Frankfurter Buchmesse Im Paradies mit Mutter Beimer und Richard David Precht

Richard David Precht: Ein Jahr im Bademantel

Richard David Precht: Ein Jahr im Bademantel

Foto: Ingo Wagner/ dpa

Lesen und gelesen werden - auf der Frankfurter Buchmesse treffen sich Autoren, Fans und Fachpublikum. Wer enttäuschte, wer begeisterte? Hier begleiten Autoren von SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE die Bücherschau. Den Anfang macht Nils Minkmar.

Die Buchmesse ist ihrem Wesen nach eine romantische Veranstaltung. Man besucht sie aus einem diffusen Gefühl der Liebe, für Bücher, gewisse Themen und für die Sonderlinge, die diese Dinge auch alle schätzen. Mag man in seiner Provinz und seinem Quartier als buchstabenvernarrter Eigenbrötler gelten, in den Frankfurter Messehallen ist man für einige Tage im Oktober Teil des Mainstreams.

So fühlte sich endlich auch ein Mann, der einen guten Teil des vergangenen Jahres im Bademantel verbracht hat, um sich konzentriert mit teilweise sehr obskuren toten Männern zu beschäftigen. Heute Vormittag aber war Richard David Precht am SPIEGEL-Stand und präsentierte erfreut den ersten Band seiner auf drei Bände angelegten Geschichte der Philosophie: "Erkenne die Welt".

Ein Platz für die Liebe

Von seiner Lese-und Schreibzeit in besagtem Bademantel mit frischen Erkenntnissen und philosophischem Mut beschwingt, entwarf er die Vision, wie es gewesen wäre, wenn nicht Paulus, sondern Plotin unsere Religion bestimmt hätte. Und er fand, intellektuell wäre das sicher reizvoller gewesen. Andere Religionen sprechen für solche Erörterungen schon mal eine Fatwa aus, aber es war so früh am Mittwoch kein Fundamentalist anwesend.

Dafür aber schon jede Menge Schwärmer, für Precht natürlich, den es nach der Messe wohl wieder in Klausur ziehen wird, um auch noch Band Zwei und Drei fertig zu schreiben. In der Messe ist schließlich für alle Objekte der Liebe und Begierde Platz. Ewig schreitet man zum Beispiel an den Regalen mit Werken zur optimalen Haustierhaltung entlang.

Dann eine dichte Menge, lebhaft und staunend wie vor einigen Jahren, als Helmut Kohl nochmal zu Besuch gekommen war. Heuer aber gilt die warme Bewunderung, das kindliche Staunen über die Begegnung mit einer Figur, die wie eine umgekehrte Alice den Weg durch den Fernsehschirm in unsere Welt gefunden hat, Marie Luise Marjan, denn auch die vertraute Mutter-Beimer-Darstellerin hat ein Buch vorzustellen.

Und wenn nach Freud das Glück in der Erfüllung von Kindheitsträumen liegt, dann erkennt man auch in solchen Begegnungen den romantischen Kern eines Messebesuchs: Man staunt wieder wie ein Kind. Und wie früher sind es immer noch die Bücher, die die Mittler zwischen den Welten sind. Ewig ist die Fabel von der Krise des gedruckten Buchs, aber an solchen Messetagen wird deutlich, dass die magische Mittlerfunktion des Buchs ungebrochen ist.

Die mächtigsten Politiker, die größten Film-und Sportstars und die anerkanntesten Wissenschaftler plagen sich mit Formulierungen, Sätzen, Konzepten und Druckfahnen - denn erst mit einem Buch findet man den wahren, den, wie es heute immer heißt, nachhaltigen Weg in Herzen und Köpfe.

Doch Promis gibt es überall, der Buchmesse exklusiv ist der Typus des leicht querulatorischen Privatgelehrten, der seine die Orthodoxie herausfordernde Erkenntnis auf achthundert Seiten im Selbstverlag publiziert. Solche Zeitgenossen, die ihre eigenen Rechercheure sind, ihre eigenen Ghostwriter, Lektoren und Agenten in einer Person, nötigen wirklich Respekt ab.

Man geht in Wahrheit auf die Buchmesse, um solche Menschen kennenzulernen, um ehemalige Nachbarn, Lehrer und Kollegen zu treffen, die alle diese diffuse Liebe zum Druckwerk eint. Das treibt selbst renommierte Verleger um, deren schöne Programme mit einer Überfülle von Titeln glänzen und dies bis in den Herbst 2017 hinein. Die eigentlich gar nicht mehr kommen müssten, die aber natürlich schon morgens früh hier sind und bis spät bleiben, weil alles so kurios ist, weil all diese kuriosen Menschen hier sind, in der flüchtigen Welthauptstadt der Literatur.

Es sind bloß einige Tage in überhitzten Hallen, aber für passionierte Leser ist es das Paradies.

Zum Autor
Foto: Bernhard Riedmann/ DER SPIEGEL

Nils Minkmar, Jahrgang 1966, ist Autor im Kulturressort des SPIEGEL.

LITERATUR SPIEGEL

LITERATUR SPIEGEL - Oktober 2015

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