Frankfurter Buchmesse eröffnet Macron schwärmt, Merkel geht früher

Angela Merkel und Emmanuel Macron auf der Frankfurter Buchmesse
Foto: Thomas Lohnes/ Getty ImagesIm Pavillon des Ehrengastlandes brennt noch Licht, kurz nach 20 Uhr am Dienstagabend. "Der Macron ist da immer noch drin", sagt die Messebedienstete an der Ausgangstür des gegenüberliegenden Kongresszentrums der Frankfurter Messe - es klingt wie ein Stoßseufzer. "Ja, sehr gesprächig der Herr", antwortet ihr Kollege, als wolle er seinem Oberbürgermeister Ehre machen, der das als typisch frankfurterisch angesehene Gemecker in seiner Rede zur urdemokratischen Tugend zu erheben suchte.
Aber er hat ja auch recht, der Sicherheitsmann. Unermüdlich schob sich Emmanuel Macron durch die labyrinthischen Holzregalgänge der Präsentation des Gastlandes Frankreich, plauderte mit Übersetzern, ließ sich eine Bibliothekssoftware zeigen, begrüßte eine Gruppe Schulkinder - und zwischendurch immer wieder ein Selfie hier, ein Autogramm dort. Monsieur le Président liebt es ja sowieso, das Bad in der Menge - und wenn die Menge nicht aus frisch entlassenen Arbeitern, sondern aus Büchermenschen besteht, dann um so mehr.
Angela Merkel war da schon längst gegangen. Auf ihrem Programm hatte nach dem Ende der Eröffnungsreden noch mit Macron das gemeinsame Drucken der ersten Seite der Menschenrechtserklärung auf einem Nachbau der Gutenberg-Holzpresse gestanden, dann überließ sie Macron das Feld.
Macron: Über Benjamin zu Baudelaire
Ein Feld, auf dem sich Emmanuel Macron schon den ganzen Abend sichtlich wohl gefühlt hatte. Auch wenn es zu Hause leisen Spott gegeben hatte, dass ausgerechnet der Anglizismen-Fan Macron sich als Werber für die Frankophonie zeigen wolle. Aber Belesenheit zog sich durch seine Rede.
Der weite Bogen begann bei Goethe, der seinen "Faust" in der Übersetzung von Gérard de Nerval wie ein neues Buch gelesen habe. Dann gestand Macron, dass er, der Franzose, erst über Walter Benjamins Interpretation Baudelaire richtig verstanden habe. Und schließlich bezog er sich auf seinen intellektuellen Ziehvater, den Philosophen Paul Ricoeur, der, gleich nach der Befreiung aus deutscher Gefangenschaft, die erste Husserl-Übersetzung ins Französische besorgt habe - obwohl er genug Gründe gehabt hätte, die Deutschen und das Deutsche zu hassen.
Durch die Sprache, die Übersetzungen und die Bücher sei der Dialog nie abgerissen zwischen den Nachbarländern, sagte Macron mit einigem Pathos, und entwickelte daraus die These, Europa bestehe nicht nur aus Demokratie, Marktwirtschaft und sozialer Gerechtigkeit, sondern: "Ohne Kultur kein Europa!" Und es gehe nicht darum, diese Kultur gegen Angreifer zu verteidigen, sondern wie den Kern des Ganzen zu schützen.
Merkel und das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz
Wenn es bei Angela Merkel in ihrer Eröffnungsrede hingegen persönlich wurde, dann bedauerte sie, kein Französisch sprechen zu können, zeigte sich aber angetan davon, dass Emmanuel Macron ausdrücklich auch das Russische zu einer der europäischen Sprachen gezählt hatte, auf die Europa zu bauen sei: "Das verstehe ich wenigstens." Ansonsten aber nahm sie die Signale zur Erneuerung Europas, die Macron ja schon kurz nach der Bundestagswahl in seiner Sorbonne-Rede gesendet hatte, nüchtern auf: Schon Adenauer habe gesagt, ohne Frankreich und Deutschland könne es kein vereintes Europa geben.
Leidenschaftlicher wurde die Bundeskanzlerin in ihrer Reaktion auf die Schelte des Börsenvereins-Vorstehers Heinrich Riethmüller. Das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz sei ein Last-Minute-Gesetz der Großen Koalition gewesen, so Merkel, aber es habe zuvor eben auch acht Jahren ohne Einigung zwischen der "Avantgarde des Digitalen" und den Urhebern und Verlegern der Inhalte gegeben.
"Nicht getrieben" wolle sie von Globalisierung und Digitalisierung sein, sagte Merkel, auch "Verwurzelung" sei wichtig - dabei erhoffe sie sich Hilfe von der Literatur. Inhaltlich waren Macrons Worte davon gar nicht so weit entfernt, wenn auch der Tonfall ganz anders war. "Wir sollten uns alle als Kinder von Goethe und Nerval verstehen", schloss der französische Präsident.
Als die Traube um Macron im Ehrengast-Pavillon weitergezogen ist, wird der Blick frei auf den Bibliothekscomputer, um den sie sich eben noch geschart hat. Eine Lexikonsuche, Stichwort "Nerval". Die Perspektive ist groß, aber nicht jeder weiß schon so ganz genau, als wessen Kinder uns Emmanuel Macron alle sieht.