Doris Dörrie

Mein Traum von einer Buchmesse Cannabisduft in allen Räumen, herrlich!

Doris Dörrie
Ein Gastbeitrag von Doris Dörrie
Die Frankfurter Buchmesse findet 2020 ohne Publikum statt - geht das überhaupt? Hier stellt sich Doris Dörrie einen Idealtag in Frankfurt vor: goldenes Halsband inklusive.
Bestsellerautorin Dörrie (l.) 2018 in München: Bis zum Rand gefüllt mit Champagner

Bestsellerautorin Dörrie (l.) 2018 in München: Bis zum Rand gefüllt mit Champagner

Foto: Franziska Krug / Getty Images

Wenn irgendeine müde, ausgelaugte Autorin dieses Jahr wie jedes Jahr im Zug nach Frankfurt fahren und in den Zirkus der Buchmesse getrieben würde, mit der muffigen Luft, den miesen Bratwürstchen und langen Schlangen vorm Klo, den anthrazitgrau erschöpften Menschen angesichts der alpenhohen Bücherberge und der furchterregenden Frage "Wer soll das alles lesen?" und vor allem "Wer soll denn mein Buch lesen?".

Wenn das so wäre, dann verginge der Autorin spätestens in Offenbach jegliche Lust und Kraft.

Da es aber dieses Jahr nicht so ist, schwebt sie mit freudig klopfendem Herzen und doppeltem Salto ein in die Stadt wie eine Trapezartistin im rot-weißen Fake-Chanel-Kostüm. Den Hessischen Hof hat man funkelnagelneu renoviert, nur für Autorinnen und Autoren, in jedem Zimmer gibt es Whirlpool, Schreibtisch mit Schreibgeräten jeder Art, eine Megabar bis zum Rand gefüllt mit Champagner, und in der Lobby empfängt sie ein junger, schöner, kräftiger Mensch, der die Autorin auf Händen in ihr Zimmer trägt, während er Schriftsteller ihrer Wahl rezitiert.

Sie wählt Kafka. An einem goldenen Halsband wird sie an langer Leine auf die Messe zur Arbeit geführt. In ihrer Schreibhand vermerkt ein implantierter Chip, wie viel sie pro Tag geschrieben und gelesen hat, denn selbst Autoren lesen nicht mehr, sondern schauen lieber Serien. Aber einen kleinen Stromschlag bekommt, wer heimlich Streamingdienste aufruft. Bei mehr als zweihundertfünfzig gelesenen Seiten pro Woche gibt es ein selbst gemischtes Müsli von Bas Kast und bei fünfhundert Seiten einen Kuss.

Frankfurter Buchmesse 2020

Podcasts, Videos, Interviews mit Schriftstellern und Rezensionen. In der SPIEGEL-BESTSELLER-Buchwoche bieten wir ein umfangreiches Programm zum Bücherherbst - hier das ganze Programm.

Seither wird gelesen wie verrückt. Die Schlangen am Eingang der Buchmesse sind schier endlos. Jeder Tag ist jetzt Publikumstag. Am Verlagsstand wird die Autorin angeleint, denn früher sann sie ständig auf Flucht. Da es dieses Jahr nicht so ist: da der Verlag auf einem nachgebildeten Matterhorn thront, zum besten deutschsprachigen Verlag mit dem schönsten Verleger gewählt wurde (das allerdings wie jedes Jahr), und Bas Kast küsst und küsst und küsst, und zur Stärkung ihm feinste Schweizer Schokolade gereicht wird, und alle so gut gelaunt sind, auch die Presseleute, ja, selbst die vom SPIEGEL! Das mag am Cannabis in der Luft liegen, das in alle Räume geblasen wird. Herrlich.

Und da es dieses Jahr nicht so ist, dass die Autorin die Bücher der anderen umdreht und ihr eigenes obenauf platziert, unbeachtet, ungelesen, ungeliebt in der Ecke hockt, dennoch bibbernd, dass jemand ihr ein Plagiat vorwirft, sondern sie glücklich und gut gelaunt Platz 112 auf der SPIEGEL-Bestsellerliste akzeptiert, ist nichts wie sonst.

Denn wenn sie, wie irgendeine hinfällige, an Buchmessengrippe erkrankte Autorin auf schwankenden Füßen vor einem unermüdlichen Publikum vom peitschenschwingenden, erbarmungslosen Verleger tagelang ohne Unterbrechung durch die Gänge getrieben würde, auf die SPIEGEL-Interviewbühne schwirrend, Küsse werfend, in der Taille sich wiegend, und wenn dieses Spiel unter dem nicht aussetzenden Brausen der Besucher und der Klimaanlagen in die immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft sich fortsetzte, begleitet vom vergehenden und neu anschwellenden Beifallsklatschen der Hände, die eigentlich Dampfhämmer sind - vielleicht eilte dann ein junger Leser die langen Gänge entlang, stürzte auf die Bühne, rief das "Halt!" durch das Geschwatze des immer sich anpassenden Publikums.

Da es aber nicht so ist: eine schöne Dame, weiß und rot, hineinfliegt, zwischen den Ständen, welche die stolzen Buchvertreter vor ihr öffnen, der Verleger, hingebungsvoll ihre Augen suchend, in Tierhaltung ihr entgegenatmet: vorsorglich sie auf die Bühne des SPIEGEL hebt, als wäre sie seine allergrößte Lieblingsautorin, die sich auf gefährliche Fahrt begibt; sich nicht entschließen kann, das Peitschenzeichen zu geben; schließlich in Selbstüberwindung es knallend gibt, neben dem Kritiker des SPIEGEL mit offenem Mund einherläuft, die Sätze seiner Autorin scharfen Blicks verfolgt, ihre Kunstfertigkeit kaum begreifen kann, mit Emoticons auf ihrem Handy zu warnen versucht; die Kaffeetassen haltenden Buchmessenhelfer zu peinlichster Achtsamkeit ermahnt; vor dem großen Salto mortale das Publikum mit aufgehobenen Händen beschwört, es möge aufhören zu quatschen, schließlich die Autorin vom Podium hebt, auf beide Backen küsst und keine Huldigung des Publikums für genügend erachtet, während sie selbst, von ihm gestützt hoch auf den Fußspitzen, von der Klimaanlage umweht, mit ausgebreiteten Armen, zurückgelehntem Köpfchen ihr Glück mit der ganzen Buchmesse teilen will - da dies in diesem Jahr so ist, legt der Leser das Gesicht auf ein Buch, und im Schlussapplaus wie in einem schweren Traum versinkend, weint er, ohne es zu wissen. Und träumt von Kafka.

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