
Graphic Novel "Der Schwindler": Knallbuntes Grauen in Schwarz-Weiß
Graphic Novel "Der Schwindler" Knallbuntes Grauen in Schwarz-Weiß
Timur Vermes wurde 1967 in Nürnberg als Sohn einer Deutschen und eines 1956 geflohenen Ungarn geboren. Er studierte Geschichte und Politik und wurde dann Journalist. 2012 veröffentlichte er den satirischen Roman "Er ist wieder da", von dem mehr als eine Million Exemplare verkauft wurden. Auch sein zweiter Roman "Die Hungrigen und die Satten" schaffte es auf Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste.
Ich weiß auch nicht, warum mich das so beschäftigt, aber: Der Comic ist schwarz-weiß getuscht. Ja, schon klar, ist ja nicht so, dass man noch nie einen schwarz-weißen Comic gesehen hätte, aber der hier ist, als hätte ihn jemand bunt gezeichnet (wie das Cover, beispielsweise) und dann schwarz-weiß eingescannt.
Hat der Jemand aber nicht: Er hat sich für die ganzen Farben offenbar entsprechende Grautöne ausgedacht, und diesen Gedanken finde ich einerseits spannend, andererseits verwirrend kompliziert: Wie dunkel ist Grün, wenn man es in Grau übersetzt? Heller als Rot? Aber zugegeben, die eigentliche Frage lautet: Ist der Comic gut? Und das ist er, oh ja. "Der Schwindler" heißt er und stammt von Pascal Rabaté.

Graphic Novel "Der Schwindler": Knallbuntes Grauen in Schwarz-Weiß
Ein ziemlicher Wälzer, das vorweg, über 500 Seiten im Albumformat, über fünf Pfund Buch, das ist manchmal recht unpraktisch - aber sehr lustig, sehr spannend, sehr bitter. Rabaté hat den gleichnamigen Roman umgesetzt, von Tolstoi, aber dem anderen, Alexej: Eine Geschichte vom Vorabend der russischen Revolution.
Eine Wahrsagerin prophezeit dem Hallodri Semjon Newsorow, er würde reich werden. Fortan begleiten wir diesen rückgratlosen Windbeutel dabei, wie er eifrig versucht, diese Prophezeiung umzusetzen. Erster Erfolg: Er begegnet einem Antiquitätenhändler. Reiche Russen versuchen in der unsicheren Zeit das Land zu verlassen, brauchen Bargeld und verkaufen ihre Sachen günstig. Als der Händler überfallen wird, schnappt sich Newsorow sein Vermögen: Er tötet den Verletzten mit einem schweren Schrank und setzt sich mit dem Geld nach Moskau ab, wo er sich als Graf ausgibt, sich ein Liebchen sucht, vögelt, kokst und einen Spielsalon eröffnet.
Als die Bolschewiki sich durchsetzen, wird der Salon geschlossen, Newsorow setzt sich ins von Deutschen besetzte Charkow ab und lässt sich dort - selbst nicht die hellste Kerze am Leuchter - ein Landgut aufschwatzen. Als die Deutschen abziehen, stecken die wütenden Bauern das Gut in Brand, Newsorow flieht nach Odessa, wird als Spion angeheuert, lügt und betrügt sich recht stümperhaft durch die Gegend, das ist an sich schon mal recht unterhaltsam. Ob sich's als Roman gut liest, weiß ich nicht, aber Pascal Rabaté macht einen hervorragenden Comic daraus, obwohl seine Kunst zunächst recht unscheinbar wirkt.

Pascal Rabaté
Foto: Pascal Rabaté/ Schreiber & LeserSeine Seitenaufteilung zum Beispiel ist ziemlich konservativ, im Prinzip besteht die Seite aus sechs Panels, da werden dann manchmal welche quer oder längs zusammengefasst.
Aber wie Rabaté den Bildausschnitt wählt, das ist schon ganz großes Kino. Er lässt Newsorow etwa in ein verlassenes Dorf stolpern, ein Pferd stehlen - und beim Davonreiten bemerken, warum das Dorf verlassen ist: Die ehemalige Bevölkerung hängt an der Landstraße, aufgeknüpft an den Drähten der Telegrafenleitung, über Kilometer hinweg. Rabaté zeigt es wortlos, lässt seine Kamera vom Boden aufsteigen und wählt dann Hunderte von Krähen für den Vordergrund, die an den Leichen knabbern, bis er den Abschluss komponiert, seitengroß, die immer neu hinzukommenden Vögel, während Newsorow entsetzt in die weite Ebene davonreitet - obwohl klar ist, dass diese Welt auch woanders völlig unmenschlich sein wird.
Bauern, die nach den Kämpfen zwischen roten und weißen Truppen die Toten ausplündern und die Verletzten zu Toten machen, damit sie nicht davon berichten können. Erstaunlich ist, dass Rabaté in dieser völlig verwahrlosten, enthemmten Welt immer wieder schöne Bilder findet.
Der Schwindler: Roman eines Revolutionsabenteurers
Preisabfragezeitpunkt
29.05.2023 12.22 Uhr
Keine Gewähr
Verführerisch arrangierte Stadtansichten von Istanbul oder Odessa zum Beispiel. Überhaupt findet Rabaté Schönheit überall, wo es sonnig ist und Hoffnung für Newsorow aufscheint, und dieser unterhaltsame, spindeldürre Dreckskerl findet jede Menge Hoffnung in dieser chaotischen Welt - und setzt sie in erstaunlich variantenreichen Szenen um.
Drei Geschäftemacher treffen sich in einer Bar, das gibt zwar viel Dialog, optisch aber eigentlich nicht viel her - doch wie Rabaté da zwischen den Perspektiven umherspringt, Gesten mit Mimik kombiniert, über wechselnde Schultern oder auch ganz woanders hinschaut, das ist eine rechte Freude. Ein Teil des Spaßes liegt auch in der faszinierenden Beobachtung, dass da jemand in Schwarz-Weiß so knallbunt arbeiten kann, dass man hinterher schwören könnte, man hätte die Farben gesehen.
Nicht minder erfreulich: der Schluss. Ohne zu viel zu verraten: Newsorow überlebt. Er habe versucht, ihn umzubringen, sagt Romanautor Alexei Tolstoi im Nachwort, aber einer wie Nemsorow sei schlichtweg nicht totzukriegen. Rabaté hat das Schlusswort mit abgedruckt - neben vielen Cover-Entwürfen für die Originalalben, die in Frankreich in vier Bänden erschienen. Diese Cover sind übrigens tatsächlich knallbunt. Nur für den Fall, dass einer meint, Rabaté könne das womöglich gar nicht.