Friedenspreisträger Lepenies Der Denker als Feldherr
Es sollte um den Friedenspreis gehen - der Laudator sprach von Krieg. Ein Macher und Optimist sollte geehrt werden, der Vorredner verglich ihn mit dem Ritter von der traurigen Gestalt. Ein Agent kultureller Verständigung stand auf dem Podium, gelobt wurde vorab seine Fähigkeit zur Differenz.
Andrei Plesu, der heute in der Frankfurter Paulskirche die Laudatio auf seinen Freund Wolf Lepenies hielt, beleuchtete die Kehrseite der Begriffe, die nahe liegen, wenn vom Frieden die Rede ist: Da Frieden und Krieg nur miteinander existieren können, habe er sich gefragt, "über den Frieden welches Krieges denn die Rede sei".
Die Kämpfe, die Lepenies mit wissenschaftlicher Exzellenz und politischer Verve ausficht, sind die des Europas jüngerer und jüngster Geschichte. Die Wahl Plesus als Festredner war insofern doppelt motiviert: Der Rumäne war Außenminister seines Landes und ist heute Chef des New Europe College - ein homo politicus also, und ein Gelehrter, der Lepenies als Forscher im Rahmen des Berliner Wissenschaftskollegs kennen lernte.
Plesu ist Zeuge und Diagnostiker des Kalten Krieges, der nach 1989 unter dem Etikett des europäischen Integrationsprozesses als "pazifistische, administrative und konstruktive Version" fortgesetzt wurde. Das vereinte Europa entstehe unter "Turnier-Bedingungen; für dessen wissenschaftliche Kritik und Förderung sei ein "Front-Mensch" wie Lepenies ideal. Von Natur aus weise, voraussehend, stark, kühn, loyal, an Kriege gewohnt", zitierte Plesu ein früh-neuzeitliches Traktat, das ein ideales Porträt des militärischen Befehlshabers entwarf. Keine einzige dieser Eigenschaften fehle Lepenies.
Dass dieser Ritter oft genug gegen Windmühlen der Ignoranz und Vorbehalte kämpfen muss, versteht sich in einer sich radikalisierenden, Kulturkämpfe herbeiredenden und -bombenden Welt fast von selbst. In das Gelächter über Plesus Vergleich seiner Rolle mit der des Sancho Panza an der Seite eines pragmatische Quijote namens Lepenies mischte sich denn auch das Unbehagen an jener Unkultur, die Karikaturenstreitereien und Opernabsetzungen scheinbar wie selbstverständlich auf den tagespolitischen Spielplan setzt.
Traurig wirkte der mit dem Friedenspreis Geehrte jedoch kaum, die Schwermut hat er sich schließlich bereits 1969 in seiner Studie "Melancholie und Gesellschaft" ideologiekritisch vorgeknöpft und als Schlupfloch für Ressentiments enttarnt. Auf dem Podium der Frankfurter Paulskirche stand kein Weltabgewandter, der sich für die Rolle des empfindsamen Denkers hergibt.
Forschung in Zeiten des Krieges
Stattdessen skizzierte der Forscher, Schriftsteller und Wissenschaftsmanager mit viel Verve sein gesellschaftliches und kulturelles Mandat, das untrennbar mit der Arbeit des Berliner Wissenschaftskollegs verbunden ist und dessen Credo mit dem Titel des Berliner Forschungsverbundes zusammenfällt: "Europa im Nahen Osten - Der Nahe Osten in Europa".
Hier zeigte sich Lepenies in jener Funktion, die Plesu für unerlässlich bei einem Forscher hielt: Er muss Übersetzer sein, der "nicht eine Sprache für alle, sondern ein weltweites Bemühen um die Übersetzbarkeit einer jeden Sprache in alle anderen Sprachen" vorantreibt.
Vor allem in der Auseinandersetzung mit dem Islam müsse sich diese Übertragungsleistung bewähren, und Lepenies schilderte ihre Praxis als Abenteuer, das von Erfolg, aber auch vielen Rückschlägen bestimmt sei. Der Mord an Jitzhak Rabin, die neue Intifada, der 11. September, der zweite Irak-Krieg, die Kämpfe im Libanon: Es koste Kraft, Forschung in Zeiten des Krieges nicht als "Chronik der Vergeblichkeit" zu sehen.
Außerdem sei in Europa angesichts der wachsenden Bedrohung durch den islamistisch geprägten Terror eine auf die gemeinsamen historischen und intellektuellen Wurzeln der Kulturen abhebende Interdisziplinarität wichtiger denn je. Nicht das "treuherzige Wunschbild einer Koalition der Kulturen" könne dabei richtungweisend sein, sondern die "historische Einsicht in die engen Verflechtungen des Westens mit der islamischen Welt".
Europa empfing sein antikes Erbe auch durch die Vermittlung der arabisch-islamischen Kultur; die Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453 machte den "dummen Muselmann" (Rousseau) zum Mit-Urheber von Renaissance und Aufklärung. Andererseits sei auch der Islam keine "monolithische", sondern eine "fraktale, eine gebrochene Kultur", der Koran ein Produkt einer "mit anderen Religionen und Kulturen geteilten Antike, einer mit dem Westen in politischen Kämpfen und interkonfessioneller Polemik gemeinsam durchlebten Geschichte".
Gemeinsamkeiten ermitteln ohne Differenzen zu tilgen: Dieses, von Plesu gelobte Übersetzungsverfahren erhielt hier seinen politischen Auftrag. Die "Jüdisch-islamische Hermeneutik", so der Name einer von Lepenies in Berlin gegründeten Forschungsgruppe, hat entsprechend programmatischen Charakter. In den Worten des Preisträgers: "Eingespielte Voraussetzungen des eigenen Denkens und Handelns zu überprüfen", sei "kein Zeichen der Schwäche, sondern der inneren Stärke".
Diese Stärke zu behaupten, dafür braucht es angesichts eines Bildungsapparats, der die Geisteswissenschaften marginalisiert und die islamwissenschaftlichen Seminare schleift, dann wieder den pragmatischen Don Quijote. Er muss antreten gegen die Defizite eines Milieus, das "laut über eine christliche Reconquista des von muslimischen Immigranten bedrohten Europas nachdenkt und gleichzeitig aus den Hochschulen "in aller Stille die Wissenschaft vom Christlichen Orient" verabschiedet.
Wissenschaftsfeldherr, ironischer Geistesritter, interdisziplinärer Übersetzer: Wolf Lepenies entwarf heute seinen Part als Denker und Schreibender im Spannungsfeld dieser Figuren. Wollte man die Akzeptanz so genannter westlicher Errungenschaften in der Welt - "nicht nur in der Welt des Islam" - befördern, komme es entscheidend auf "Selbstkritik und Selbstbescheidung" an. Ein friedliches, ein kämpferisches Programm.