Fotostrecke

Don Winslow: Alle Staatsgewalt geht von der Drohne aus

Foto: Gervasio Sanchez/ ASSOCIATED PRESS

Don Winslows Thriller "Vergeltung" Kriegsmoral in Zeiten der Privatisierung

Konzentriert, konsequent, knallhart - und hochpolitisch. Don Winslow ist derzeit der wichtigste US-amerikanische Thriller-Autor. In "Vergeltung" jagt ein Söldner die Mörder seiner Familie und muss erkennen, dass die Zukunft Kriegsrobotern gehört.

Don Winslow schreibt, wie und was er will: Mit Romanen wie "Pacific Private" und "Zeit des Zorns" hat er den california neo noir erfunden, diese unwiderstehliche Mischung aus ultraharter Gewalt und lässiger Surfer-Attitüde. Sein neuer Roman ist alles andere als lässig: Er heißt "Vergeltung" und erzählt eine archaische Rachegeschichte vor dem Hintergrund des sogenannten Kriegs gegen den Terror: Ein Mann jagt die Mörder seiner Familie, ohne Rücksicht auf Verluste. Schließlich bleibt ihm sonst nichts mehr im Leben. Tausendmal erzählt? Na klar. Aber eben nicht so wie von Winslow. So konzentriert. So konsequent. So knallhart.

Und: so mutig. Denn die Helden seiner Geschichte sind nicht aufrechte Drogen-Cops oder coole Surfer-Dudes. Sondern: Söldner. Menschen, die für Geld marschieren und ohne Gewissensbisse morden. Zuletzt hatte John le Carré mit "Empfindliche Wahrheit" eine Anklage gegen den zunehmenden Einsatz von Privatarmeen in Krisensituationen geschrieben.

Winslow ist bereits einen Schritt weiter: Die Söldner in "Vergeltung" sind Auslaufmodelle, der menschliche Faktor wird in den Drohnenkriegen von morgen kaum noch eine Rolle spielen. Inmitten eines waffengewaltigen Showdowns sinniert Dave Collins, ehemaliger Elitesoldat und Anführer von Winslows Söldnertruppe: "Die moderne Kriegstechnik: Eine Handvoll speziell ausgebildeter Männer vernichtet mit technologisch ausgefeilten Waffen in nur wenigen Sekunden Dutzende von Gegnern. Nur dass die Waffen in Zukunft von Robotern bedient werden. Wir sind Dinosaurier."

Wer legt fest, was gute oder schlechte Gewalt ist?

Aber Dinosaurier, die immer noch dringend benötigt werden. Denn, das ist die Prämisse von "Vergeltung": In den USA ist man des Kriegs gegen den Terror müde oder hält ihn für bereits gewonnen, ignoriert die Gefahr, die von den Terroristen der Post-Bin-Laden-Ära ausgeht. Von Männern wie Abdullah Aziz. Smart, gut ausgebildet, weltgewandt: "Eine neue Art der Kriegsführung braucht auch neue Krieger. Keine religiös fanatischen Imame oder hoffnungsblinden Märtyrer." Und so ein "neuer Krieger" ist Aziz. Einer, der seine Mission verfolgt, als sei es ein Businessdeal. Der skrupellos genug ist, eine Passagiermaschine über New York abschießen zu lassen. Die US-Regierung vertuscht, dass es sich um einen Terroranschlag handelt, um nicht schon wieder in einen Krieg hineingezogen zu werden.

Für Aziz läuft alles nach Plan. Fast alles. Denn in dem abgeschossenen Flugzeug saß auch die Familie von Dave Collins, einem ehemaligen Delta-Force-Soldaten. Als er erfährt, dass der Absturz kein Unfall war, handelt er umgehend, stellt eine Söldnertruppe zusammen und macht sich auf die Jagd nach den Attentätern. New York, Marseille, Kenia oder Barcelona - vor Collins' Zorn sind die Terroristen nirgendwo sicher. Auch nicht in der angeblich uneinnehmbaren Gebirgsfestung auf Sumatra, in die sich Aziz zurückgezogen hat, um seinen nächsten Anschlag vorzubereiten.

Zwar hat Winslow auch "Vergeltung" im von ihm gewohnten Präsens geschrieben, doch während er in anderen seiner Bücher die Wörter und Sätze zum Tanzen bringt, marschieren sie hier in Reih und Glied, im Gleichschritt immer in dieselbe Richtung. Wobei Winslow sich selbst weitgehend außen vor lässt: Der Erzähler hält sich anders als in Romanen wie "Zeit des Zorns" und "Kings of Cool" mit Kommentaren - ob ironisch, zynisch oder einfach nur bitterböse - auffällig zurück. Nichts soll die alttestamentarische Wucht dieser Auge-um-Auge-Geschichte mindern.

Durch die Unmittelbarkeit seines Erzählstils, durch das Fehlen der gewohnten Brüche und ironischen Distanzierungen erreicht Winslow aber noch etwas anderes als Tempo und Spannung. Er bringt den Leser dazu, sich Fragen zu stellen: Dürfen wir den dutzendfachen Mord an Menschen als Unterhaltung genießen, daraus Befriedigung ziehen, dass Terroristen zur Strecke gebracht werden? Gibt es tatsächlich so etwas wie gute Gewalt? Und wer legt fest, was gute oder schlechte Gewalt ist, wenn der Staat sich plötzlich nicht mehr zuständig oder kompetent fühlt?

Trotz des Waffenfetischismus, dem Winslow, der wie gewohnt akribisch recherchiert hat, manchmal zu verfallen droht, und inmitten des mit Hilfe von modernen Hightech-Waffen entfesselten Kriegsgetöses werden diese Fragen immer wieder laut. Mit "Vergeltung" ist Don Winslow nicht nur ein extrem moderner, rasend schneller Thriller gelungen, sondern auch ein hoch politischer Roman, der den Leser subtil dazu auffordert, sich der moralischen Ambivalenz unserer Zeit zu stellen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten