Dürrenmatt-Hörspiele Wer ist hier der Esel?

Der Schweizer Autor Friedrich Dürrenmatt wäre in dieser Woche 90 Jahre alt geworden. Das Genre des Hörspiels hat er hoch geschätzt. Nun sind einige Produktionen aus den fünfziger bis siebziger Jahren auf CD erhältlich.
Von Christoph Schröder

Am Ende kommt sogar der Esel selbst noch einmal zu Wort, um sich, ganz im Geiste des Lehrstücks, an das Publikum zu wenden. "Erlaubt mir", so sagt er, "meine Damen und Herren, während ich mit gesträubtem Fell durch die Gassen der Stadt Abdera galoppiere, eine Frage an euch zu richten: War ich in dieser Geschichte der Esel?"

Ganz davon abgesehen, dass der Vierbeiner mit einem deutlich erkennbaren Schweizer Zungenschlag spricht, ist seine Frage durchaus berechtigt. Denn was die Menschen rund um ihn herum angerichtet haben, spottet in der Tat jeder Beschreibung: Die Stadt ist durch einen Brand verwüstet, die Bevölkerung zerstritten. Und all das nur wegen einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen dem Eseltreiber Anthrax und dem Zahnarzt Struthion. Die Frage, die verhandelt wird, lautet: Mietet man, wenn man einen Esel mietet, auch dessen Schatten? Oder muss dieser, sofern man ihn während einer Rast zur Abkühlung benutzt, gesondert vergütet werden?

"Neue künstlerische Möglichkeit"

Friedrich Dürrenmatt

hat Christoph Martin Wielands Roman "Die Abderiten" in das Hörspiel "Der Prozess um des Esels Schatten" umgearbeitet, das der Schweizer Christoph Merian Verlag nun in der 1974 entstandenen Fassung des Schweizer Radios als Doppel-CD vorlegt. In der kurzen Sprechrolle des Esels: der Autor Dürrenmatt selbst. Im vergangenen Dezember jährte sich Dürrenmatts Todestag zum 20. Mal; am 5. Januar wäre er 90 Jahre alt geworden. Wer über die populären Kriminalromane wie "Der Richter und sein Henker" oder "Der Verdacht" hinaus einen höchst unterhaltsamen Einblick in das Dürrenmatt'sche Werk erhalten will, ist mit den jüngst erschienenen Hörspielausgaben bestens bedient.

Dürrenmatt selbst schätzte das Genre hoch. Bereits 1946 schrieb er einen Brief an den Schweizerischen Rundfunk, in dem er ein Hörspiel zur Veröffentlichung anbietet - "eine neue künstlerische Möglichkeit, die noch viel zu wenig in Betracht gezogen wird". Doch es soll bis zum Jahr 1952 dauern, bis der Südwestfunk den "Prozess um des Esels Schatten" erstmals realisiert.

Die spätere Fassung aus den siebziger Jahren besticht vor allem durch ihre herausragenden Sprecher, allen voran Klaus Schwarzkopf in der Rolle des Zahnarztes. Und durch die Absurdität des Geschehens, die sich nach und nach aufbaut. Der Streit um den Esel wird sowohl zum philosophischen Konflikt um Freiheit, Gemeineigentum und wirtschaftlichen Fortschritt, als auch zu einer politisch-religiösen Frage, die den Staat wie die Priester beschäftigt und schließlich ins vollständige Chaos führt.

"Entweder bleiben wir im Irrenhaus, oder die Welt wird eines" - der Satz aus "Die Physiker" scheint in der "Esel"-Geschichte wahr geworden zu sein. Auch Dürrenmatts berühmtestes Drama ist in einer Radiofassung aus den frühen sechziger Jahren als Hörspiel erhältlich. Man merkt dem Stück gerade im zweiten Teil an, dass es unter dem Schockzustand einer nuklearen Bedrohung und in der Hochphase des Kalten Krieges entstanden ist.

Zwischen Moral und Erkenntnis

Und dennoch übt auch diese Hörbuchproduktion mit Tilli Breidenbach in der Rolle der Mathilde von Zahnd und Hans-Christian Blech als vermeintlich verrücktem Physiker Möbius einen eigenartigen Reiz aus. Die Ernsthaftigkeit, mit der Dürrenmatt den Konflikt zwischen Moral und wissenschaftlicher Erkenntnis austrägt, kann nicht so leicht mit dem rein nostalgischen Blick betrachtet werden. "Unser Denken hat Konsequenzen", so lautet einer der Kernsätze. Dürrenmatt hat darum herum eine tragische Geschichte mit absurd komischen Zügen gebaut.

Der Einzelne und die Gesellschaft, das individuelle Recht und die übergeordnete Moral - darum geht es auch in der Produktion "Die Panne" aus dem Jahr 1956, dem der Autor eine quasi poetologische Rede vorangesprochen hat. Anschließend bringt er den Reisenden Alfredo Traps, der wegen einer Panne in einem kleinen Dorf übernachten muss, vor das private Gericht einer Gruppe von pensionierten Juristen. Aus der zunächst spaßigen Inszenierung eines Prozesses wird ein zunehmend unangenehmes Kreuzverhör, in dem der zunächst noch großspurige Traps die Verfehlungen seines Lebens einzugestehen gezwungen wird.

Weniger Rücksichten als in anderen Genres, so sagte es Friedrich Dürrenmatt in einem Interview, müsse man beim Hörspiel nehmen; stattdessen eröffneten sich größere Freiräume. Seine Hörspiele sind überzogen von der sanften Patina ihrer Entstehungszeit und bleiben im Kern doch aktuell.

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