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Kracht in Zürich: Aus der Zeit gefallener Herr

Foto: Noah Ben-Shalom

Erste Lesung von Christian Kracht Er schnauft! Bei Hitler!

Alle reden über ihn, jetzt sprach er: In Zürich las Christian Kracht aus seinem umstrittenen Roman "Imperium" vor. Würde er bei der Weltpremiere etwas sagen zu dem Vorwurf, ein Rechter zu sein? Das Publikum deutete gespannt jede Regung des Autors - und lachte schließlich über hässliche Deutsche.

Nach dem ausgedehnten Mahl, nach einem prächtigen Wiener Schnitzel, nach dem doppelten Espresso, da war erst nur das Murmeln eines deutschen Geschäftsmannes zu hören, der sein freilich völlig desinteressiertes US-amerikanisches Gegenüber in unbeholfenem Englisch von einer Investitionsmöglichkeit zu überzeugen suchte. Dann rief der Amerikaner eindringlich nach der Rechnung, und eine Zürcher Kellnerin schritt sanftfüßig den Speisesaal ab, um jenen Besuchern mit freundlichen Worten den Weg zu erklären, die noch nie bei einer Veranstaltung im Kaufleuten gewesen waren: Durch die Türe, durch welche man vor etwas über einer Stunde eingetreten war, um ein golden gebratenes Schnitzel für nicht weniger als 48 Schweizer Franken zu verzehren, wieder hinaus, quer über den mit bunten Malereien geschmückten Flur hinüber zum Theatersaal, da sehe man dann im Foyer schon die anderen Menschen, die sich ebenso eingefunden hätten, um in Weltpremiere den Schriftsteller Christian Kracht aus seinem Roman "Imperium" lesen zu hören - dort schließlich, im Saal, sei ein hervorragender Platz reserviert mit einem Namensschild, eine Reservierung, die im Übrigen nur möglich gewesen war, wenn man sich vorher verpflichtet hatte, jenes köstliche Schnitzel zu verspeisen oder eines der anderen, meist noch kostspieligeren Menüs, die, wie in der Karte vermerkt, samt und sonders aus biologischer und gegebenenfalls artgerechter Quelle stammten.

Tatsächlich, drüben im Foyer standen sie in einer großen Traube, andere Besucher, schick herausgeputzt, junge Herren, zahlreich im Sakko mit Einstecktuch, ihre Begleiterinnen das blonde Haar streng gescheitelt, allesamt Menschen, die hören wollten, wie der Mann liest, über den jetzt alle reden.

Das Kaufleuten, ein Restaurant mit angeschlossenem Kulturbetrieb, bald soll hier auch Wladimir Kaminer auftreten, liegt am Pelikanplatz mitten in Zürich direkt gegenüber eines Gebäudes des Geldinstituts UBS, was in Zürich keine verlässliche Ortsbeschreibung ist. Man sagt, in den USA gebe es keinen Ort im Freien, von dem aus man nicht eine amerikanische Nationalflagge wehen sehen könne, und so verhält es sich wohl in Zürich mit der UBS: Die roten Buchstaben ihres Logos scheinen allgegenwärtig zu sein.

Drinnen im Theatersaal war es eine kleine Überraschung, dass doch nicht die UBS diese Veranstaltung unterstützte, sondern die Zürcher Kantonalbank, wie auf einer Diaprojektion zu lesen war. Die größere Überraschung war aber, dass man sich Schnitzel und Reservierung womöglich hätte sparen können, denn noch eine Viertelstunde vor Beginn hätte man bequem Platz gefunden auch ohne Namensschild. Erst am Tag zuvor hatte das Kaufleuten sich entschieden, die Lesung von einem kleineren Raum in den dunkel getäfelten, mit samtigen roten Vorhängen und einer großen, spiegelnden Disco-Kugel geschmückten Theatersaal zu verlegen - wegen des großen Andrangs.

"Jetzt fließt viel Tinte"

Jetzt war Platz für alle. Warum sie gekommen waren, lässt sich freilich nur erahnen. Die meisten sind wohl Fans des Schriftstellers und wollten jetzt gerne hören, wie das vorgelesen klingt, wenn Kracht in "Imperium" nicht einfach sagt, "es regnet", sondern "Sturzbäche" in "Kaskaden" "herabstürzen" lässt vom Himmel. Es mag Leser geben, die so einen Stil schätzen, oder, man weiß das ja bei Kracht nie so ganz genau, seine Parodie dieses Stils. Viele waren womöglich auch aus Neugierde da wegen der durch den SPIEGEL ausgelösten Debatte um Christian Kracht, genauer: wegen des vom Kollegen Georg Diez erhobenen Vorwurfs, Kracht sei ein "Türsteher rechten Gedankenguts" (oder so ähnlich) und der sich anschließenden Empörung.

Wobei, las man die Schweizer Feuilletons, konnte es mit der Aufregung hierzulande nicht weit her sein: Die "NZZ am Sonntag" beispielsweise machte sich gepflegt lustig über die deutsche Diskussion ("Jetzt fließt viel Tinte"), und einen älteren Herrn in der vierten Reihe kann man kurz vor Beginn der Vorstellung dabei belauschen, wie er, offenbar in der Verlagsbranche tätig und bestens mit Krachts Werk vertraut, der "sogenannten Debatte" jede Daseinsberechtigung absprach: "Beim Kracht ist alles bis ins letzte Detail von ihm geplant, bis zum Cover eines Buches und seiner Schrifttype", erzählte er in schweizerischem Singsang seinem Sitznachbarn. "Und auch seine Auftritte, immer ernst, immer tief bewegt, das ist eine Selbstinszenierung bis ins Lächerliche. Aber ich finde das super. Und die Vorwürfe gegen ihn sind noch viel lächerlicher. Man kann vielleicht sagen, das ist ein Scheißbuch, so etwas kann man immer sagen, aber…"

Was jetzt "aber" nicht gesagt werden konnte, das erfuhren wir nicht mehr, denn jetzt begann endlich, worauf alle gewartet haben, beziehungsweise noch nicht ganz, denn vorher sprach noch einer vom Kaufleuten: Man sei sehr geehrt, Christian Kracht heute hier zu haben, und es gebe ja Leute, die behaupten, das Kaufleuten habe den ganzen Skandal um Kracht inszeniert, weil nur so die Weltpremiere in Zürich habe stattfinden können und nicht, wie ursprünglich geplant, in Berlin.

Diese (und weitere Auftritte in Deutschland) hatte Christian Kracht nämlich abgesagt, weil ihn die harsche Kritik im SPIEGEL "gekränkt" habe (oder so ähnlich), das hat er ausrichten lassen, denn selbst äußern wollte er sich bisher nicht zum Verdacht, er sei ein wenig allzu sehr fasziniert von Diktatoren aller Art. So eine Weltpremiere macht sich mitten in einem Literaturkrieg allerdings auch viel besser auf neutralem Schweizer Boden, nach Deutschland kann Kracht dann ja immer noch kommen, zur Leipziger Buchmesse etwa, die in wenigen Tagen beginnt.

Die eigentlich spannende Frage des Abends

Das war ja die eigentlich spannende Frage des Abends: Würde Kracht etwas sagen über die Debatte um seine Person und sein Werk und was beides möglicherweise miteinander zu tun haben könnte? Und wenn er schon nichts sagen wollen würde, würde er vielleicht nur mit einem Lendenschurz bekleidet auftreten wie sein Held Engelhardt, oder wenigstens mit einem aufgeklebten Hitler-Bärtchen als stummer Kommentar zur Kracht-Debatte?

Er tat das selbstverständlich nicht, denn Christian Kracht ist kein Clown, sondern der im Moment aufsehenerregendste deutschsprachige Schriftsteller, und er ist auch kein Idiot, darum sagte er zur Diskussion um seine Person: kein Wort. Auch sonst sagte er sehr wenig, was nicht wortgleich in seinem Roman zu lesen wäre.

"Guten Abend, ich lese Ihnen heute aus 'Imperium' vor", sprach Kracht, nachdem er endlich die Bühne betreten hatte, anders als auf den meisten Bildern seiner Person heute unrasiert zu betrachten (Fotografieren war übrigens verboten), seinen blauen Mantel legte er gar nicht erst ab, wischte sich etwas linkisch eine von links nach rechts fallende blonde Haarsträhne aus der Stirn, setzte sich eine Brille auf, deren Gestell im Scheinwerferlicht rötlich schimmerte, und begann mit leicht belegter Stimme, sich anfangs mehrmals räuspernd, aus seinem Roman vorzulesen, beginnend mit dem allerersten Satz, der ja weithin bekannt ist, weil er - man kann jetzt schon sagen: traditionell - praktisch jeder Rezension von "Imperium" vorangestellt ist: "Unter den langen weißen Wolken, unter der prächtigen Sonne, unter dem hellen Firmament, da war erst ein lang gedehntes Tuten zu hören…" und so weiter, wobei er, es mag die Aufregung gewesen sein, diesen ersten Satz verstolperte, wie auch einige weitere. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, Christian Kracht lese einen ihm unbekannten Text vor und müsse nun freihand unterwegs die richtige Betonung erahnen, was ihm erstaunlicherweise mehrmals vollkommen misslang.

Marke Salem

Kracht las mit ruhiger, gleichförmiger, wäre der Abend und die Debatte und Kracht selbst nicht so unglaublich aufregend, könnte man sagen: einschläfernder Stimme, nur an zwei Stellen vielleicht konnte man sich einbilden, eine Gefühlsregung wahrzunehmen. Einmal gleich am Anfang, da ging es um den berüchtigten Vergleich Engelhardts mit dem anderen deutschen Vegetarier Hitler, da schien Kracht etwas vernehmlich einzuschnaufen beim Lesen. Und ebenso schnaufte er, als er seinen Erzähler später eine Queen Emma genannte Dame dem Engelhardt eine eigentlich völlig wertlose Insel zum Verkauf anpreisen ließ, die Dame berichtet Engelhardt von einem Kokosnuss-Hochzeitsritual.

Es konnte sich bei diesen Beobachtungen allerdings auch um Einbildung handeln, denn da sonst nur wenig geschah, musste man sich auf kleinste Kleinigkeiten konzentrieren. Als im Roman eisgekühltes Bier von einem deutschen Dampfer an Land gebracht wird, kratzte sich Christian Kracht am Kopf, kurz darauf zündete er sich eine Zigarette an, Marke Salem, gleich dem Internat, das er in seiner Jugend besucht hatte, der Rauch stand über ihm, dann wieder ein nicht vorgelesener Satz: "Ich springe jetzt etwas vor zu Kapitel drei."

Als Engelhardt im Roman nicht dem Deutschen Club beitreten will, streifte sich Christian Kracht seinen Mantel ab, ließ ihn hinter sich zu Boden gleiten und gab so den Blick frei auf ein braunes Jackett, dessen Farbe schön mit dem Bart des Schriftstellers korrespondierte. Darunter trug Christian Kracht ein hellblaues Hemd und eine schmale, dunkel gemusterte Krawatte, und man hätte gerne gewusst, ob er auch Sockenhalter trug, so wie damals, als er in den Neunzigern Heidelberg besuchte, und in seinem Kreis alle Sockenhalter trugen (oder tragen mussten, wollten sie dazu gehören), denn Thomas Mann hatte ja auch Sockenhalter getragen.

Je länger Christian Kracht las, desto älter erschien er, ist er doch erst 45 Jahre alt, aber auf der Bühne saß ein älterer Herr, eigentlich aus der Zeit gefallen, man konnte ihn sich gut vorstellen mit einem Tropenhelm auf dem Kopf und einem Schmetterlingsnetz in der Hand, auf Exkursion in fernen Ländern, während man seiner gleichförmig plätschernden Stimme lauschte, einzig unterbrochen vom gelegentlichen Gelächter des Zürcher Publikums, verlässlich einsetzend immer dann, wenn von hässlichen, rotgesichtigen, dickbäuchigen Deutschen die Rede war, das kam gut an. Mit dem letzten Satz des vierten Kapitels endete die Lesung, Christian Kracht erhob sich, verbeugte sich unter Applaus, hob die Hand und schien leicht ins Publikum zu winken, und verließ die Bühne ohne weitere Worte zu verlieren.

Rechtsradikales Gedankengut, soviel kann hier festgehalten werden, wurde nicht vorgetragen, was schon daran liegen mag, dass solches in "Imperium" eigentlich nicht zu finden ist. Ist Christian Kracht nun ein Rechter, ein von deutschen Kriegen faszinierter Brauner? Keine Klärung. Später, an der Bar, präsentiert ein aus Deutschland stammender Gesundheitsökonom stolz die Widmung, die Kracht in seinen Band geschrieben hat. Der Besucher habe Kracht gebeten, Ort und Datum der Lesung zu vermerken, und der Schriftsteller habe kurz gezögert, und dann hat er geschrieben: "Zürich, 7. 3. 1907" Aufgemerkt! Das könnte etwas bedeuten! Aber wahrscheinlich tut es das nicht.

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