Georg-Büchner-Preis Wilhelm Genazinos Last mit dem Rummel
Darmstadt - Nach Ansicht der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zählt Wilhelm Genazino zu den wichtigsten deutschen Gegenwartsautoren. Am Samstagnachmittag hat er den Georg-Büchner-Preis erhalten, die angesehenste Literur-Auszeichnung in Deutschland. Die Akademie würdigte damit das Schaffen des Schriftstellers in den letzten Jahrzehnten. Der "detailversessene" und "eigensinnige" Autor verfüge über eine "wunderbar musikalische Prosa".
Wilhelm Genazino habe die "Psychogeschichte" der Bundesrepublik geschrieben, sagte der Publizist und Literaturkritiker Helmut Böttiger in seiner Laudatio. Genazinos Figuren seien die glaubwürdigsten Zeugen für die "seelische Entwicklung in diesem Staatsgefüge". Dort, wo normalerweise jeder wegsieht, entdecke Genazino mit seinen Romanen "kleine Kostbarkeiten", sagte Böttiger weiter. Mit der Figur "Abschaffel" sei ihm sozusagen die Begründung des "deutschen Angestelltenromans" gelungen. Genazino sang in seiner Dankesrede ein Loblied auf die Langeweile.
Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos) lobte den Preisträger für sein unspektakuläres Vokabular. Damit gehe er so virtuos um, dass er die Leser begeistere. Seine scharfe Beobachtungsgabe lasse den Alltag als "seltsam fremde Welt" erscheinen.
Wilhelm Genazino wurde 1943 in Mannheim geboren und lebt heute in Frankfurt am Main. Er begann seine berufliche Laufbahn als Journalist, schrieb unter anderem für das satirische Monatsmagazin "Pardon" und wurde 1977 mit der "Abschaffel"-Trilogie bekannt. Seitdem veröffentlichte er unter anderem die Romane "Falsche Jahre" (1979) und "Leise singende Frauen" (1992) sowie zuletzt die Essaysammlung "Der gedehnte Blick" (2004). Ein Erfolg gelang ihm im vergangenen Jahr mit "Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman" über die Wünsche eines 17-jährigen Kaufmannslehrlings als Ich-Erzähler, der in der ausgehenden Adenauer-Ära seinen Lebensweg sucht.
Flaue Phasen typisch für Schriftsteller
Der Preis ist mit 40.000 Euro dotiert, wird jährlich verliehen und ist nach dem Dramatiker Georg Büchner benannt, der 1837 in Zürich starb. Geehrt werden laut Satzung Schriftsteller und Dichter, die in deutscher Sprache schreiben und "die an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben". Zum ersten Mal ging die Auszeichnung 1923 an den Komponisten Arnold Mendelssohn und den Schriftsteller Adam Karillon. Preisträger waren bisher unter anderen Erich Kästner, Heinrich Böll, Reiner Kunze, Christa Wolf, Heiner Müller und Volker Braun. 2003 ging die Auszeichnung an den Autor und Filmemacher Alexander Kluge.
Wilhelm Genazino hatte bereits den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (1998), den Kunstpreis Berlin (2003) sowie den Hans-Fallada-Preis der Stadt Neumünster (2003) erhalten. Die neue Preisverleihung sieht er mit gemischten Gefühlen: "Das ist insofern merkwürdig, weil es mit dem Büchner-Preis als Höhepunkt jetzt so aussieht, als würde es sich bei mir um einen ganz gewöhnlichen bürgerlichen Aufstieg handeln", sagte er der Tageszeitung "Der Tagesspiegel". Und das sei mitnichten der Fall gewesen. Es habe bei ihm die "beinahe schriftstellertypischen flauen Phasen" gegeben, die sich über viele Jahre hingezogen hätten.
"Ich will mir keinen Rennwagen anschaffen"
"Und natürlich kann ein solcher Preis oder können Preise überhaupt nicht vergessen machen, in welch einem Schleuderleben man sich in Wahrheit befindet, auch wenn sich das nun fast golden verklärt", betonte er. Aber das Leben gehe ja hoffentlich noch ein bisschen weiter, und es habe schon etliche Schriftsteller gegeben, die auch nach dem Büchner-Preis noch abgestürzt seien.
Dem Medienrummel kann Genazino wenig Positives abgewinnen. "Der Rummel hindert mich an meinem so genannten normalen Leben", klagte er in der "Frankfurter Rundschau". Er sei halbe Tage lang nur noch sein eigener Telefonist und könnte auch noch eine Sekretärin beschäftigen, "wenn die mich nicht noch mehr an meinem Leben stören würde". Er sei nie auf Genugtuung durch Erfolg fixiert. Ein Bestseller-Erfolg würde ihn nicht glücklicher machen. "Ich will mir keinen Rennwagen anschaffen, noch nicht mal ein Rennrad. Das intessiert mich nicht."
Zugleich freut der Autor sich aber auch über die Anerkennung seiner Arbeit. "Meine Reputation als Autor ist endgültig gesichert", sagt er und meint es ernst: "Schriftsteller sind ja unsicher und ungläubig. Der angesehene Preis wirkt da wie eine Beglaubigung." Und mit Georg Büchner in Verbindung gebracht zu werden, hält er ohnehin für eine große Ehre. Genazino bewundert den Dichter der Vormoderne für seine Wahrheitssuche, die oft unerbittlich gewesen sei: "Er hat viele Phänomene der Neuzeit - etwa in seinen Stücken 'Dantons Tod' und 'Woyzeck' die sinnlos verstreichende Gewalt der Terroristen - vorweg genommen."