Roman über Amerikas Ureinwohner
Blut, das an Federn klebt
Tommy Orange erzählt in seinem Debütroman "Dort, dort", wie das Trauma das Leben von Native Americans prägt - und spiegelt zugleich die Massaker unserer Zeit.
Der Rhythmus wird schneller am Schluss. Hier ein Blick auf Dene, dort Opal, hier Blue, da Orvil. Kürzestkapitel, reihum. Zwölf Menschen von Hunderten, zeitgleich an einem Ort, allein und doch verbunden. Bis sich im Stadion in Oakland über den Sound der Trommeln der Takt von Schüssen legt. Und viele dieser zwölf zersiebt sind von Kugeln.
Verzeihung, das musste sein. Es ist eine schwierige Abwägung, aber hier scheint es unmöglich, den Schlusspunkt auszusparen. Tommy Orange setzt ihn in "Dort, dort" so beklemmend, dass es einen umhaut - die Nominierung für den Pulitzer überrascht nicht weiter.
Unmöglich, weil diese Szene, fast drei Jahre, nachdem er eine Agentin für seinen Debütroman fand, am Tag nach der Wahl von Donald Trump im November 2016, noch lauter und brutaler widerhallt. In der US-Geschichte danach und der davor, den Massenmorden, Schießmassakern. In den drei Malen allein in den vergangenen dreieinhalb Wochen. In den Abschlachtungen mehrerer Völker seit der europäischen Invasion des Kontinents, dieser "fünfhundertjährigen Völkermordkampagne".
"Die verirrten Kugeln und Konsequenzen schlagen auch heute noch in unsere arglosen Körper ein", heißt es im Prolog über die Massaker an den Native Americans. Zeitgemäßer lässt sich die Realität von Rassismus und Unterdrückung kaum fassen. Es ist Blut, das wie auf dem Cover rot an Federn klebt.
Wie es sich lebt und nicht lebt mit der "unversorgten Wunde", die sich damals entzündet hat und bis heute nicht geheilt ist, erzählt "Dort, dort". Jene "Wunde, die gerissen wurde, als die Weißen kamen und sich nahmen, was sie nahmen (...)" Die Leben von zwölf Figuren faltet Tommy Orange dafür ineinander, Kapitel für Kapitel, Alltagsmomente, Vergangenes, ein Oaklander über Oaklander.
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Wie der 21-jährige Tony Loneman, der dealt, seit er 13 ist und bei seiner Großmutter lebt, die Louise Erdrich liest. Die Schwestern Opal Viola Victoria Bear Shield und Jaquie Red Feather, die in den Siebzigern eine Weile mit ihrer Mutter auf der Gefängnisinsel Alcatraz lebten, um mit anderen Native Americans für Gerechtigkeit zu protestieren. Brüder wie Orvil und Lony, deren Mutter tot ist und die Großmutter Alkoholikerin, also wachsen sie bei ihrer Großtante auf. Die lange nicht wissen, dass sie Native Americans sind. "Die Beschäftigung mit deinem Erbe ist ein Privileg. Ein Privileg, das wir nicht haben", erklärt die Adoptivmutter, die an all die Suizide, die Drogen und ihre Opfer denkt, an die Wunden, die ihnen unerträglich wurden.
Darunter auch einer wie Dene Oxendene: Der anfängt, Geschichten zu sammeln. Von all jenen, die Reste dieser Wunde mit sich herumschleppen. "Wir sind Indianer und Native Americans, American Indians und Native American Indians (...) Wir sind Vollblut, Halbblut, Viertel, Achtel, Sechzehntel, Zweiunddreißigstel. Mathematisch nicht darstellbar. Ein unerheblicher Rest." Es ist dieses Nebeneinander an Stimmen, das auch Oranges Buch so stark macht: Weil es nie genug Geschichten geben kann, um dem rassistischen Stereotyp der homogenen Masse etwas entgegenzusetzen.
Orange taucht spät im Buch noch konkreter auf, als der Trommler, und wechselt hier nun vom Erzähler zur Anrede: "Du stammst von einem Volk ab, das nahm und nahm und nahm. Und von einem Volk, das genommen wurde. Du warst beides und keins", heißt es über Thomas, Mutter weiß, Vater Cheyenne, wie beim Autor selbst.
Tommy Orange, Autor des Romans "Dort, dort", am Indian American Institute of Art in Santa Fe in New Mexico, wo er unterrichtet
Foto: Christopher Thompson/ NYT/ Redux/ laif
Und so laufen wir, ganz unvernehmlich, neben den Alltagsmomenten dieser zwölf her auf jenen vierten und letzten Teil zu, den Moment des Versammelns: "Powwow". Wenn sich Generationen wiedertreffen - und sich verlorene Väter, Kinder, Mütter finden, nach Jahrzehnten. Es ist einprägsam, wie Orange hier das Kleine und das Große parallel erzählt. Wie das geht, anzuknüpfen an die teilverschüttete eigene Geschichte, eine Familie neu entstehen zu lassen. Für die Community der Native Americans - und für Blue, Edwin, Jacquie, Harvey, Opal und den Rest.
Das Powwow wird auch deshalb zum einmaligen Ort, da es sonst keinen mehr gibt. Alles ist "neu bebautes, vergrabenes Ahnenland, Glas und Beton und Draht und Stahl, unwiederbringliche, bedeckte Erinnerung", findet Dene. "Es gibt dort kein Dort." Es ist das Dort des Titels, ein Verweis auf Gertrude Stein, die über ihr Oakland als einen verlorenen Ort schrieb, die überlagerte, ausgelöschte Geschichte: "There is no there, there."
Dene, der Story-Sammler, erklärt allen, die sich vor seine Kamera setzen: "Wenn man Geschichten hört von Menschen wie einem selbst, fühlt man sich weniger allein." Im erzählten Erinnern erschaffen sie es dann doch, zusammen: ein "Dort".