Feridun Zaimoglus neuer Roman "Isabel" Worte wie Eissplitter

Feridun Zaimoglu schreibt in frostiger Sprache über zwei schockgefrostete Herzen. Ihm glückt ein großer Berlin-Roman: keine Migrantengeschichte, sondern eine Geschichte, in der ganz selbstverständlich Migranten auftauchen.
Feridun Zaimoglu hat einen wilden, ehrlichen, bis ins Mark ethnischen und authentischen Roman geschrieben.

Feridun Zaimoglu hat einen wilden, ehrlichen, bis ins Mark ethnischen und authentischen Roman geschrieben.

Foto: Klaus Haag

Man könnte ihn einfach ignorieren, jenen neudeutschen Schriftsteller, bekannt für große Worte statt einen großen Roman, der sich seit Jahren wohlfühlt in seiner Besserwisserei und nun einen Text für Deutschlands Wohlfühl-Feuilleton geschrieben hat, in dem er andere neudeutsche Schriftsteller dafür kritisiert,  dass sie Wohlfühl-Literatur schreiben und Wohlfühl-Preise kassieren. Schon komisch, oder? Aber dann muss man sich doch über ihn ärgern, denn Maxim Biller ohne großen Roman nennt den großen Roman "Leyla" von Feridun Zaimoglu einen "Genuss für jeden Deutschen, der seinen Rassismus hinter einer scheinlinken Islamkritik versteckt", nennt Zaimoglu selbst einen "braven Neubürger", der sich angepasst habe, und fragt: "Warum fällt meiner Lieblingsbuchhändlerin zuerst gar kein Autor ein, wenn ich sie nach Immigrantenliteratur frage, und dann ausgerechnet Zaimoglu?"

Nun, vielleicht weil Zaimoglu dieses Frühjahr schon wieder einen großen Roman geschrieben hat, "Isabel", und weil dieser Roman exakt die Forderung erfüllt, die jener Gernegroß so billig an die deutsche Migrantenliteratur herangetragen hat: Der Text ist wild, ehrlich, bis ins Mark ethnisch und authentisch. Es ist ein Text, in dem sich niemand wohlfühlt, und mit dem sich auch kein Leser einfach wohlfühlen kann.

Beisitzerin für den Beischlaf

Zaimoglu, 49, hat einen Berlin-Roman geschrieben, in dem Berlin arm ist, aber alles andere als sexy. Es gibt in diesem Roman keine Kunstgalerien, keine Avantgarde-Theater, keine Bionade-Bars, aber Plattenbauwohnungen, Armenküchen, Kleiderkammern. Es gibt keine Hipster, keine glamouröse Bohème, keine Easyjet-Touristen, aber Penner, Huren, Stricher. Und auch die Sprache dieses Roman ist nicht sexy, nicht sinnlich. Sie ist so vereist wie Zaimoglus Figuren.

Die Hauptfigur ist Isabel: eine schöne, aber nicht mehr junge Frau. Sie schauspielert mal hier, modelt mal dort, aber genug Geld kommt darüber nicht mehr rein. Als sie ihren vermögenden Freund verlässt, stürzt sie ab, sowohl sozial als auch emotional. Sie zieht in eine Platte am Alexanderplatz. Sie streunt durch die Straßen, trifft den Transvestiten Herbert. Sie geht zur Armenhilfe, trifft die Flaschensammlerin Helga. Sie lässt sich von einem Ehepaar dafür bezahlen, ihm beim Sex zuzuschauen: eine Beisitzerin für den Beischlaf, eine Unanständigkeitsdame. Isabel selbst hingegen wirkt asexuell. Wenn sie mal ausgeht, dann ungeschminkt. Sie hält sich nicht mehr "an die Regeln der Geilen".

Isabel ist türkischstämmig. Das spielt eine Rolle, wenn sie Fladenbrot in eine Paste aus Sesam und Honig stippt, weil sie traurig ist. Oder wenn ihre Mittelschichts-Mutter Derya ("die härteste Deutsche, die Isabel kannte") mit ihrem Lotterleben hadert und daher halbherzig drei Heiratskandidaten für sie aussucht. Oder wenn Isabel mit türkischen Männern hadert, die deutsche Frauen ficken wollen, aber türkische Jungfrauen heiraten. Die Hauptrolle aber spielt Isabels Türkischsein nicht. Es ist ein Motiv des Romans, nicht das tragende Motiv, und eben das macht den Roman so modern und das Roman-Berlin so authentisch. Zaimoglu hat keine Migrantengeschichte geschrieben, sondern eine Geschichte, in der ganz selbstverständlich Migranten auftauchen und mit den Migranten ihre je eigenen Geschichten. Es ist, wenn man so will, eine bis ins Mark ethnische Geschichte.

Ein Sadist verfolgt Isabel

Dass Isabel immer tiefer ins Chaos gerät, hat mit ihrer Herkunft nichts zu tun: Sie zieht in die Wohnung ihrer Freundin Juliette, einer erfolglosen Modemacherin, die sich umgebracht hat. Kurz darauf wird Juliettes Mutter der Schädel eingeschlagen, dann zündet Juliettes Bruder die Wohnung an. Er ist ein Psychopath, ein Sadist, der Isabel immer besessener verfolgt.

Zum Glück gibt es Marcus, einen Kriegsheimkehrer aus dem Kosovo-Einsatz, der emotional vereist ist wie Isabel, der sich aber um sie kümmert, der sie irgendwann sogar umarmt. Isabel versucht, sich loszureißen, sich frei zu ringen, aber dann lässt die Unberührbare sich berühren: "Soldat streichelte sie nicht. Soldat küsste sie nicht. Soldat strich ihr nicht übers Haar. Soldat presste nicht seinen Körper an ihren Körper. Soldat war kein Trostabstauber. Soldat umarmte sie nur. Mann und Frau: vom Stamm steil abgehende dünne Äste. Frau hatte kein heißes Herz. Hatte keine Lust auf Lüge Liebe. Empfand nichts, spürte nur Hunger."

Zaimoglu schreibt in frostiger Sprache über zwei schockgefrostete Herzen. Er lässt oft die Artikel weg, wirft die Worte wie Eissplitter auf die Seiten, wählt einen Stakkato-Stil: abgehackt, atemlos, als schreibe er keinen Roman, sondern den Entwurf für einen Roman. Das sorgt für viel Atmosphäre, aber wenig Erklärungen, und so versteht man die Geschichte zwar nicht immer, aber man fühlt sie umso intensiver.

"Isabel" ist ein Liebesroman, wenn auch ein herber, ein harter Roman, einer fast ohne Romantik: ein Liebesroman, der einem die Lust auf die Liebe austreibt.


Feridun Zaimoglu: Isabel. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln; 240 Seiten; 18,99 Euro.

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