"Drei Schwestern" in Berlin Unflotter Dreier mit Katja Riemann

Boulevard mit den "Bandits": Das Trio Nicolette Krebitz, Jasmin Tabatabai und Katja Riemann hat sich in Berlin für eine Populär-Inszenierung von Tschechows "Drei Schwestern" wiedervereint - und verwandelt den Klassiker in einen halbherzigen Tragikomödienabklatsch.
Von Christine Wahl

Der Zeitgeist hat Einzug gehalten ins Haus Prosorow: Statt des Alkohols, der in den russischen Provinz- und Landdomizilen der Weltliteratur gern in ungesunden Strömen fließt, nehmen die drei Schwestern und ihre Hausfreunde im Berliner Theater am Kurfürstendamm permanent gesunde Äpfel zu sich. Gleich zu Beginn drängeln sie sich zu fünft auf einem Designsofa, beißen auf dem Biogut herum und grinsen dabei ins Publikum.

Bis der verhutzelte Medienvertreter Tusenbach, der – mit Diktiergerät im Anschlag - ständig von der "Vermischtes"-Seite schwafelt, später allerdings überraschenderweise als "Künstler" vorgestellt wird – die Couchgenossen nach ihren Zukunftsplänen fragt. Bei diesem Stichwort vergeht den Provinzschwestern das Grinsen, denn schließlich befinden wir uns in einem Tschechow-Stück. Auch wenn das an diesem Abend kaum auffällt.

Das Schauspielerinnentrio Nicolette Krebitz, Jasmin Tabatabai und Katja Riemann, das hier die vollmundig sich nach Moskau träumende, aber lethargisch in der Provinz festhockende Schwestern-Crew gibt, kennt man in dieser Besetzung aus dem Neunziger-Jahre-Film "Bandits". Dort spielten die drei erklärten Busenfreundinnen – unter der Regie ihrer vierten Busenfreundin Katja von Garnier – eine aus dem Knast ausgebrochene Frauen-Rock-Combo, die auf der Flucht vor einem Polizeikommissar die Charts stürmte sowie, nach dem Vorbild des US-Roadmovies "Thelma & Louise", zum Idol dessen wurde, was bei einem Mainstream-Kinopublikum als Power-Feminismus mit Sex-Appeal durchgehen konnte. Elf Jahre später hat nun das Theater am Kurfürstendamm – ein auf den mal mehr, mal weniger gehobenen Boulevard spezialisiertes, um Genre-Modernisierung bemühtes Privattheater – mit den "Drei Schwestern" die "Bandits"-Wiedervereinigung ausgerufen.

Und man muss sagen: Die Mädels sind sich treu geblieben. Denn unter Mithilfe der Regisseurin Amina Gusner schaffen sie das rare Kunststück, selbst Tschechow wie ein verspätetes Neunziger-Jahre-Yuppie-Filmchen aussehen zu lassen. Ganz in "Bandits"-Manier gibt Krebitz als jüngste der Schwestern, Irina, das Naivchen mit ausgestelltem Sexappeal und Hang zum Männeranspringen, das es auf der Karriereleiter nur bis ins Callcenter geschafft hat (bei Tschechow war es noch das Telegrafenamt).

Gleichermaßen reaktiviert Tabatabai für ihre Mascha – bei Tschechow eine an ihrem spießigen Lateinlehrer-Gatten leidende Salonfrau – das Aggressionspotential ihrer "Bandits"-Knastologin, was sich gern mal in einem unkontrollierten Brüllanfall äußert. Und Riemann setzt als Olga ihrem bebrillten Intellektual-Bonus aus Garniers Film noch eins drauf und firmiert – brillenlos und im sexy schulterfreien Hosenanzug – als Rektorin der örtlichen Provinzuniversität.

Dass alle elf Jahre älter geworden sind, macht die Sache espritmäßig – man muss es leider so sagen - nicht besser. Aber ungeachtet dieser Tatsache haben sich Regisseurin Gusner und ihre Dramaturgin Anne-Sylvie König in ihrer zeitgeistig "nach Tschechow" verfertigten Textfassung nach Leibeskräften bemüht, sämtliche Versatzstücke zu reanimieren, die man aus dem Filmschaffen jener Hartz IV fernen Jahre kennt, als in Münchner Lofts ein millionenschwerer Zahnarzt nach dem anderen mit erfolgreichen Radiomoderatorinnen flirtete.

Loft-Appeal und Loft-Befindlichkeiten

Schon die Bühne von Uta Kala und José Eduardo Luna Zankoff hilft derartigen Assoziationen auf die Sprünge: Im Zentrum thront eine Art gläserner Wintergartenverschnitt, der zwar an der Geschmackssicherheit, nicht aber an der Finanzkraft der Bewohner zweifeln lässt und ein großes Bett beinhaltet, auf dem die Schwestern barfüßig lümmeln und gelegentlich ein paar Takte auf der Gitarre klampfen – schließlich verdienen alle drei ja auch als Sängerinnen und Musikerinnen ihr Geld.

Die Berufe, die sich Gusner und König für die Männer ausgedacht haben, passen in dieses Loft-Appeal wie angegossen: Der melancholische, philosophisches Gedankengut wälzende Oberstleutnant und Batterie-Kommandeur Werschinin (Jörg Pintsch), in den Mascha sich verliebt, platzt hier derart ungetrübt als einer Boss-Werbung entstiegener Anwalt ins Szenario, dass einem unweigerlich das Tucholsky-Bonmot "Er war Jurist und auch sonst ein durchschnittlicher Mensch" einfällt.

Dass Mascha sich in diesen Dummschwätzer verliebt, kann nur dem Mangel an Alternativen geschuldet sein: Tusenbach (Heiko Senst), mit dem Irina eine Vernunftehe eingeht, bis er bei Tschechow im Duell, bei Gusner an einem Verkehrsunfall stirbt, macht genauso wenig her wie Maschas Gatte Kulygin (Frank Voigtmann), welcher hier vom Lateinlehrer zum Weichei-Psychologen für Loft-Befindlichkeiten mutiert.

Die drei Schwestern und besagte drei Männer, auf die Gusner und König das 14-köpfige Tschechowsche Personal dezimiert haben, lösen vorbildlich ein, was Riemann vorab in einem Interview mit einem Berliner Stadtmagazin versprochen hatte: "Was bei den 'Drei Schwestern'" – also bei Tschechow – "nach innen geht, machen wir sichtbar nach außen."

Die Sehnsucht nach einem Mann sieht dann so aus: Riemann berührt und streichelt sich ständig so großäugig wie möglich selbst und kichert wie ein Backfisch, als der Gatte ihrer Schwester ihr (gänzlich fern von Tschechows Vorlage) in den Schoß fällt. Tabatabai hopst wie ein Flummi über die Bühne, als sie den Schwestern mitteilt, sich in Werschinin verliebt zu haben, und Krebitz übt sich ausdauernd in Männeranmache. In punkto Feminismus fällt das alles meilenweit hinter die "Bandits" zurück - was man auch erst mal schaffen muss.

Halbherziger Tragikomödien-Abklatsch

In seiner Gesamtheit ist das, trotz Musikeinlagen vom Band, vor allem eines: gähnend langweilig! Wie um alles in der Welt, fragt man sich bereits vor Ende des ersten Aktes, ist die Regisseurin auf die Idee gekommen, Tschechow als halbherzigen Tragikomödienabklatsch zu inszenieren? Wenn es wenigstens Boulevard gewesen wäre! Aber dieses halbgare Gehopse, Geheule und Übereinanderhergefalle, was in seiner Tschechow-Light-Variante noch einen gewissen Tiefsinn behauptet, ist nervtötend – und obendrein überflüssig.

Dem Applaus der eher lokalen denn globalen Film- und Fernsehprominenz im Publikum tat das aber keinen Abbruch.


"Drei Schwestern", Theater am Kurfürstendamm, bis zum 6. Dezember 2008

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