Mit seinem Roman "Düsternbrook" gesellt sich Axel Milberg zu schreibenden Schauspielerkollegen. In seinem Debüt literarisiert der Kieler "Tatort"-Kommissar die eigene Jugend im Kieler Nobelviertel.
Bei aller Nähe zu Wortkunst und Dramatik ist das Werkzeug eines Schauspielers doch sein Körper. Wenn Axel Milberg den "Tatort"-Kommissar Klaus Borowski auf die gewohnt stoisch-täppische Art spielt, besteht sein Können nicht nur darin, eine Figur zum Leben zu erwecken. Er muss, um glaubwürdig zu sein, vergessen machen, dass er überhaupt spielt. Erst wenn der Schauspieler unsichtbar wird, verschmelzen Figur und Körper im Nieselregen der immer etwas provinziell wirkenden Ostseemetropole.
Milberg weiß offenbar sehr genau um diese Wirkung und kehrt in seinem Romandebüt "Düsternbrook" das Verhältnis zwischen Fakt und Fiktion um. Gleich auf den ersten Seiten begegnet dem Leser ein Junge, der auf den Namen Axel hört, dessen Mutter man "Frau Milberg" ruft, der im Kieler Nobel-Stadtteil Düsternbrook aufwächst.
Aus dem süffisant-heiteren Ton des Textes und seiner anekdotischen Form spricht Axel Milbergs Stimme deutlich zu uns. Aber, man blättert zurück, es handelt sich nicht um eine Autobiografie. Ein Roman soll es sein, womit sich Milberg zu schreibenden Kollegen wie Ulrich Tukur("Die Spieluhr", 2013), Matthias Brandt("Raumpatrouille", 2016) und Andrea Sawatzki("Ihr seid natürlich eingeladen", 2016) gesellt.
"Düsternbrook", das muss man wissen, ist ein Stadtteil Kiels, der die Landesregierung, einen idyllischen Forstpark, exzellente Institute und sonst vor allem Villen beherbergt. Wer hier aufwächst, hat keine Probleme. Oder zumindest keine finanziellen. Und doch erstaunt die Konsequenz, mit der 'Axel Milberg' (so lautet, wie gesagt, der Name des Ich-Erzählers) dieses großbürgerliche Milieu ausbreitet und sich selbst darin verortet.
Kieler Stadtteil Düsternbrook
Foto: imago images/ penofoto
Das beginnt mit der Schilderung des elterlichen Hauses, in welchem es ein "Barockzimmer" gibt, wo mit Grafen gespeist wird. Führt über den Antiquitäten-Tick der Mutter, die Axel einschärft, er sei "was Besseres". Axels Vater, ein Anwalt, hat einen Jagdfimmel, der schwule Patenonkel feiert mit Visconti, in Österreich weilt man, um der pferdebegeisterten Schwester die Hofreitschule zu zeigen, und spielt dann Canasta mit dem Ehepaar Reclam.
Das alles ist so dick aufgetragen, in seiner anekdotischen Form vorhersehbar und in mehr als einem Fall dünkelnd, dass den Leser bald der Verdacht beschleicht, der Autor habe sich einen Scherz erlaubt. Etwa, wenn es über den Klavierunterricht heißt: "Brahms' Intermezzi, Übergreifen der Hände, einfach, aber schwer es zusammen zu denken." Oder der kleine Axel meckert: "Nicht immer Fasan, ich will mal ´ne richtige Bratwurst, wie andere Kinder auch!"
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Der mit einer solchen aristokratischen Faszination für die eigene privilegierte Geschichte einhergehenden Handlungsarmut versucht der Text zu begegnen, indem er benachbarte Genres aufruft. Aber die wohl eher Axels Fantasie illustrierende Begeisterung für Ufos und Verschwörungstheorien mündet nicht in einen fantastischen Plot, sondern wird alsbald kassiert: "Ich trennte mich ungern von der Idee mit den Außerirdischen."
Auch der in eingeschobenen Kapiteln angedeutete Kriminalfall, der "schwitzende" und "komisch guckende" Sohn der Gemüsehändlerin sei möglicherweise ein Triebtäter, bleibt folgenlos. Die schüchterne Liebe zur Mitschülerin Lili und, etwas später, die leidenschaftliche Affäre mit einer südfranzösischen Automechanikerin namens Francesca reichen kaum über schwärmerische Klischees hinaus: "Nachts lag ich wach, lauschte ihren Atemzügen und zwang mich dazu, sie nicht zu überfallen."
Ein vertrautes Gefühl bester Unterhaltung und finsterer Leere
Es ist nicht ohne Ironie, dass der Roman im letzten Drittel die Initiation als Schauspieler zu einer notwendigen Folge lebenslanger Verstellung verklärt. Das richtige Leben beginnt für Axel, und damit endet das Buch, erst mit der Aufnahme an der Otto-Falckenberg-Schule für darstellende Kunst in München. Diese eigentlich paradoxe Konstellation - man selbst sein, indem man jemand anders ist - wäre ungleich plausibler, würde das zuvor in epischer Breite erzählte Leben nicht jede Spannung, Gewissensnot oder existenzielle Bedrohung vermissen lassen.
"Düsternbrook" hinterlässt beim Leser das aus manchen Produktionen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens vertraute Gefühl bester Unterhaltung und finsterer Leere. Es ist schon jetzt klar, dass Lesungen Milbergs bei kluger Auswahl der Textstellen und gewohnt souveränem Vortragsstil größtes Vergnügen bereiten, zumal in Kiel.
Ein literarisches Werk in engerem Sinne, eines das der Vieldeutigkeit der Welt mit den Mitteln der Poesie zu Leibe rückt, ist es sicher nicht. Zu präsent sind Stimme und Körper des Autors, der es offenbar genießt, sich selbst zum Helden der eigenen Geschichte zu machen. Mais bon, der Fasan war lecker.