Fotostrecke

Genitalverstümmelung: Ein Ziel, zwei Wege

Foto: Kösel

Genitalverstümmelung Die andere Nomadentochter

Das Model Waris Dirie kritisierte in ihrer Autobiografie "Wüstenblume" die Verstümmelung des weiblichen Genitals. Nun hat die somalisch-bayerische Menschenrechtsaktivistin Fadumo Korn ein Buch zum gleichen Thema geschrieben - doch von Diries Ansichten ist sie weit entfernt.
Von Nora Reinhardt

Waris Dirie hat, vorsichtig ausgedrückt, eine interessante Lebensgeschichte. Als sie 1999 auf dem Höhepunkt ihrer Topmodel-Karriere ihre Popularität nutzte und die Autobiografie "Wüstenblume" veröffentlichte, war die Welt schockiert. Damals war der grausame Brauch der Genitalverstümmelung nicht einmal ein Tabu; das Thema war dem Durchschnittsbürger schlicht unbekannt.

Genital

Viel hat sich seitdem verändert: Heute wissen auch Laien, dass sich hinter der aseptischen Abkürzung FGM die "Female Mutilation", weibliche Genitalverstümmelung oder auch "Infibulation" verbirgt. Viele sterben daran, und die Überlebenden leiden an den Folgen: Die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen WHO schätzte 2008, dass weltweit zwischen 100 und 140 Millionen Mädchen und Frauen infibuliert sind. Jedes Jahr kommen laut Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef zwei Millionen Mädchen zwischen vier und zwölf Jahren hinzu.

Seit September haben über 900.000 Zuschauer die Verfilmung von Sherry Hormanns "Wüstenblume" im Kino gesehen. Zwei Monate zuvor hatte die Bundesregierung die Verjährungsfrist für diese Art der Körperverletzung hochgesetzt, denn auch in Deutschland werden Mädchen beschnitten.

Bayerische Wüstenblume?

Gerade jetzt, wo das Bewusstsein für Genitalverstümmelungen in den Regierungen und Fernsehshows angekommen ist, kommt ein Buch mit einigen Parallelen zu Waris Diries Erstling auf den Markt. Unter dem Titel "Schwester Löwenherz: Eine mutige Afrikanerin kämpft für Menschenrechte" ist im Verlag Kösel ein Buch erschienen, das Fadumo Korn gemeinsam mit der renommierten Journalistin Inge Bell geschrieben hat - es ist bereits Korns zweites Buch nach "Geboren im Großen Regen", das sich mit der Thematik beschäftigt.

Die Autorin wurde, genau wie Waris Dirie, in Somalia geboren. Beide sind Nomadentöchter, die im Grundschulalter grausam beschnitten wurden und heute Mitte 40 sind. Sie fanden bei Verwandten in der somalischen Hauptstadt Mogadischu Zuflucht und kamen nach Europa.

Fadumo Korn hat eine Nichte, die an den Folgen der Genitalverstümmelung gestorben ist, Waris Dirie hat eine Schwester und zwei Cousinen verloren. Beide kämpfen seit Jahren gegen die rituelle Entfernung oder Beschneidung der Klitoris. Waris Dirie ist mittlerweile österreichische Staatsbürgerin und lebt in Wien, Fadumo Korn lebt seit 30 Jahren in München. Sie verbindet eine enge Freundschaft mit der Schauspielerin Katja Riemann. Korn spricht fließend deutsch, mit bayerischem Akzent. Ist Fadumo Korn, zehn Jahre nach dem Erfolg von Diries Debüt, die bayerische Wüstenblume?

Nein, denn sie haben dasselbe Ziel, aber sie wollen es auf völlig anderen Wegen erreichen. Ihre Standpunkte zu dem "sozialen Thema" mit "Igitt-Komponente" - so Korn - unterscheiden sich fundamental. Korn ist der Ansicht, dass "der Brauch zu tief in den Gemeinschaften der Dörfer, Stämme, Clans verwurzelt" sei, um ihn per Gesetz abzuschaffen. "Eine so uralte Tradition verschwindet nicht einfach, nur weil eine ferne staatliche, internationale oder religiöse Instanz sie ächtet oder verbietet." Korn fürchtet, dass der Brauch durch ein Verbot in die Heimlichkeit abgleiten würde. Waris Dirie hingegen sieht das völlig anders. Sie fordert Gesetze, um das "Verbrechen" zu ahnden, wie sie in einem Fernsehinterview  mit dem populären al-Dschasira-Moderator Riz Khan sagte.

Sprachliche Verharmlosung

Nur Strafen könnten Beschneiderinnen sowie Eltern abhalten. Korn hingegen befürwortet in ihrem Buch "unermüdliche Aufklärungsarbeit". Auch die Sprache unterscheidet die beiden Autorinnen. Waris Dirie spricht von "Mutilation", also Verstümmelung, Korn lehnt den Begriff ab. Sie schreibt: "Ich empfinde mich nicht als verstümmelt, keine Betroffene tut das". Korn bevorzugt daher den Begriff "Beschneidung". Doch das ist eine sprachliche Verharmlosung, denn unter Beschneidung versteht man sonst das gefahrlose Entfernen der Penis-Vorhaut unter Betäubung.

Eine rätselhafte Wortwahl. Zumal Korn an anderer Stelle den Schmerz beim rituellen Eingriff an Mädchen ohne Betäubung mit jenem Schmerz vergleicht, "der entsteht, wenn bei einem Mann die Hälfte des Glieds abgeschnitten würde." Ohne Betäubung.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren