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Frankreich auf der Buchmesse: Philosophie und Politik

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Frankreich auf der Buchmesse "Stolz und arrogant, wie die Welt uns schätzt"

Auf der Buchmesse wird über Emmanuel Macron gestritten und über die Größe der Grande Nation. Derweil kam Michel Houellebecq auf einer Porno-Website eine Idee für die deutsche Literatur.

Die Halle 5 der Frankfurter Buchmesse ist ein bisschen abseits vom großen Trubel, hier haben die internationalen Verlage ihre Stände, hier herrscht klassisches Messegeschäft, werden Bücher bekannt gemacht, Übersetzungen angeleiert. Am Stand der Pariser Verlagsgruppe Madrigall zum Beispiel ist ein Band ausgestellt mit Karikaturen des ja erst wenige Monate amtierenden französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Falls die Diskussionen über ihn auf der Messe ein Indiz sind, könnte es durchaus einen Markt dafür geben.

Macron hatte die Messe am Dienstagabend zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet, und die Feuilletonisten schwärmen noch immer von seiner Rede, insbesondere vom Bekenntnis, Baudelaire erst durch Walter Benjamins Interpretation so recht verstanden zu haben.

Einer der nicht dabei war, war der französische Intellektuelle Didier Eribon, der in einem Artikel in der "Süddeutschen Zeitung" und auf seiner Facebook-Seite  begründet hatte, warum er die Einladung zur Eröffnungsfeier ausgeschlagen habe: Macron sei "nicht mein Präsident".

Am Mittwoch führte Eribon in einem Gespräch auf dem SPIEGEL-Stand auf der Buchmesse seine Kritik weiter aus: Er sieht in Macron eine scheinheilige Figur, die einerseits während der Buchmesse die Kultur hochhalte und andererseits durch seine neoliberale Politik gerade diese zerstöre. Macron habe nicht erwähnt, dass Hunderttausende gegen seine Arbeitsmarktreform protestierten. Die Arbeitsmarktreform Macrons soll mehr Jobs in Frankreich schaffen, aber zu schlechteren Konditionen für die Arbeitnehmer.

"Seine Reden sind lächerlich, seine Positionen größenwahnsinnig"

Außerdem würde Macron auch an den Universitäten einsparen und somit eine Ökologie der Kultur und Ideen zerstören. Diese neoliberale Politik ist Eribon, der vor allem durch "Rückkehr nach Reims" in Deutschland bekannt wurde, zuwider. "Seine Reden sind lächerlich, seine Positionen größenwahnsinnig", sagte Eribon. Macron würde für den sozialen Abbau stehen.

Ähnlich haben bereits der Schriftsteller Édouard Louis und der Philosoph Geoffroy de Lagasnerie argumentiert, die mit Eribon eine Art Star-Trio der französischen Intellektuellen bilden. Alle drei setzen sich für Geflüchtete ein, für die Rechte von queeren Menschen, und generell für eine sozialere und antifaschistische Gesellschaft. Es sei aber nicht so, als ob es nur die drei gäbe, sagte Eribon. Dennoch sei es ihm wichtig, dass die drei sich gegenseitig Halt gäben und sich aufbauten, gegen homophobe Attacken von Seiten der Feuilletons zum Beispiel. Sie böten also eine Art Schutznetz.

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Frankreich auf der Buchmesse: Philosophie und Politik

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Politisch ist die Schriftstellerin Virginie Despentes, die derzeit auch in Deutschland mit ihrem Roman "Das Leben des Vernon Subutex" erfolgreich ist, mit dem Intellektuellen-Trio durchaus auf einer Linie. Auch sie sieht die Wirtschaftspolitik Macrons kritisch und glaubt, es würden die Fehler wiederholt, die in Spanien mit der dortigen "ultra-liberalen" Politik gemacht worden seien. Macron ist allerdings ihr Präsident, sie habe ihn auch gewählt - wenn auch vor allem, um eine Präsidentin Le Pen zu verhindern.

Star-Autor Michel Houellebecq setzt sich derweil nicht dem Rummel der Frankfurter Messehallen aus. Er gewährt Audienz im Schauspielhaus, wo er den ausverkauften großen Saal betritt, schlurfend im Parka, in Begleitung der Romanistin Agathe Novak-Lechevalier, die sein Vertrauen genieße, wie es heißt, und ihn befragen dürfe. Doch dazu kommt es zunächst nicht, denn Houellebecq setzt zu einem längeren Monolog an, bei dem er die Wahl Macrons als Wendepunkt beschreibt: Zuvor sei den Franzosen immer wieder Deutschland als leuchtendes Beispiel vorgehalten worden, nun sei das Land auf dem Weg "wieder so stolz und arrogant zu werden, wie es die ganze Welt an uns schätzt".

Deutsche Autoren sollten erotische Romane schreiben

Houellebecq beschreibt den Roman als die zu unserer Zeit passende Kunstform, die auch immer mehr aus anderen Bereichen in sich aufnehme - an dem von ihm beobachteten Niedergang der Sozialwissenschaften sei er selbst mit seinen Romanen nicht ganz unschuldig. Grundsätzlich bedauert Houellebecq, dass in ganz Europa vor allem Romane aus der eigenen Landessprache und Übersetzungen aus dem Englischen gelesen würden.

Eine Ausnahme hätten nur zwei Wellen geboten: Die lateinamerikanischen Romane des Magischen Realismus ("Ich habe nie verstanden, was das eigentlich sein soll") und die Krimis aus Skandinavien ("Damit kann ich deutlich mehr anfangen"). Doch auch für deutsche Autoren hatte Houellebecq einen Tipp: Sie sollten erotische Romane schreiben. Ihm sei aufgefallen, dass es bei YouPorn eine eigene Kategorie "German" für deutsche Amateurpornografie gäbe, aber nicht für andere Länder. Da bestünde also grundsätzliches Interesse.

2010 hatte Michel Houellebecq für "Karte und Gebiet" den Prix Goncourt gewonnen, den renommiertesten Literaturpreis Frankreichs. Nun stellte die Jury, die Académie Goncourt , im Ehrengastpavillon der Buchmesse ihre Auswahl der acht Romane vor, die noch im Rennen sind. Ausgiebig schwärmten die Akademiemitglieder auf der Bühne von Reisen nach Polen, Rumänien und den Libanon. Wie toll die Leute da französisch gesprochen hätten!

Da sprach es, das Frankreich, das die ganze Welt so schätzt: "Weißt du noch", sagte Akademiepräsident Bernard Pivot zu einem Kollegen: "Wir haben sogar applaudiert."

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