»Hush« von Dylan Farrow Die Rächerin

Autorin Dylan Farrow: Haarsträubend unterkomplex
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Ihr Roman handle von Mut und Risikobereitschaft. Er erzähle, wie wichtig es sei, einen Sinn für Gerechtigkeit zu bewahren. Ihre Geschichte, schreibt Dylan Farrow weiter in einem Nachwort zu ihrem literarischen Debüt, sei eine über die Macht der Worte und der Wahrheit.
Wenn Schriftstellerinnen und Schriftsteller bei ihren Werken die Interpretation gleich mitliefern, ist das meist kein gutes Zeichen. Die Binse, dass sich eine gute Geschichte von allein erklärt, hat bis heute noch immer gestimmt. Dylan Farrow, die Adoptivtochter von Woody Allen und Mia Farrow, sieht das offenbar anders. Vielleicht dachte sie, ihre Fantasygeschichte über eine junge Frau mit Zauberkräften auf 413 Seiten nicht verständlich ausgebreitet zu haben – doch wer kein Vertrauen in die eigene Kunst hat, beschreibt sie nicht mit derart großspurigen Leitvokabeln. Vielleicht traut Farrow ihren Lesern auch nicht zu, dass sie ihre Subtilität richtig deuten. Bloß ist ihr Jugendroman »Hush – Verbotene Worte« so wenig nuanciert wie ein »Lustiges Taschenbuch«. Vermutlich gibt es also einen dritten, plausibleren Grund für das Nachwort. Einen, der mehr mit Farrows Biografie als mit ihrem Schreiben zu tun hat.
Die Autorin, Mia Farrow sowie deren Sohn Ronan behaupten, Woody Allen habe die Schriftstellerin im Kindesalter sexuell missbraucht. Allen streitet das ab, zuletzt vor einem Jahr ausführlich in seiner Autobiografie; was genau zwischen Farrow und Allen geschah, wird sich wohl nie aufklären lassen. Vielleicht wollte Farrow in ihrem Nachwort Fragen zu den Missbrauchsvorwürfen auffangen.
Hush - Verbotene Worte: Fantasyroman über Wahrheit und Lüge
Sie macht darin auf jeden Fall klar, dass sie »Hush« als Parallele zur eigenen Familiengeschichte verstanden haben will: In ihrer Kindheit und Jugend sei ihre Familie von einem mächtigen Menschen bedrängt worden, schreibt Farrow, »der entschlossen war, unser Leben und unsere Glaubwürdigkeit zu zerstören«.
Aber leider ist die Geschichte selbst gerade keine kluge oder interessante Verarbeitung dieses Themas – sondern ein erschreckend banaler Roman. Im Mittelpunkt von »Hush« steht die Teenagerin Shae, sie lebt mit ihrer Mutter am Rande eines Dorfs in der öden, traurigen Welt Montane, die vage angelehnt ist an das Mittelalter. Regen fällt dort so selten, dass Weiden und Wiesen längst verdorrt sind.
Und als wären Hunger, Armut und das Teenagerdasein an sich nicht schon schlimm genug, besitzt Shae auch noch eine Zauberkraft, die ihr Todesurteil bedeuten könnte: Was sie auf ein Stück Stoff stickt, wird wahr. Verziert sie ein Taschentuch mit Tulpen, blüht die trockene Erde. Bringt sie einen kleinen Hasen auf ein Kopfkissen, hüpft dieser schließlich durch die Steppe.
So übereindeutig, dass es wehtut
Was in einer anderen Fantasywelt für eine Einladung nach Hogwarts sorgen würde, ist in Montane gefährlich, denn in der hierarchischen Gesellschaft wird Anderssein bestraft: von den Barden, autokratischen Magiern, die durch das Land ziehen, Steuern eintreiben und Menschen foltern. Oder von einer mysteriösen Krankheit, die alle nur den »Blauen Tod« nennen. Wer Geschichten erzählt, liest oder schreibt, wird von ihr befallen, so ist schon Shaes kleiner Bruder umgekommen. Seitdem sind Bücher verboten, Bildung damit auch. Die Gesellschaft versinkt in einem Morast aus Halbwahrheiten, Tratsch und Lügen. Deshalb behält Shae lieber für sich, was sie bewegt.
Als allerdings ihre Mutter scheinbar ohne Grund umgebracht wird, ändert sich Shaes Haltung. Wut und der Wunsch nach Rache treiben sie bis ins Epizentrum der Magiermacht. Dort begreift sie – die Lesenden ahnen es bereits –, dass sie selbst eine Bardin ist. Fortan versucht Shae nicht nur, den Mord an ihrer Mutter aufzuklären und ihre Kräfte zu kontrollieren, sondern auch, sich als eine von wenigen Frauen zu behaupten und gegen den Mann an der Spitze dieser Diktatur zu rebellieren, der seine Untertanen manipuliert und die Opfer seines Machtmissbrauchs mundtot macht – und der Shae mit seiner »Tochter« vergleicht. Hier bringt Farrow Anspielungen auf die eigene Biografie unter, aber sie tut das so übereindeutig, dass es wehtut.
In den USA wurde Farrows Roman als feministische Fantasyliteratur gelobt. Das Jugendbuch, Auftakt eines Zweiteilers, zeige, wie Propaganda Gesellschaften aushöhle und machtbesessene Männer sie unterdrücke, hieß es. Inhaltlich stimmt das. Aber das Bild, dass Farrow von Machtmissbrauch zeichnet, ist haarsträubend unterkomplex. Statt die diffusen Phänomene struktureller Diskriminierung – etwa die Unterrepräsentation von Frauen an der Spitze politischer Hierarchien – auszuleuchten, entwirft Farrow eine Welt, in der Recht und Unrecht so leicht voneinander zu unterscheiden sind, dass überhaupt keine Ambivalenzen übrig bleiben. Zudem lässt Farrow ihre Figuren in Plattitüden sprechen. »Gerechtigkeit ist alles, was mir noch wichtig ist«, palavert Shae. Auch gern: »Mein Schicksal ist besiegelt.«
Der Roman ist also weder klug beobachtet noch besonders elegant erzählt. Wobei, eine kluge Anmerkung macht Farrow doch in ihrem Nachwort, sie schreibt: Auch wenn die Gesellschaft dafür sensibler geworden sei, werde Opfern immer noch mit Misstrauen begegnet und jenen eine Plattform geboten, die Lügen, Hass und Angst verbreiten. Schade, dass sie über dieses Thema keinen Jugendroman geschrieben hat – und dann am liebsten natürlich einen guten.