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Eoin Colfer: Fortgesetzte Versagensangst

Foto: Steve Hardman/ Getty Images for Penguin

Douglas-Adams-Nachfolger Colfer Per Anhalter durchs Fegefeuer

"Geldschneiderei" und "Frevel" waren die harmloseren Schmähungen, die sich Eoin Colfer anhören musste, als er eine Fortsetzung des Science-Fiction-Klassikers "Per Anhalter durch die Galaxis" schrieb. Jetzt scheint sich zwar alles in Wohlgefallen aufzulösen, doch der Ire ist sich sicher: Nie wieder!
Von Jörg Böckem

Der Himmel über London ist steingrau, Regen prasselt an das Fenster, der Gesichtsausdruck des irischen Bestsellerautors Eoin Colfer ist im Einklang mit dem englischen Wetter. Colfer, 44 Jahre alt, schmal, klein und grauhaarig, sieht sehr erschöpft aus und ziemlich verhangen. Es ist Mittwoch, und in ein paar Tagen ist es so weit, der große, der entscheidende Augenblick. Dann erscheint "And Another Thing ...", die englische Ausgabe des sechsten Teils der sogenannten Science-Fiction-Trilogie "Per Anhalter durch die Galaxis".

Ein Buch, das es nach Meinung zahlreicher Fans gar nicht geben dürfte. Eoin Colfer hat es geschrieben, acht Jahre nach dem frühen Tod des Autors und Erfinders des Hitchhiker-Universums Douglas Adams, der die geplante Fortsetzung selbst nicht mehr realisieren konnte und von seinen Anhängern bis heute mit beinahe religiöser Inbrunst als Genie verehrt wird. "Frevel!", ereiferten sich zahlreiche Fans schon bei der Ankündigung der Fortsetzung im vergangenen Jahr; "Blasphemie", "Ketzerei" und "Geldschneiderei" gehörten noch zu den harmlosesten Schmähungen.

"Als ich den Vertrag unterschrieb, wusste ich, es würde Ärger geben", sagt Colfer mit müder Stimme, gerade hat er zwei aufreibende Stunden lang im Internet mit den Fans gechattet. "Aber ich habe unterschätzt, wie groß die Belastung tatsächlich werden würde. Auch wenn es großen Spaß gemacht hat und das Buch eine Herzensangelegenheit für mich war - so ein Projekt werde ich mir nie wieder zumuten." Colfer muss sich mit einer besonders schwierigen Spezies auf diesem Planeten herumschlagen - dem harten Kern der Science-Fiction-Fans, leidenschaftlich, leicht erregbar, meist männlich, oft besserwisserisch, penibel, streng und ebenso gnadenlos im Urteil wie im Vorurteil.

Zu den Fans der Serie zählen die Band Coldplay und Stephen Fry

"Per Anhalter durch die Galaxis", 1978 von dem Briten Douglas Adams zunächst als Radioserie entwickelt und im Jahr darauf zu einem Roman umgearbeitet, erzählt die Abenteuer des Briten Arthur Dent, der vom außerirdischen Herumtreiber Ford Prefect vor der Zerstörung der Erde gerettet wird, und ist in den achtziger Jahren zu einem weltweiten Popkultur-Phänomen avanciert - die fünf von Adams geschriebenen Bücher wurden in 35 Sprachen übersetzt und verkauften sich rund 20 Millionen Mal, dazu kamen Hörspiele, Fernsehserien, ein Kinofilm, Comics, Computerspiele und Bühnenadaptionen. Zu den Fans der Serie zählen die britischen Autoren Stephen Fry, Neil Gaiman und Monty-Python-Mitglied Terry Jones; die britische Band Coldplay hat den Titel ihrer Single "Don't Panic" den Hitchhiker-Büchern entliehen. Adams' Romane bestechen durch eine einzigartige Mischung aus überbordendem Einfallsreichtum, abstrusem Witz und philosophischer Betrachtung des Menschen und der Absurditäten unserer Existenz. Sie sind, trotz aller merkwürdigen Lebensformen und Ausflüge auf fremde Planeten und in andere Dimensionen, sehr menschlich. Und zutiefst britisch.

"Wenige Autoren verfügen über so eine Fan-Armee wie Douglas Adams", sagt Colfer. "'Per Anhalter durch die Galaxis' ist eine Art heiliger Gral der englischen Popkultur. Wie Monty Python, Pink Floyd oder die Beatles. Damit sollte man besser kein Schindluder treiben." Colfer selbst ist großer Anhänger der Serie, seit er als 15-Jähriger den ersten Band las: "'Per Anhalter durch die Galaxis' war etwas ganz Besonderes - überraschend, unglaublich lustig und großartig geschrieben." Besonders Adams' Anti-Establishment-Haltung hat den jungen Eoin Colfer begeistert. "In den Büchern bekommen Staat, Bürokratie, Religion und Big Business ihr Fett weg, das hat mir gefallen. Außerdem ist die Hauptfigur Arthur Dent kein strahlender, ernster Held, sondern ein genervter Durchschnittstyp. Damit konnte ich mich damals wie heute hervorragend identifizieren."

Ein kleiner, grauer, nervöser Typ

Im Gegensatz zu Douglas Adams, der angab, die Idee zu "Per Anhalter durch die Galaxis" sei ihm gekommen, als er in Österreich betrunken in einem Feld lag und in den Nachthimmel sah, ist Colfer tatsächlich eher ein Durchschnittstyp. Der Lehrersohn wuchs mit vier Brüdern im irischen Wexford auf. Ein schmächtiger, unsportlicher Junge, der sich früh für Superheldencomics wie "Batman" oder "The Spirit", für Science-Fiction und Fantasy, irische Legenden und Mythen begeisterte. Als Neunjähriger begann er Comics zu zeichnen, später verlegte er sich auf das Schreiben. Sein großer internationaler Durchbruch kam 2001 mit dem ersten Band der Serie um den magisch begabten jugendlichen Antihelden Artemis Fowl, die ihm Millionen zumeist junge Leser bescherte. Da war Colfer noch als Lehrer tätig, die ersten Bücher hatte er nach Feierabend geschrieben. Mittlerweile hat er den Beruf aufgegeben, den Lebensrhythmus aber beibehalten - werktäglich zieht er sich von neun bis drei in sein Büro zurück und schreibt, um 22.30 Uhr ist der Tag für ihn der Regel vorbei. Seine Ideen, sagt er, habe er am Schreibtisch. Colfer beschreibt sich als "kleinen, grauen, nervösen Typen, der sich ständig Sorgen macht. Auch wenn alles großartig läuft, erwarte ich, dass etwas schiefgeht".

Kein Wunder, dass er sich die Entscheidung für dieses Projekt, bei dem ziemlich viel ziemlich danebengehen konnte, nicht leichtgemacht hat. Adams' Witwe Jane Belson und dessen Agent Ed Victor hatten Colfer kontaktiert und ihm das Projekt angetragen, zum 30. Jubiläum der Buchserie in diesem Jahr sollte das Hitchhiker-Phänomen durch einen neuen Band wieder Aufwind bekommen, außerdem hoffte man, mit Colfers Hilfe eine neue Generation junger Leser für die Saga zu gewinnen.

Keine Panik! Colfer ist eine angemessene Fortsetzung gelungen

"Meine erste Reaktion war, das ist keine gute Idee, ich dachte, es wäre anmaßend, eine Fortsetzung zu schreiben", sagt Colfer. Nach einer Woche Bedenkzeit hat er dennoch zugestimmt. "Ich konnte dieses Angebot einfach nicht ablehnen. Es war ungefähr so, als würde Paul McCartney die Beatles neu gründen und mich fragen, ob ich John Lennon an der Gitarre ersetzen möchte. Die Probleme sind vorprogrammiert, die Versagensangst ist unerträglich, aber ablehnen ist unmöglich. Vor allem - wenn ich es nicht tue, fragen sie jemand anderen."

Die Arbeit selbst sei dann sehr angenehm gewesen - nachdem es ihm gelungen war, den enormen Erfolgsdruck beiseitezuschieben. Schließlich war alles schon vorhanden, die Figuren, ein Erzählton, ein komplettes Universum, in dem Colfer sich bestens auskannte. Er hat die Charaktere moderat modernisiert, eine Handvoll Figuren und Planeten dazu erdacht und eine Sprache gefunden, die Adams Tribut zollt, ohne ihn zu kopieren. "Es hat mir noch nie so viel Spaß gemacht, ein Buch zu schreiben", sagt er.

Bis der Rummel um den Roman - dessen deutsche Ausgabe "Und übrigens noch was ..." mittlerweile fast zeitgleich mit der englischen erschienen ist - wieder losging. Da war der Spaß dann vorbei. Anders als in der Popmusik oder im Film, wo Coverversionen, Sampling und Remakes auch bei renommierten Künstlern längst zum kreativen Repertoire gehören, werden Schriftsteller, die mit den Schöpfungen und Ideen anderer arbeiten, oft misstrauisch beäugt und des kreativen Bankrotts verdächtigt. Als im vergangenen Jahr der Erfolgsautor Sebastian Faulks eine Fortsetzung von Ian Flemings James-Bond-Romanen, "Devil May Care", vorlegte, stand die veröffentlichte Meinung dem Projekt anfangs ebenfalls ablehnend gegenüber. Nach Erscheinen urteilten die Kritiker dann doch eher wohlwollend.

"Wenn Sebastian Faulks den Bond-Roman nicht geschrieben hätte, ich hätte mich wohl nicht an Hitchhiker herangetraut", sagt Colfer. "Er hat gezeigt, dass etwas Gutes herauskommen kann, wenn ein bekannter, erfolgreicher Autor das Werk eines anderen fortsetzt." Faulks und Colfer stehen nicht allein - gerade ist eine Fortsetzung von "Pu der Bär" erschienen, und ein Urgroßneffe von Bram Stoker hat einen neuen Dracula-Roman vorgelegt.

Zu Beginn seiner Karriere hatte Colfer ein ähnliches Projekt abgelehnt. Kurz nach Erscheinen des ersten "Artemis Fowl"-Bandes wurde er um ein Probekapitel für eine geplante "Peter Pan"-Fortsetzung gebeten - ebenfalls ein britisches Nationalheiligtum. "Damals war es die falsche Zeit, mit den Figuren eines anderen zu arbeiten", sagt er, "heute habe ich meine eigene Karriere und mein eigenes literarisches Universum, zu denen ich nach dem Ausflug in die Hitchhiker-Welt zurückkehren kann." Und er ist der Geldgier unverdächtig - seine Bücher haben sich nicht schlechter verkauft als die von Adams. "Bei diesem Projekt", sagt er, "kann ich eigentlich kaum gewinnen. Im Gegenteil, es könnte meine Karriere beschädigen."

Keine Panik! Wird es nicht - Colfer ist eine angemessene Fortsetzung gelungen. Die Witwe Jane Belson ist von dem Werk begeistert, und Agent Ed Victor ließ verlauten: "Douglas hätte das Buch geliebt." In der britischen Presse wird es gelobt, selbst in den Fan-Foren setzt sich langsam die Haltung durch, das Buch zu lesen, bevor man es hasst, und "diesem Colfer-Typen" eine Chance zu geben. Aber auch wenn Colfer sein Buch mit den Worten "Das Ende eines der Mittelteile" beschließt, einen weiteren Hitchhiker-Band aus seiner Feder wird es nicht geben. "Das soll jemand anders machen", sagt er: "Einmal ist genug!" Die schmächtige, graue, vom Affen abstammende Bioform Eoin Colfer kann es kaum erwarten, nach Irland und in seine eigene, imaginäre Welt der Elfen, Feen und Kobolde zurückzukehren.


Eoin Colfer: "Und übrigens noch was ..."; Aus dem Englischen von Gunnar Kwisinski. Heyne;
416 Seiten; 19,95 Euro.

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