SPIEGEL Bestseller – Mehr Lesen mit Elke Heidenreich Weniger schön, weniger gesund
Elke Heidenreich, Autorin und Buchkritikerin
Vivienne Westwood ist gestorben, und die hat mal was ganz Wunderbares gesagt: »Dieses Gewese um Schönheit wird immer unerträglicher. Die Menschen sollten sich mehr anstrengen, weniger dumm zu sein. Das würde sie am besten kleiden. Das empfehlenswertes Accessoire ist ein Buch.« In diesem Sinne wollen auch wir in diesem Jahr bitte schöner werden. Nicht, indem wir uns unsere Lippen zu obszönen Schlauchbooten aufspritzen lassen, sondern indem wir mehr lesen. Jetzt sagen Sie ja nicht, ich habe keine Zeit zum Lesen. Diese Zeit nimmt man sich. Das Hirn will auch gepflegt sein. Glauben Sie, ich habe immer Lust, mich durch diese Bücherberge zu wühlen? Auch nicht. Aber ich habe immer irgendwas in Reichweite.
Und da habe ich jetzt wieder zwei Bücher entdeckt, ab vom Mainstream, den sie sowieso mitkriegen, die interessant sind und aufregend und vielleicht schön, für sie zu lesen. Das erste ist von Kerstin Holzer. Es heißt »Monascella«, ist erschienen bei dtv. Das ist ein Buch über das wohl unglücklichste der insgesamt nicht besonders glücklichen Kinder der Familie Mann. Wir erinnern uns, die beiden Ältesten, Erika und Klaus, hochintelligente, androgyne Zauberwesen. Dann die beiden mittleren Monika und Angelus, genannt Golo und die beiden kleinen Elisabeth, Vaters Liebling, von allen verhätschelt, und der putzige kleine Michael. Aber die in der Mitte, die liefen einfach so mit durch. Das Mönle, sagte die Katja immer und konnte mit Monika überhaupt nichts anfangen. Und auch den Golo mochten sie nicht in der Familie. Er galt als unappetitlich und hässlich, und er war mit Sicherheit das Klügste unter den Mann-Kindern. Aber das haben die, mit sich selbst sehr beschäftigten, Eltern Katia und Thomas Mann nicht gemerkt. Man möchte nicht Kind bei diesem Manns gewesen sein.
Kerstin Holzer hat sich nun dieser armen Monika angenommen. Und zwar geht es hauptsächlich um ihre erfüllten Jahre auf Capri. Monika Mann und ihr Leben auf Capri. Natürlich mit Ausflügen in die furchtbaren Demütigungen durch diese Familie und in ihr, von immer wieder neuen Niederschlägen, geprägtes Leben. Als Kind wurde sie nicht gemocht, hin und hergeschoben von der Mutter und von Erika immer nur gemaßregelt, vom Vater überhaupt nicht beachtet. Kerstin Holzer schreibt: »Die Familie ist mit sechs Kindern jetzt komplett. Die elterlichen Aufgaben konzentrieren sich ab jetzt auf die Bändigung der Großen und die Verzärtelung der Kleinen. Die Mittleren laufen mit. Oder mit den Worten von Monika: 'Ich kann sagen, dass mit der Geburt der Kleinen meine Kindheit beendet war'.« Da war sie acht Jahre alt. Also Monika sitzt von Anfang an zwischen allen Stühlen. Leider klappt auch die Verbrüderung mit Golo nicht. Die beiden sind sich nicht nahe. Und das Exil, in das die Familie Mann ja nun reisen muss, wegen der Nazis und auch fleißig reißt, erst in die Schweiz, dann nach Amerika, nach Italien zwischendurch, ist für dieses nirgends verortete und ohnehin herumgeschoben und einsame Kind, ganz besonders schlimm.
Dann findet Monika endlich in London einen Freund, einen Ungarn, einen Ehemann. Sie heiraten. Da ist sie 26 und er 38. 1939 heiraten sie und 1940, ein halbes Jahr später, gehen sie auf ein Schiff, um der Familie nach Amerika ins Exil zu folgen. Und dieses Schiff geht unter, und ihr frischgebackener Ehemann, den sie sehr geliebt hat, ertrinkt und sie wird gerettet. Also der nächste grauenhafte Schicksalsschlag. Das alles erzählt dieses Buch. Und dann erzählt es davon, wie Monika in einer gemieteten Wohnung innerhalb einer schönen Villa oberhalb des Meeres in Capri endlich zur Ruhe kommt. Sie hat einen Gefährten gefunden und zwar den Sohn von Maurern und Fischern, Antonio Spadaro. Sohn aus einer einfachen Familie, natürlich von den Manns weder anerkannt noch überhaupt nur erwähnt. Und er nennt sie zärtlich Monascella. Das gibt dem Buch den Titel. Und Monica hält in all den Jahren den Kontakt zu ihrer Familie. Sie lebt 31 Jahre auf Capri und diese Jahre erzählt das Buch. 30 Jahre davon mit Antonio, der dann 1985 mit 78 Jahren stirbt. Und sie zieht zurück in ihr Elternhaus, in die Schweiz und lebt da zusammen mit Golo, der da schon länger ist. Aber dieses Zusammenleben gestaltet sich auch schwierig. Und das Buch von Kerstin Holzer über Monascella ist ein Buch über eine Ausgegrenzte, eine Versehrte, die ein eigenes Leben gefunden hat und eigentlich über einen Menschen, den wir im Gegensatz zum Rest ihrer Familie, richtig gerne mögen, nämlich Monika Mann.
Das zweite Buch ist mit Sicherheit ziemlich autobiografisch. Ursula Fricker »Gesund genug«, bei Atlantis erschienen. »Wann sind wir denn nun endlich gesund genug?«, fragt das Kind seinen Vater, der die Familie mit seinem Gesundheitswahn an den Rand der Nerven treibt. Nur Gemüse, niemals was Süßes, ist ja klar, kein Fleisch. Sie haben nicht mal ein Messer auf dem Tisch liegen. Messer, sagt der Vater, ist was für Fleischfresser. Wir brauchen nur Gabeln. Wenn es im Ort mal keine biologisch-dynamische Banane zu kaufen gibt, dann fährt der Vater auch bei strömendem Regen, natürlich mit dem Fahrrad, in den Nachbarort, um die biologische Banane dort zu kaufen.
Wenn im Haus, in dem man wohnt, unten oder irgendwo jemand raucht, wird sofort umgezogen. Die Umzieherei und der Gesundheitswahn prägen die ganze Familie. Die Mutter macht das alles klaglos mit. Einmal verheiratet, immer verheiratet. Man ordnet sich unter. Und die Tochter erzählt die Geschichte. Und es beginnt damit, dass dieser Vater, der immer nur gesund gelebt hat, auf dem Sofa liegt und an Darmkrebs stirbt. Und eigentlich möchte sie ihm sagen: So, das hat sie jetzt davon, hast ja wohl auf der ganzen Linie versagt! Aber sie verkneift es sich. Sie fängt an, über diesen Vater nachzudenken, mit Rückblenden in ihr eigenes Leben, wie sie versucht hat, sich zu lösen, endlich zu naschen, Schlager zu hören, überhaupt Freude zu empfinden. Denn Freude war zu Hause auch verboten. Und sie kommt dahinter, dass dieser Vater eigentlich ein ganz unglückseliger Mensch war und dass dieses rigide Verhalten natürlich auch eine Art Surrogat für ein Leben war, das er gerne auch anders geführt hätte.
Und das ist sehr anrührend und bewegend geschrieben. Und ich dachte mir zu Beginn des neuen Jahres, wo wir uns alle vornehmen, wieder gesünder zu leben, ist das eine kleine Warnung: Allzu gesund macht freudlos! Nehmen Sie sich lieber vor, mehr zu lesen, anstatt wer weiß wie gesund zu leben. So, und jetzt gucken wir mal in diesem Sinne auf das, was auf der Spiegel-Liste so »herumbestsellert«.
Auf Platz zehn diese Woche, vier Plätze heruntergerutscht nach dem Weihnachtserfolg: Die tröstlichen Gute-Laune-Storys von Comedy-Autor Tommy Jaud. »Komm zu nix – Nix erledigt und trotzdem fertig« wurden als perfektes Geschenk gegen den Alltagsstress gepriesen. Fragen wie »Warum ist die Steuererklärung komplizierter, als Hebräisch zu lernen?« und »Darf man lästige Werbeanrufer in den Wahnsinn treiben?«, dürften allerdings auch im neuen Jahr aktuell bleiben.
Ganze 30 Plätze hoch klettert in dieser Woche die hamburger Bestsellerautorin Mona Kasten: Die Liebesgeschichte von Rosi und Adam – sie Webradio-Show-Host, er Schlagzeuger – feiert in dieser Woche sogar einen Doppelsieg auf der Liste. Zunächst Band eins der sogenannten Scarlet-Luck-Serie »Lonely Heart«, also auf Platz neun.
Und auf Platz acht kommt dann die im November herausgekommene Fortsetzung der herzzerreißenden Liebesgeschichte von Rosie und Adam, geführt unter dem Titel »Fragile Heart«. Darin spielt ein Abschiedsbrief eine gewichtige Rolle. Möglicherweise steht auch hier eine Verfilmung an, der vorherige Liebeskassenschlager von Mona Kasten, die »Save Me«-Serie, soll in diesem Jahr bei »Amazon Prime« erscheinen.
Auf Platz sieben geht es dann weiter mit einer alten Bekannten auf dieser Liste, Bestseller- Grande-Dame Charlotte Link: Ihr jüngster Krimi bietet uns den vierten Teil Ihrer Reihe um Ermittlerin Kate Linnville. Diesmal muss Linnville einen undurchsichtigen Mordfall lösen. Eine Spur führt zu einem sogenannten Cold Case. Von Schnee und Kälte durchzogen: ein Krimi, der gleichzeitig viel übers Alleinsein erzählt.
Einen Platz hoch auf die Sechs schafft es diese Woche die Kölner Schriftstellerin Mariana Lecky: Ihre aus Kolumnen in der Zeitschrift »Psychologie heute« gewachsene Sammlung humorvoller Geschichten bieten auch im neuen Jahr Trost. Immerhin gilt es sich ja erneut durch den Alltag zu manövrieren. Und dazu bietet uns »Kummer aller Art« Beispiele aus diversen Lebenslagen.
Wie ein Brett liegt der Autor Ferdinand von Schirach auf der Liste: Seit 20 Wochen pendeln seine kleinen Geschichten über große Themen unter dem Titel »Nachmittage« auf den oberen Plätzen. Liebe, Leben und Tod – die autobiographisch angehauchten Skizzen dazu diese Woche erneut auf Platz fünf.
Einen größeren Sprung macht hingegen US-Bestsellerautorin Colleen Hoover, gleich neun Plätze hochgeklettert: Ihre Liebesgeschichte erzählt aus drei Perspektiven, mit dem bilingualen Titel »It starts with us – Nur noch einmal und für immer«. Das Beziehungsdrama der Protagonisten Lily, Rile und Atlas ist Teil zwei einer Reihe, die nur noch Band drei braucht, um vollständig zu sein. Colleen Hoover wird ihre Fans kaum lange zappeln lassen.
Und wer denkt, dass Chemikerin Elizabeth Zott im Jahr 2023 langsam in Vergessenheit gerät – weit gefehlt! Die sympathische Protagonistin der Debütautorin Bonnie Garmus gewinnt auch diese Woche den »am längsten auf der Liste« - Preis. 40 Wochen lang schon entzückt eine »Frage der Chemie« die Leser. Diese Woche auf der Drei.
Einen Minianstieg von einem Platz, schafft es die Husumerin Dörte Hansen. In »Zur See« lernen wir Familie Sander kennen, die seit fast 300 Jahren auf einer kleinen fiktiven Nordseeinsel lebt. Alle Familienmitglieder sind eng mit der Insel verbunden, leben aber komplett nebeneinander her, bis ein Wal auf der Insel strandet. Welch eine Wendung Hansen der Geschichte damit beschert – darf nachgelesen werden, auf platz zwei.
Und wer sich nun die Augen reibt und glaubt, ein Déjà-vu zu erleben: richtig! Denn es gibt keine Bewegung auf Platz eins – und das schon über mehrere Wochen hinweg: Die düstere Kriminalgeschichte um die Mimik-Resonanz-Expertin Hanna Herbst, scheint die Leser/Käufer zu fesseln. Gedächtnisverlust und die Angst, sich selbst nicht mehr trauen zu können, das sind die siegreichen Gruselkomponenten im Psychothriller von Erfolgsautor Sebastian Fitzek.