Günter Grass Die "toten Seelen" der Urheber
Berlin - Es seien wieder einmal die Künstler, deren Rechte als Urheber beschnitten "oder nach ihrem Tod eliminiert werden", sagte Grass, 77, am Montagabend bei einem Symposium der Verwertungsgesellschaft Wort in Berlin. "Verkehrswidrig fährt der Reformzug in eine falsche Richtung", meinte der Autor von "Blechtrommel" und "Krebsgang" und fügte hinzu: "Kann es sein, dass die Bundesregierung eine erneute Kampagne der Verleger mit Großanzeigen fürchtet und bereits jetzt vor der Macht der Lobby kapituliert?" Angesichts der bevorstehenden zweiten Novelle des Urhebervertragsrechts mahnte der Literaturnobelpreisträger vor einer "Verschlimmbesserung" der herrschenden Zustände.
Grass erinnerte an Heinrich Böll, der von seinen Mitautoren in diesem Zusammenhang schon seinerzeit das "Ende der Bescheidenheit" gefordert habe. "Wir haben Anlass, diesen Ruf zu erneuern und richten ihn an den Gesetzgeber, das Parlament der Bundesrepublik Deutschland. Gleichfalls rufen wir die Justizministerin auf, ihr erklärtes Vorhaben, das Urhebervertragsrecht zu Gunsten der Autoren zu verbessern, nicht am Einspruch einer Lobby scheitern zu lassen, die sich anmaßt, Recht zu setzen."
Was bleibt vom "kulturellen Erbe"?
Was bliebe vom oft berufenen, nunmehr gesamtdeutsch verwalteten "kulturellen Erbe", hätte es nicht von Anbeginn Urheber gegeben, fragte Grass. Buchhändler, reisende Verlagsvertreter, die Verwaltungen von Sendeanstalten und nicht zuletzt die Produzenten und Verkäufer von Rundfunk-, Fernseh- Kopiergeräten und Computern, sie alle zehrten von Originalen, die jeweils einen Urheber haben. Mit Hilfe neuer Medien feiere die Raubdruckpraxis des 17. Jahrhunderts ungeahndet eine Wiederbelebung, meinte Grass. Hinzu komme, dass "unter dem Diktat der Globalisierung durch Verlagsaufkäufe einige Großkonzerne entstanden sind, die mit den eingeheimsten Autoren umgehen, als seien Urheber 'Tote Seelen', über die man wie zur Zeit der Leibeigenschaft verfügen könne."
Als Beispiel für den respektlosen Umgang der Verlage mit Autoren nannte Grass eine eigene Auseinandersetzung mit dem globalen Verlagshaus Random House/Bertelsmann um die Übersetzungsrechte an seinem Klassiker "Die Blechtrommel". Grass wünsche sich nach fast 50 Jahren eine neue, zeitgemäße Fassung seiner "Blechtrommel" ("The Tin Drum"), habe aber beim heute zuständigen Verlag Random House/Bertelsmann bisher kein Gehör gefunden. Im Sommer vergangenen Jahres habe er daher an den Verleger Reinhard Mohn geschrieben, aber keine Antwort "von Herrn Mohn oder von einem der wechselnden Herren an der Konzernspitze" erhalten.
Der Göttinger Steidl Verlag, der die Grass-Werke verlegt, meldete inzwischen, dass Mohn den Brief an den Chef von Random House weitergeleitet habe. Außerdem habe Steidl eine neue Anfrage gestellt und erwarte in Kürze eine Antwort.
Er wolle nicht lange "den Hochmut in Chefetagen bejammern", meinte Grass in Berlin. "Mir geht es in diesem Fall um den skandalösen Zustand der Rechtlosigkeit von Urhebern im Verhältnis zu den Aufkäufern ihrer künstlerischen Arbeit. Man kauft und verkauft uns, als existierten wir nicht. Als seien wir Unpersonen. Als wolle man nicht zur Kenntnis nehmen, dass wir Urheber einem Bertelsmann - oder wem auch immer - die Grundlage seines Bestehens zuliefern. Ohne uns gäbe es ihn und all die anderen nicht."
Zypries: "Deutschland nimmt Schrittmacherrolle ein"
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) erklärte bei der Veranstaltung im Magnushaus gegenüber dem Pergamonmuseum, "begründete Einwände" würden von ihr "sehr ernst genommen und in die Überlegungen ihres Ministeriums einbezogen". Selbstverständlich müsse eine angemessene Vergütung gewährleistet werden.
Grundsätzlich sei die Stellung der Urheber in Deutschland jedoch sehr gut, so Zypries. Seit der letzten Novellierung des Urhebervertragsrechts 2002 nehme Deutschland eine Schrittmacherrolle ein. In keinem anderen Land seien die Urheber geistigen Eigentums, das in Deutschland Verfassungsrang habe, besser geschützt. Dennoch bringe das digitale Zeitalter immer neue Techniken, die gleichzeitig immer neue Möglichkeiten zum geistigen Diebstahl schafften. Darauf müsse der Gesetzgeber reagieren.