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E-Book-Bestseller: Reader and Writer

E-Book-Bestseller Verleg' dich selbst - und mach' Millionen!

Sie kennen Amanda Hocking nicht? Die Ex-Altenpflegerin ist Amerikas neue Bestseller-Autorin. Einen Verlag braucht sie nicht, um ihre Vampirromanzen zu veröffentlichen, die Auflagenmillionärin veröffentlicht direkt und digital per E-Book - und lässt den klassischen Buchmarkt ziemlich alt aussehen.

Die Geschichte von Amanda Hocking, 26, hat viel vom amerikanischen Traum. Sie geht so: Ein Mädchen aus Austin, einem 23.000-Einwohner-Städtchen in Minnesota, arbeitet als Altenpflegerin. Abends aber schreibt sie Geschichten für ein jugendliches Publikum, voller Gefühl und Selbstfindungsschmerz. Liebesromane im Gewand des trendigen Vampirromans sind das, "paranormale Romanzen und urban geprägte Fantasy" nennt sie es selbst.

Hocking schreibt leicht verdauliche Literatur. Sehr linear, aber dialog- und bildreich erzählt sie ihre Storys aus der Ich-Perspektive, immer ganz nah an den Befindlichkeiten ihrer Heldinnen. Irgendwann hat sie 19 Romane in der Schublade, der dünnste hat 100, der dickste 330 Seiten. Aber ist es auch gut genug, dieses Material einer Hobbyschreiberin, um damit eine literarische Karriere zu beginnen?

Nein, fanden alle Literaturagenten, die Hocking im Verlauf von acht Jahren anzusprechen versuchte. Dann fasste sie einen Entschluss, der alles verändern sollte.

Jeder ist Verleger

Im März 2010 bereitet sie die ersten ihrer Bücher für eine Selbstveröffentlichung auf Amazons Kindle-E-Book-Plattform  vor. Gedruckt wird dabei gar nichts: Man muss nur eine Datei so formatieren, dass sie auf dem Kindle-E-Book-Reader gut aussieht und leicht lesbar ist. Wer einen Kunden-Account hat, kann seine Daten direkt hochladen - der Rest dauert nur Minuten. Nach Freigabe des Buches ist es über Kindle-Shop und Amazon auffindbar, Verkauf und Inkasso laufen über den Bücherversender, Gutschriften aus Verkäufen erfolgen ab dem dritten Monat auf monatlicher Basis - ein Instant-Verlagsgeschäft, wenn man so will.

Bis zur Jahreswende veröffentlicht Hocking acht ihrer Romane und eine Novelle, inzwischen weist ihre Bibliografie  elf eigene Titel auf und ein Werk, zu dem sie Gastbeiträge lieferte. Sie sind billig, beginnen bei 99 Cent, das teuerste kostet als E-Book 5,74 Dollar. Man kann sie auch als digital gedrucktes Buch erwerben, produziert von Amazons On-Demand-Druckdienst CreateSpace, dann kosten sie neun bis zehn Dollar. Und natürlich gibt es die E-Books nicht nur für den Kindle, sondern auch für andere Reader.

Vier Monate nach Veröffentlichung ihres ersten Vampir-Liebesromans kündigte Hocking ihren Job. Im Dezember verkaufte sie erstmals über 100.000 E-Books in einem Monat, nahm allein damit mehrere hunderttausend Dollar ein.

Millionärin in zehn Monaten

An diesem Punkt entdeckten die US-Medien die heimliche Bestseller-Autorin. Es folgten Berichte in der Huffington Post  und kleineren Blättern, inzwischen ist der Knoten geplatzt - die Aprilausgabe der amerikanischen "Elle" wird ein Hocking-Porträt bringen. An einer ihrer Trilogien hat inzwischen ein Filmstudio Interesse angemeldet. Wie das alles so schnell hat passieren können, weiß sie selbst nicht, sagt Hocking im Interview mit SPIEGEL ONLINE: Millionärin wurde sie quasi aus dem Nichts, und zu Hause "verstehen die Leute noch nicht, was ich tue".

Auf ihrem Blog  begrüßt sie ihre Leser noch immer plaudernd und unprätentiös. Leute, die ihre Seite wegen Vertrags- und Filmlizenz-Anfragen besuchen, verweist sie inzwischen aber an ihren Agenten. Ihre Gesamtverkäufe liegen inzwischen bei 900.000 Exemplaren, jeweils 400.000 davon verkaufte sie in den ersten zwei Monaten dieses Jahres. Kein Zweifel, inzwischen ist Hocking Auflagenmillionärin. Nach vorsichtigen Schätzungen verdiente sie damit seit April 2010 mindestens 2,5 Millionen Dollar, wahrscheinlich aber mehr.

Amanda Hocking ist damit der Star einer Szene von Schreibern, die sich Indie-Autoren nennen und deren Erfolg erst mit dem Aufkommen von E-Book-Readern denkbar wurde. Mehr noch: Ihr finanzieller Erfolg wäre unter dem Dach eines normalen Verlages wahrscheinlich unmöglich - denn im Selbstverlag kassiert Hocking satte 70 Prozent aller Umsätze. Von so einem Deal träumen wohl selbst Günter Grass, Ken Follett oder Joy Fielding. Nur: In den Bestsellerlisten findet man die Indie-Autoren nicht. Denn dem Selbstverlag haftet bis heute der Ruch der Zweitklassigkeit an - selbst verlegte Werke werden meist nicht gezählt.

Über Jahrzehnte galt der Selbstverlag als letzter Ausweg, wenn man keinen Verlag finden konnte, selbst Hocking schildert das ähnlich. Die bei Zuschussverlagen, bei denen man den Druck selbst zahlt, oder im On-Demand-Digitaldruck veröffentlichten Bücher kamen aber nie in den Buchhandel. Genau da liegt der Vorteil des Geschäftsmodell E-Book: Im virtuellen Bücherregal ist ein Verlagsbuch von einem Selbstverlegten nicht mehr zu unterscheiden - und weltweit zu haben.

Der zweite Buchmarkt

Zumindest außerhalb Deutschlands entsteht so gerade ein zweiter, alternativer Buchmarkt. Anfang Februar gab der weltweit größte Buchhändler Amazon bekannt, dass die Zahl der Kindle-E-Book-Verkäufe bei ihm nun auch die Zahl der Taschenbuchverkäufe überholt habe.

In der Rückschau dürfte sich das Weihnachtsgeschäft 2010 als Wendepunkt darstellen: Alle Indie-Autoren, die ohne Verlag elektronisch publizieren, erlebten ihre bis dahin größten Verkaufserfolge. Seit Weihnachten aber ebbte das Geschäft nicht etwa ab - es zieht weiter kräftig an. Der Brite Stephen Leather , weltweit Nummer zwei unter den Indies und aktuell Europas erfolgreichster E-Autor, steigerte seine Verkäufe von 40.000 im Dezember auf seitdem "rund 2000 am Tag".

Sein Erfolgsrezept: Das Discount-Prinzip, nur umgekehrt. Leathers erste E-Bücher bot er für 99 Cent an. Das katapultierte ihn im Weihnachtsgeschäft in den britischen Amazon-Kindle-Charts ganz an die Spitze - schon im November entthronte er auf der digitalen Plattform den Bestsellerautor Stieg Larsson.

Besser ohne Verlag - als "Indie" verdienen Autoren mehr

Inzwischen bewegen sich seine E-Books in der gleichen Preiskategorie wie Amanda Hockings Werke. Nach eigener Aussage verdient er mit den Kindle-Verkäufen bis zu 11.000 britische Pfund im Monat - und zwar mit Büchern, die sein eigentlicher Verlag Hodder & Stoughton nicht haben wollte.

Das ist schön für umtriebige Autoren wie Leather, aber eine Hiobsbotschaft für klassische Verlage. Autoren wie Leather oder der US-Amerikaner Joe A. Konrath zeigen, dass es für Autoren weitaus profitabler sein kann, ganz bewusst auf einen Verlag zu verzichten. Beide haben ihre ersten Bücher bei klassischen Verlagen veröffentlicht, Leather erfüllt seinen Vertrag noch, Konrath hat sich von seinem getrennt.

Topseller unter den Indie-Autoren im Kindle-Shop (Dez. 2010)

Autor Verkäufe im Dez. 2010 Verfügbare Titel im Kindle-Store
Amanda Hocking > 100.000 12
Stephen Leather > 40.000 29
Victorine Lieske > 20.000 1
H.P.Mallory > 20.000 3
Michael Sullivan > 10.000 5
L.J. Sellers > 10.000 6
J.A.Konrath > 10.000 19
Beth Orsoff > 10.000 3
Bella Andre > 10.000 6
Tina Folsom > 5.000 12
Daten: Robin Sullivan und Derek J. Canyon

Konrath veröffentlicht auch den Szene-Blog " A Newbie's Guide to Publishing ", auf dem er mit sensationeller Offenheit über seine Strategien und Umsatzzahlen schreibt und dazu noch Gastschreibern eine Plattform bietet. Diese totale Transparenz ist szenetypisch: Herausragend ist hier auch Derek J. Canyons Blog "Adventures in ePublishing" , das sich zu einem Seismografen für die Bewegungen des Indie-Marktes entwickelt.

Ein Verlag ist nicht mehr als ein Label

Konrath schreibt in der gleichen Liga wie Michael Sullivan , dessen Frau Robin in der Indie-Szene einige Prominenz genießt. Sie promotet nicht nur ihren Mann, sondern auch fünf weitere Autoren unter dem Dach eines schrillen Kleinverlags, der eigentlich als Scheinfirma begann : Gegründet haben ihn die Sullivans nur, um ihren E-Books ein nach Verlag aussehendes Label geben zu können. Mit Erfolg, offenbarte Robin Sullivan in einem Gastbeitrag des Konrath-Blogs. Nicht nur stiegen Sullivans Umsätze Ende 2010 in den fünfstelligen Bereich (53.880 Dollar in den letzten zwei Monaten des Jahres), das Label hat den Autor zudem in den Kontext regulärer Veröffentlichungen gehoben.

Inzwischen aber hat Sullivan ein Imageproblem: Gegenüber seinen erbosten Fans ist er in Rechtfertigungsnöten , warum er seine Bücher nun für eine reguläre Printausgabe an einen US-Verlag lizenziert hat. Sullivan versichert, er habe das nicht wegen des Geldes getan, denn mit den E-Books verdiene er deutlich mehr - er habe nur endlich auch den noch immer großen Kreis der Digital-Ablehner erreichen wollen. Verkehrte Welt: In dieser Leselandschaft gilt offenbar der reguläre Buchvertrag als Makel.

Gerade deutsche Verlage dürfte all das in den nächsten Monaten gehörig unter Druck setzen. Noch immer bremsen sie kräftig, wenn es um E-Books geht, die hierzulande meist teurer als international üblich angeboten werden. Zudem ist das Angebot vergleichsweise dünn - auch wenn sich jetzt zunehmend deutsche E-Books im Kindle-Shop finden, der in deutscher Version eigentlich noch gar nicht angeboten wird.

Duck Dich, Buchbranche: Die Welle rollt an

Das aber dürfte sich bald ändern. Zumal sich abzeichnet, dass ausgerechnet die Zielgruppe, die deutsche Verleger für ihre treueste halten, das elektronische Buch besonders begeistert umarmt: Noch vor Twens stellen Menschen ab 55 Jahre die fleißigste Käufergruppe von E-Readern dar, behauptet das britische Marktforschungsunternehmen Silver Poll in einer am Dienstag veröffentlichten Studie. Rund sechs Prozent aller älteren Briten sollen schon einen Reader oder einen Tablet PC besitzen. Die Marktanalysten rechnen mit einer "Explosion der Nachfrage" auch in Europa. Wenn der Trend also nun über den Atlantik schwappt, was werden die Reader-Besitzer hier zu lesen bekommen?

Unter anderem Amanda Hocking. Mehrere Übersetzungen, sagt sie, seien bereits in Vorbereitung, auch in Deutschland. Hier hat ein bisher nicht genannter herkömmlicher Verlag zugeschlagen - der grenz- und sprachübergreifende Selbstverlag ist dann doch nicht so einfach. Trotzdem ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis der erste Indie-Bestseller die deutsche Verlagsszene erschüttern wird. Vielleicht begreift die Branche dann, dass digitale Raubkopien nicht ihr größtes Problem sein werden auf der neuen Verkaufsplattform: Bei Geschwindigkeit, Preisflexibilität und Community schlagen die Indies jeden Verlag.

Bisher schaffen sie das nur im Bereich des Easy Reading - die erfolgreichsten Indie-E-Book-Genres sind Liebesromane, Vampir-Schmonzetten, Thriller, Mystery, Fantasy und Science Fiction. Nicht der Stoff, mit dem man normalerweise Literaturpreise gewinnt - aber genau die Massenware, mit der auch Verlage das Gros ihrer Profite machen. Und Massen davon sind zu erwarten. Einer der ersten Nebeneffekte des E-Book-Booms ist in den USA das Austrocknen der Web-Fiction-Szene: Immer mehr Autoren nehmen ihre kostenlosen Veröffentlichungen aus dem Netz - und bieten sie als E-Books zum Kauf an.

Service - Überblick über in Deutschland erhältliche E-Reader

E-Reader: Lesegeräte von Acer, Aluratek, Amazon und Thalia

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