und bereits im Februar 1982 waren Keji Nakazawas gezeichnete Erinnerungen an den Abwurf der Atombombe, "Barfuß durch Hiroshima", in einer deutlich gekürzten Fassung bei Rowohlt erschienen - somit wurde der erste Manga in deutscher Sprache ausgerechnet bei einem klassischen Belletristik-Verlag veröffentlicht.

Dennoch war "Dragonball" eine Initialzündung für den deutschen Comicmarkt. Die Serie erschien in einer Aufmachung, die an Disneys "Lustige Taschenbücher" erinnerte: handlich, bunt, preiswert. Der Unterschied war, dass die Bände innen fast ausschließlich Schwarzweiß waren und in japanischer Lesrichtung - von hinten nach vorn - zu konsumieren waren. Gezielt schielte diese Produktionsweise auf den Massenmarkt. Mit Erfolg. Nach einem eher schleppenden Beginn explodierten die Verkaufszahlen nahezu. 6,5 Millionen Exemplare der 42-teiligen Serie wurden bis heute verkauft. Weitere Titel in ähnlicher Aufmachung - auch bei anderen Verlagen - folgten danach immer schneller. Und erschlossen so die Massen einer neuen Generation von Comic-Lesern.

Andreas Knigge resümiert in seinem Buch "Alles über Comics" (2004): "Lag im Startjahr 1997 der Manga-Gesamtumsatz in Deutschland noch deutlich unter einer Million Euro, so setzte fünf Jahre später allein Carlsen knapp 20 Millionen Euro mit japanischen Comics um: Das sind 30 Prozent mehr, als zehn Jahre zuvor sämtliche Comicverlage zusammen mit über 700 Albumtiteln veröffentlichten."

Mit dem Erfolg kamen die Nachahmer. 2001 erschien - ebenfalls bei Carlsen Comics - der allererste offizielle Manga eines deutschen Zeichners: "Dragic Master" von Robert Labs setzte nach Verlagsangaben 16.000 Exemplare ab. Inzwischen sind über 100 Titel deutscher Mangazeichner erschienen.

Und es werden immer mehr. Es sind heute vor allem junge Frauen, oft noch Mädchen, die mit ihren ersten Geschichten über enttäuschte Liebe, schulische Außenseiter und ausgeflippte Teenies handfeste kommerzielle Erfolge erzielen. Sie verändern damit massiv das Bild, das bisher vom typischen Comiczeichner existierte. Comiczeichnen ist jung, weiblich und attraktiv geworden.

Judith Park: "Luxus" (4 Bilder)

Fotostrecke

Fotostrecke

Klicken Sie bitte auf das Bild, um den Comic zu starten

Judith Park etwa, 1984 geboren, gilt als Bestseller bei Carlsen: 10.000 bis 20.000 Exemplare setzt sie mit jedem ihrer Bücher ab. Als "Dystopia", ihr Erstling, erschien, war sie 20. Das Werk erhielt 2005 den Sondermann-Preis der Frankfurter Buchmesse als beliebtester deutscher Manga. Nina Werner ("Jibun-Jishin"), die in ähnlichen Auflagenzahlen verkauft, war sogar erst 18, als ihre Bestseller-Karriere begann.

Und diese Künstlerinnen sind keine Ausnahme. "Auf jeden veröffentlichten Manga eines deutschen Zeichners müssen wir knapp hundert Bewerbungen ablehnen", schätzt Kai-Steffen Schwarz, bei Carlsen für Mangas verantwortlich. Buchstäblich Hunderte junge Frauen erzählen inzwischen ganz alltäglich ihre Geschichten in Manga-Form.

Größtes Portal im deutschen Sprachraum auch für Mangakünstler ist Animexx . Die Community bietet nicht nur Platz für Fans japanischer Bildkultur, sondern auch für Aktive. Über 582.000 Skizzen, Bilder und ganze Comics, mitunter mehrere Kapitel lang, liegen derzeit für jeden öffentlich zugänglich auf den Servern des Portals. Mehrere hundert kommen pro Tag hinzu. Auch wenn sich Animexx nicht explizit als Zeichnerplattform sieht, so ist doch "der Fanart-Bereich zentraler Teil unserer Seite und auch eines der beliebtesten Features", so Tobias Erlacher, einer der Betreiber.

Ein gewaltiges Potential, das inzwischen auch die Verlage für sich nutzen. Michael Möller vom Verlag Schwarzer Turm etwa sucht sich die Künstler für seine Manga-Anthologien inzwischen gezielt über das Portal. Die Geschichten entstehen exklusiv für den Verlag, die Künstler findet er im Netz.

"Anfangs", erzählt er, "habe ich mich beliebig bei Animexx durchgeklickt und mir einfach angesehen, was mir gefällt." Inzwischen sei ein regelrechtes Netzwerk aus Zeichnern und Sachverständigen allein über diese eine Website entstanden. Aufrufe zu Themenanthologien - wie zuletzt Bände über Horror, Sex und Märchen - würden so relativ schnell beantwortet. Fast monatlich erscheint ein neues Buch mit Beiträgen vom Online-Nachwuchs.

Einige der jungen Künstler haben es sogar schon ins Museum geschafft. Martin Jurgeit ist Kurator der Ausstellung "Wilhelm Buch und die Folgen" (derzeit im Wilhelm-Busch-Museum Hannover und Herausgeber des gleichnamigen Begleitbuches (Ehapa Comic Collection). In dem Band, der die bekannten Busch-Geschichten neu interpretiert vorstellt, werden erstmals klassische Comic-Künstler wie Ralf König und Volker Reiche neben den Manga-Künstlerinnen Anike Hage und DuO gestellt.

"Im Museum ist es neben dem etablierten Ralf König oft der Beitrag von DuO, der die meiste Aufmerksamkeit erhält", zieht Jurgeit Resümee. Für die Zukunft sieht er große Veränderungen im deutschen Comicmarkt: "Fast alle deutschen Nachwuchszeichner arbeiten derzeit im Manga-Stil." Für Jurgeit ist das eine positive Entwicklung, denn "es ist doch auch das, was vom Publikum gelesen wird. Diese Künstler haben mit ihren Auflagen und der Leserresonanz die besten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die der Comic-Nachwuchs in Deutschland je hatte."

Was vor zehn Jahren als Fremdimport begann, ist also Teil der deutschen Kultur geworden. In den nächsten Wochen wird SPIEGEL ONLINE acht dieser jungen Künstlerinnen und ihre Arbeit näher vorstellen - mit Porträts und zum Teil exklusiv erstellten Comics.

Mehr lesen über

Verwandte Artikel

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten