Mutter verarbeitet Tod des Sohnes
Lesen mit Tränen in den Augen
Mit ihrem Stift bietet sie dem Schicksal Paroli: Melanie Garanin hat über das kurze Leben ihres Sohnes eine Graphic Novel gezeichnet und geschrieben: "Nils. Von Tod und Wut. Und Mut".
Bild aus der Graphic Novel: Keiner ahnt, dass Nils nur eine Woche später sterben wird.
Foto: Melanie Garanin / Carlsen
Nils ist oft krank ist und muss mit hohem Fieber tagelang im Bett liegen. Er ist das jüngste von vier Kindern der Familie Garanin - noch bevor er geboren wurde, haben sie ihn "kleiner Stern" genannt. Sein Lieblingsessen sind Pfannkuchen, außerdem mag er Pferde streicheln und Marienkäfer, und er findet fliegende Gänse toll, weil sie ihn an die Geschichten von Nils Holgersson erinnern. Als das Kranksein beginnt, ist Nils zwei Jahre alt. Die Diagnose lautet: Leukämie – Krebs. Klinik. Onkologie. Ständiges Blutabnehmen. Vollnarkose. MRT.
Doch nach einigen Wochen besteht Grund zur Hoffnung, denn die Untersuchungen ergeben überraschend gute Werte. Eine kurze, glückliche Zeit bricht an mit Geburtstag feiern und Osterferien an der Ostsee. Irgendwann aber bekommt Nils schlimme Bauchschmerzen, sehr schlimme Bauchschmerzen.
Und als ob es nicht schon fürchterlich genug wäre, mit der Diagnose Leukämie zu leben und sich durch die Hochs und Tiefs dieser Erkrankung zu hangeln, nehmen die Ärzte die Bauchschmerzen nicht wirklich ernst. Die Bauchschmerzen werden extrem schlimm. Im Juli 2015 stirbt Nils an einer Bauchspeicheldrüsenentzündung. Da ist er drei Jahre alt.
Der Verdacht, dass ein Behandlungsfehler schuld sein könnte, ist von Anfang an da. Eine Ärztin trägt in diesem Buch den Namen "Königin Dr. Antibiotika-Aber", ein anderer mitleidloser Arzt heißt "Dr. Flachbart".
Melanie Garanin: Ihr Buch ist Erinnerung, aber auch eine Liebeserklärung
Foto: Carlsen
Die Zeichnerin und Erzählerin Melanie Garanin ist die Mutter von Nils, und sie hat über das kurze Leben ihres Sohnes eine Graphic Novel gezeichnet und geschrieben. "Nils. Von Tod und Wut. Und Mut" ist ein so zu Herzen gehendes Buch, dass man beim Lesen Tränen in den Augen hat und später in Gedanken die Fäuste ballt. Denn die Geschichte geht nach Nils Tod noch einige Kapitel weiter und entwickelt sich zu einem Fall: Ein Gerichtsmediziner tritt auf, es wird eine Obduktion gemacht, schließlich sind ein Staatsanwalt und ärztliche Gutachter darin verwickelt.
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Ein Schicksalsschlag wird zum Kunstwerk
Auf den Seiten, die davon erzählen, sind Melanin Garanins Zeichnung vor allem grau und schwarz, nur manchmal leuchtet etwas Gelb zwischen den tristen Farben hervor. Hoffnungsflammen-Gelb. Denn einige Wochen lang zeichnet Garanin ausschließlich Tiere, 159 Tiere mit einer Kerze auf dem Kopf, einfach, weil sie sich während dieser Tätigkeit ihrem verstorbenen Sohn verbunden fühlt. "Heitere. Traurige. Freundliche. Tragische. Witzige. Wütende. Mutige. Tröstende Tiere. Nils ist mir sehr nah bei dieser Arbeit. (Hauptsächlich in beratender Funktion)."
Foto: Melanie Garanin / Carlsen
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Graphic Novel "Nils": Von Trauer und Leben
Dieses Buch ist vieles zugleich: Zuerst einmal die Erinnerung an einen kleinen Jungen, der auf jedem einzelnen Bild nach so viel Persönlichkeit aussieht, dass man ihn als Leserin sofort lieb gewinnt. Seine Geschwister tun alles, um ihn abzulenken und aufzumuntern, sie lümmeln mit ihm auf dem Sofa herum und pflücken Blaubeeren für Pfannkuchen. Keiner von ihnen ahnt, dass Nils nur eine Woche später sterben wird. Insofern ist das Buch auch eine Liebeserklärung an seine Geschwister, an Artur, Greta, Julius, die nun ohne ihren Bruder leben müssen. Und an Georg, den Ehemann und Vater, der auf fast allen Bildern als Verbündeter seiner Frau gezeichnet ist.
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Doch Melanie Garanin gelingt mehr, sie verwandelt einen Schicksalsschlag von so viel Gewicht, dass er leicht eine ganze Familie hätte begraben können, in ein staunenswert stimmiges Kunstwerk randvoll mit Liebe, Humor und Phantasie.
Gerade wenn man ganz erschöpft ist von Nils Geschichte, kommt ein helles, farbiges Bild oder ein Scherz, der aller Trauer trotzt. Es treten sprechende Steine auf und schließlich – "Trippel, trappel, schreit, schlurf, stelz, stampf, tänzel, schlurf, klapper, rassel, trap, klicker, schlepper, flatter, schwing" – eine riesige Armee an hilfreichen Rittern. Die vielen widerstrebenden Gefühle, die Nils Geschichte umranken, hat Garanin in umwerfenden Zeichnungen und sehr persönlichen Texten festgehalten. Mit ihrem Stift hat sie dem Schicksal Paroli geboten.
8 BilderGraphic Novel "Nils": Von Trauer und Leben
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Melanie Garanin hat über das kurze Leben ihres Sohnes eine Graphic Novel gezeichnet und geschrieben: "Nils. Von Tod und Wut. Und Mut". Sehen Sie hier Auszüge daraus.
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Melanie Garanin hat über das kurze Leben ihres Sohnes eine Graphic Novel gezeichnet und geschrieben: "Nils. Von Tod und Wut. Und Mut". Sehen Sie hier Auszüge daraus.