Elke Heidenreich
Nicht nur wir haben unsere Pandemie. In der Mitte des 18. Jahrhunderts wütete die Pest auf Sizilien und da wusste man noch nichts über Hygiene und Viren, aber man wusste auch schon, die Menschen sollten sich lieber meiden, sollten in eine Art Quarantäne gehen. Und wer konnte, floh aufs Land. Von so einer Flucht erzählt das Buch »Trio« der Grande Dame der italienischen Literatur, Dacia Maraini. Sie hat vor ungefähr 40 Jahren recherchiert für ihren Roman »Die stumme Herzogin« und ist dabei auf eine Chronik der Pest gestoßen, damals in Sizilien. Und sie dachte sich jetzt, zu Zeiten von Corona, kann ich daraus eigentlich ein Buch machen. Es ist ein schmales, schönes Buch geworden. Es heißt »Trio«, und es ist ein Roman in Briefen. Und zwar schreiben sich diese Briefe zwei Freundinnen. Agata aus Palermo und Anuzza aus Messina. In Messina hat es angefangen mit der Pest. Ein Schiff ist gelandet, und ein Seemann hat wohl die Pest in die Stadt geschleppt. Und die Freundinnen schreiben sich jetzt, wie plötzlich überall tote Mäuse rumliegen, tote Hunde, tote Ratten, wie die ersten Menschen sterben. Und sie wissen, sie müssen aus ihren Städten raus.
Und so fliehen sie beide, Agata nach Castagna und Anuzza nach Casteldaccia. Und dann schreiben sie sich, wie sie dort untergekommen sind, was sie essen, wen sie sehen, nicht sehen, wie sie sich langweilen. Und sie schreiben sich so wunderbare »Weißt-du-noch-Briefe«. Weißt du noch, wie es mit unserer Freundschaft angefangen hat? Und weißt du noch, wie wir Girolamo kennengelernt haben? Girolamo ist der Dritte im Trio, das heißt ja »Trio«, ein Mann, den beide gleichzeitig kennengelernt haben. Agata hat ihn geheiratet oder er sie. Sie haben zusammen ein Kind, eine Tochter. Und er liebt aber auch Anuzza. Und die beiden Frauen wissen das. Und sie wollen nicht, dass Eifersucht jetzt ihre schöne Freundschaft zerstört. Und sie schreiben sich Briefe. Er kommt aufs Land. Er kommt natürlich erst zu Frau und Kind. Und Agata schreibt: »Ich merke, wie er sich nach dir verzehrt. Er wird bald zu dir kommen. Pass gut auf ihn auf.« Und Anuzza schreibt: »Ach Gott, ich möchte ihn eigentlich aufgeben, weil das ist ja so schrecklich, das wird unsere Freundschaft zerstören.« Und Agata schreibt: »Nein. Wenn du ihn aufgibst, verliebt er sich in eine Andere und das wäre noch viel schlimmer. Lieber in dich. Pass gut auf ihn auf. Wir lieben ihn einfach beide und unsere kostbare Freundschaft darf das nicht zerstören.« Und jetzt geht das Monate so weiter. Sie schreiben sich, was sie lesen. Sie lesen beide Calderón »Das Leben, ein Traum«. Sie schreiben über Einsamkeit, Verzweiflung. Aber sie trösten sich und halten sich aufrecht.
Und der Mann reist mal zur einen und mal zur anderen. Und Anfang Januar 1744 schreibt Agata an Anuzza, bei der er gerade ist: »Erzähl mir mehr von Girolamo. Ich weiß, dass er mit dir glücklich ist, und ich sage mir, dass ich das möchte. Und doch schmerzt es mich und schnürt mir das Herz ab. Nicht aus Eifersucht, glaube mir. Wie könnte ich auf meine Herzensschwester eifersüchtig sein? Es ist das Gefühl des Verlusts und des Verlassenwerdens. Der Gedanke, dass ich nicht fähig war, dauerhafte und tiefe Liebe in seinem aufgewühlten Herzen zu wecken.« Sie war aber durchaus fähig, diese Liebe zu wecken. Denn es kann eben einfach mal sein, dass ein Mann beide liebt. Und das ist hier der Fall. Und dann schreibt sie noch, die kluge Agata: »Ich glaube nicht, dass Liebe eine Verpflichtung ist oder dass man einen Menschen an die Leine nehmen kann, auch wenn die noch so stabil ist. Ich hoffe, dass mein bescheidener philosophischer Geist mir dabei hilft, der Realität zu begegnen, ohne den Kopf zu verlieren und vor allem, ohne das Schönste auf der Welt zu opfern, die Freundschaft.«
Dies ist ein Buch über Freundschaft oder auch über das, was wir alle gerade erleben: Eine Epidemie, die Langeweile, die Trostlosigkeit, die Verluste, die Ängste, das Zerbrechen aller Strukturen. Aber es ist eben auch ein Buch über Trost, Freundschaft, Liebe, Charakter und Toleranz. Und als es langsam besser wird und man weiß, man kann ja jetzt nach Palermo und nach Messina zurückkehren - nach langer Zeit übrigens, auch mehr als ein Jahr - vielleicht in eine Normalität, da schreibt Agata: »Es scheint, als ob die Epidemie langsam abklingen würde. Man sagt, das Schlimmste sei überstanden. Aber noch immer sterben Menschen.« Ja, noch immer sterben Menschen, auch bei uns. Deshalb müssen wir geduldig sein. Halten Sie die Füße still. Halten Sie aus. Bewahren Sie Charakter wie Agata, Girolamo und Anuzza in »Trio« von Dacia Maraini.