Neues von Harry Potter und Drachenreiter Eigentlich sollten wir erwachsen werden

Cornelia Funke und J.K. Rowling
Foto: DPA; APEs gibt Bücher, die begleiten einen ein Leben lang. Weil man so lange warten muss, bis der nächste Band erscheint - oder weil die Autorin nicht aufhören kann, Geschichten rauszubringen. Das Skript zum Theaterstück " Harry Potter und das verwunschene Kind" und der neue Roman von Cornelia Funke "Drachenreiter - die Feder eines Greifs" kommen nun fast zeitgleich raus.
Was machte noch mal den Reiz der Reihe aus?
Harry Potter: Joanne K. Rowling hat eine Fantasy-Welt geschaffen, die ohne ausschweifende Erklärungen und Beschreibungen à la Tolkien auskommt. Die Potter-Romane sind witzig und ernst zugleich. Die Mythologie ist einfach zu verstehen und die Charaktere sind furchtbar liebenswert. Wenn man den letzten Band weglegt, hat man das Gefühl, sich von ein paar alten Freunden verabschiedet zu haben.
Drachenreiter: Cornelia Funkes Talent ist es, die reale Welt mit Fantasy zu verweben. Im ersten Band der "Drachenreiter"-Reihe reist der Waisenjunge Ben gemeinsam mit dem Silberdrachen Lung durch eine Welt, die nicht nur von Menschen, sondern auch von allerlei Fabelwesen bevölkert wird. Der wahre Reiz liegt aber hinter der Geschichte: Funke gelingt es wie kaum einer zweiten Jugendautorin, sich in ihre Figuren einzufühlen und vor allem die Kindercharaktere ernst zu nehmen; Zwiespälte, Freude und Liebe, aber auch Nöte, Trauer und gar Hass verpackt sie abseits des Kitschs in so lebendige Sätze, dass dem Leser jedes Gefühl plausibel wird. Durch diese Haltung verleiht Funke ihren Welten, in denen Tod und Gewalt durchaus vorkommen, immer etwas Tröstliches.
Ohne zu viele Spoiler - was ist der Plot vom neuen Buch?
Harry Potter: Albus, der Sohn von Harry Potter, ist so gar nicht wie sein Vater. Er ist kein guter Zauberer und geht überhaupt nicht gerne nach Hogwarts. Gemeinsam mit seinem besten Freund Scorpius (Draco Malfoys Sohn) reist er in die Vergangenheit, um eine alte, aus den Romanen bekannte Figur zu retten - und verändert dadurch seine Gegenwart.
Drachenreiter: Drachenreiter Ben muss mit der bekannten Freundestruppe - mit seinem Adoptivvater Barnabas, dem Homunkulus Fliegenbein, der Koboldin Schwefelfell - in Indonesien die Sonnenfeder eines Greifs erbeuten. Denn nur diese kann drei Pegasus-Embryos vor dem Tod retten. Klingt nach einer üblichen Heldenreise (und ja, wie schon im ersten Band steht am Ende wieder ein besonders autoritärer, machthungriger Feind) - aber es ist eben auch Funkes Spezialität, jede Erzählung mit Leben zu füllen.
Was macht den Reiz der neuen Bände aus?
Harry Potter: Es ist schön zu sehen, wie die Figuren gealtert sind. Und welchen Einfluss gewisse Entscheidungen auf ihr Leben gehabt haben. Zu sehen, wie der Mann, der Voldemort besiegte, mit den alltäglichen Problemen der Vaterschaft kämpft, ist unterhaltsam. Und auch das Leben von Draco Malfoy, dem alten Fiesling aus der Schulzeit, hat interessante Wendungen genommen. Der einzig echte Skandal: Ron Weasley ist auf die Rolle des etwas dümmlichen, Witze reißenden Sidekicks reduziert. Das tut weh.
Drachenreiter: Nach 19 Jahren endlich ein Wiedersehen! Man selbst mag mittlerweile graue Haare im zweistelligen Bereich auf dem Kopf entdecken - aber Ben ist noch immer der Junge von damals, der mutig für seine Freunde kämpft. Abseits vom Nostalgiefaktor macht der Band aber auch erzählerisch viel her. Während der erste "Drachenreiter" neben "Herr der Diebe" und der "Wilde Hühner"-Reihe zu den stärksten Funke-Büchern zählte, verließ sich die Autorin etwa in der "Tintenherz"-Reihe zu stark darauf, die eigene Fantasie vorzuführen. Im neuen "Drachenreiter" halten sich der Spaß am Abenteuer und die Erzählkunst aber wieder die Waage - die Geschichte bleibt auf ihren knapp 400 Seiten gut in Bewegung, verlässt sich aber auch nicht nur auf die Spannung.

"Drachenreiter"-Theateraufführung
Foto: Junges Theater BonnWas ist an den neuen Büchern nicht so gut gelungen?
Harry Potter: Der Plot, der an "Zurück in die Zukunft" erinnert, ist manchmal etwas kompliziert. Albus und Scorpius springen gleich mehrmals durch die Zeit - am Ende weiß man nicht genau, wann und wo man ist und warum und wie genau die Gegenwart jetzt verändert wurde. Außerdem fehlt vor allem eins: Hogwarts. Das Stück spielt zwar in Teilen auf dem Schulgelände. Aber es fühlt sich nicht nach Schulzeit an. Die Harry-Potter-Bücher und -Filme waren ja nie nur Fantasy, sondern auch immer Teenie- und High-School-Geschichten. Es ging um Liebe zwischen Schülern, um Lieblingslehrer und sportlichen Wettbewerb. Cliquen haben eine große Rolle gespielt in Form der verschiedenen Häuser.
Drachenreiter: Funke ist einfach zu gut, um platt zu erzählen. Nur der pädagogische Auftrag ist dann doch ab und an ein bisschen zu durchschaubar: Bereits im ersten Band war die Parallele zwischen Fabelwesenschutz und Arten- und Naturschutz offensichtlich, diesmal kommt sie aber zuweilen mit dem Holzhammer daher: "Gürteltiere, Baumfrösche und Lemuren : Für Ben war inzwischen jede Kreatur ein Fabelwesen, und er wünschte sich oft einen Zauber, mit dem er sie alle hätte beschützen können"; schreibt Funke. Und man selbst denkt: Ein Gürteltier mag schon okay sein. Aber ich würde trotzdem lieber einen Silberdrachen sehen.
Wie ist der Unterhaltungswert für alte Fans?
Harry Potter: Der ist sehr hoch. Das Stück setzt genau da ein, wo das letzte Buch aufgehört hat. Man kann sehen, was aus den alten Helden geworden ist: Harry arbeitet im Zaubereiministerium und Hermine hat es sogar zur Zaubereiministerin gebracht. Im Grunde ist "Das verwunschene Kind" eine Stück Fan-Fiction. Man lernt Neues über Charaktere, deren Geschichte eigentlich schon vorbei ist. Zum Beispiel: Harry Potter hat Angst vor Tauben.
Drachenreiter: Nostalgie plus 1-a-Geschichte. Wobei Funke die eigene Erzählkunst auch nicht neu erfindet. Sie hat ihre Themen gefunden und die verpackt sie seit Jahren immer wieder ein bisschen anders - es ändert sich aber nichts Grundlegendes. Vielleicht hätte sie auch einfach mal ein Theaterskript veröffentlichen sollen.
Und wie ist der Unterhaltungswert für neue Leser?
Harry Potter: Wohl gering. Für die Geschichte ist es wichtig, die Harry-Potter-Mythologie zu kennen. Sonst ist es nur ein nettes Stück über zwei junge Zauberer (mit leichten homoerotischen Untertönen). Würde man die Aufführung im Theater sehen, wäre das vielleicht anders. Gerade die Umsetzung der Zauberei soll sehr gelungen sein.
Drachenreiter: Der neue "Drachenreiter" funktioniert vermutlich besonders gut für alle, die Funkes Qualitäten noch nicht so gut kennen und sie deshalb besonders schätzen. Neuleser mögen sich zwar zu Beginn von der Namensfülle leicht erschlagen fühlen, aber das ist vorbei, sobald die Geschichte einen packt. Und sie wird einen packen.

Ron Weasley und Harry Potter in einem fliegenden Auto
Foto: DPA/ Warner Bros.Lohnt sich der Einstieg in die Serie also noch?
Harry Potter: Der Einstieg in Harry Potter lohnt sich immer. Aber nicht mit "Das verwunschene Kind". Das sollte man auf jeden Fall als letztes lesen. Als Schmankerl am Ende, wenn man mit allen Büchern durch ist und sich das Gefühl einstellt: ein bisschen mehr könnte nicht schaden. Vielleicht nach einer kleinen Pause, etwas Abstand zum letzten Buch tut dem Stück ganz gut.
Drachenreiter: Funke geht immer. Falls man sich für die Drachenreiter-Reihe entscheidet, kann aber auch ebenso gut mit dem ersten Band einsteigen, weil hier die Figuren in all ihren schillernden Eigenschaften eingeführt werden - eine Entwicklung, wie etwa die des hochintelligenten Homunkulus Spinnenbein, der in Band eins vom Feind zum Freund wird, findet sich in der Fortsetzung nicht.
Eher was für Kinder, oder eher für Erwachsene?
Harry Potter: Für Kinder und Jugendliche lohnt es sich, weil "Das verwunschene Kind", wie alle Harry-Potter-Bände, eine coming-of-age Geschichte ist (für AfD-Wähler: ein Bildungsroman). Es geht um Freundschaft und Liebe und darum, wie wenig Eltern und Kinder sich gegenseitig verstehen. Das Stück ist kurzweilig - auch für ungeübte Leser von Dramen. Nachdem J.K. Rowling mit Harry Potter einer Generation von Kindern gezeigt hat, dass Romane lesen Spaß macht, schafft sie jetzt vielleicht dasselbe mit dem Theater. Wann bekommt die Frau endlich ein Denkmal?
Drachenreiter: Funktioniert für Groß und Klein und am besten, wenn man es sich gegenseitig vorliest. Aber am allerbesten vermutlich für Leute, die die Funke-Masche noch nicht so gut kennen.
Direkter Vergleich: Wenn ich jetzt also zur Buchhandlung gehe, was soll ich nun kaufen?
Harry Potter: Das kann nur ein Muggel fragen. Harry Potter natürlich!
Drachenreiter: Weil Funke eben vor allem ihren altbekannten Erzählcharme spielen lässt: Harry Potter vermutlich. Dem Nachwuchs zum nächsten Geburtstag aber bitte trotzdem den ersten Funke schenken!

J. K. Rowling u. a.; Klaus Fritz und Anja Hansen-Schmidt (Übersetzer):
Harry Potter und das verwunschene Kind
Teil eins und zwei (Special Rehearsal Edition Script).
Carlsen; 336 Seiten; 19,99 Euro.
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Cornelia Funke:
Drachenreiter
Die Feder eines Greifs.
Dressler; 400 Seiten; 18,99 Euro.
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