Schriftsteller-Duell Sex, Sex, Sex und knisternde Nylons

Showdown der Literaten: In "The Last Word" macht Hanif Kureishi sich über Literaturnobelpreisträger V. S. Naipaul lustig. Er porträtiert ihn als alternden Freak, bei dem man nicht weiß, ob er mehr Erotomane oder mehr Egomane ist.
"Ein Witz schleust etwas Anarchie in die Welt", so Hanif Kureishi. Die Damen auf diesem Bild haben ein anderes Gesprächsthema - aber auch darum geht es in "The Last Word".

"Ein Witz schleust etwas Anarchie in die Welt", so Hanif Kureishi. Die Damen auf diesem Bild haben ein anderes Gesprächsthema - aber auch darum geht es in "The Last Word".

Foto: Kunert

Sicher hat Hanif Kureishi sich beim Schreiben gut amüsiert. Man sieht ihn vor sich, wie er das Foto seines berühmten Schriftstellerkollegen neben sich auf den Schreibtisch gestellt hat. Und dessen Biografie, die so viele Wellen geschlagen hat, gleich daneben.

Denn der Stoff, den sich Kureishi für sein Werk zum Vorbild genommen hat, ist eine autorisierte Biografie, die kein Geringerer als der 81-jährige Literaturnobelpreisträger V. S. Naipaul bei dem Historiker und Literaturwissenschaftler Patrick French in Auftrag gegeben hatte. Als die 2008 erschien,  lästerte nicht nur der Literaturbetrieb über die testosterongetränkten SM-Storys und saftigen Weibergeschichten.

Eine Steilvorlage, fand sein Kollege Kureishi zu Recht, und hat seine Romanversion über diese Kooperation tüchtig mit Anspielungen auf den realen Naipaul versehen. Auch wenn die Protagonisten Mamoon und Harry heißen, alles ist da: die hängenden Augenlider, der Nobelpreis, die Rassismusvorwürfe, der indische Stammbaum, Joseph Conrad als Vorbild, und die Obsession für Cricket, der Krebstod von Frau Nummer eins, die überschäumende Art der weit jüngeren Gattin Nummer zwei, die Affären, das Eremitenleben in der britischen Countryside, und natürlich Sex, Sex, Sex und elektrisch knisternde Nylonstrumpfhosen.

Auf Dauer auf der Lauer

Mal ganz abgesehen von diesem herrlichen literarischen Insiderwitz: "The Last Word" ist um Längen mehr als ein Schlüsselroman, dessen Erzähler sich permanent ins Fäustchen lacht. Das wäre zu billig für Kureishi, der mit "Mein wunderbarer Waschsalon", "Der Buddha aus der Vorstadt" oder "Intimacy" Romane wie auch Drehbücher geschrieben hat, deren heiterer Tonfall darüber hinwegtäuscht, dass es Provokationen sind, die politische wie soziale Normen überschreiten. Egal ob es um die Ära Thatcher oder die Sexualmoral geht, Kureishis gesellschaftskritische Satiren sitzen. "Ein Witz", schrieb er mal, "schleust etwas Anarchie in die Welt ein, er stört ein bisschen. Er testet die Grenzen und dehnt sie aus."

Nun mischt er lässig ein Genre auf, das sich selbst verdammt ernst nimmt: die Autorenbiografie. Und auch, wenn es der postmoderne und auch postkoloniale Kunstgriff schlechthin ist, die Definitionen von Fakt und Fiktion und die Autorität des Erzählers bis zur Unkenntlichkeit aufzuweichen - wo einem aus anderen Werken gern mal eine latente Verkopftheit entgegenspringt, entfaltet Kureishi dieses Vexierspiel mit einer süffisanten Coolness.

In "The Last Word" gerät der Versuch, ein Porträt zu produzieren, ins Stocken. Harry, der junge Möchtegernschriftsteller, der auf seinen Durchbruch hofft, und der Grandseigneur Mamoon umkreisen sich in dem Landhaus, auf Dauer auf der Lauer. Der eine will seine Fragen beantwortet haben, der andere möchte lieber seine Rückhand trainieren, stellt Gegenfragen und flirtet mit der Freundin des jungen Kollegen.

Mamoon ist so puddingweich wie Herman Melvilles Schreiber Bartleby mit seinem "Ich möchte lieber nicht"-Mantra. Von wegen "letztes Wort". Er arbeite an nichts, seufzt er bei einem Dinner mit Freunden matt, "es ist für alles zu spät, die Arbeit ist getan, ich bin fertig, auf mich wartet nur die ewige Dunkelheit." Während er Harry auf Distanz hält, sitzt er in Wirklichkeit längst an einem neuen Roman: über einen alten Autor, der einen jungen beauftragt, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, ihn an der Nase herumführt und sich die Freundin des Nachwuchses als Muse krallt.

Nicht ausgeschlossen, dass das Buch auch Kureishis Art war, vorauseilend einen Kommentar über diese spezielle literarische Gattung loszuwerden. Er kommt schließlich nun selbst in das Alter, in dem Autoren gerne mal anfangen, über Lebenswerke nachzudenken und Bilanz zu ziehen: Ende des Jahres 2014 wird er 60. Und wollte das letzte Wort behalten.

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