Heimat-Analyse Gefährliches Idyll

Gartenzwerg: Heimat von links besetzen?
Foto: anela/ Getty Images/iStockphotoHeimat ist in den vergangenen Jahren zu einem großen Wort geworden. Das Bundesinnenministerium firmiert unter dem Namen Heimatministerium. Autoren schreiben essayistische Rehabilitierungsversuche. Das geht von eher vorsichtigen Überlegungen zur "Heimat als Utopie" bis zu der Idee Jakob Augsteins, den "Schutz der Heimat" und die Verteidigung der "Identität gegen die Migration" als linkes Projekt zu etablieren.
Der gängige Diskurs läuft, vereinfacht, so: Heimat meint den Ort, an dem ein natürliches Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit Erfüllung findet. Oft ist er verbunden mit Bildern des Ländlichen, meist mit der Gegend, in der jemand aufgewachsen ist. Leider aber sei der Begriff seit dem Nationalsozialismus sehr ramponiert. Man müsse nun schauen, wie man ihn zivilgesellschaftlich kompatibel definiert.
Thomas Ebermann bringt in seinem neuen Buch "Linke Heimatliebe" die politisch übergreifende Affinität zur Heimat in Verbindung mit dem Rechtsruck: Ebermann schreibt gegen die Idee an, man könne den Begriff selbst besetzen, um ihn, wie es gern heißt, "nicht den Rechten zu überlassen".
Phantasma der homogenen Volksgemeinschaft

Thomas Ebermann: Die Polemik ist präzise
Foto: KVV KonkretDas, meint Ebermann, kann nur fürchterlich schiefgehen: Der Zusammenhang von Heimatverbundenheit und Ausgrenzung des Fremden sei empirisch belegbar. Zu eng verwandt sei die Vorstellung einer intakten Heimat mit dem Phantasma der homogenen Volksgemeinschaft. Etwa wenn die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung eine "linke Heimat" in Aussicht stellt, im selben Zuge über "blutleere Begriffe wie Verfassungspatriotismus" klagt und "menschliche Bedürfnisse" nach etwa "Stolz", "Ehre" und "Halt" herbeischreibt. Ebermann kommentiert dazu: "Wer eine einigermaßen moderne Demokratie 'blutleer' nennt, knüpft direkt an den antidemokratischen Blut-und-Boden-Mythos völkischer Bewegungen an."
Linke Heimatliebe: Eine Entwurzelung (Konkret Texte)
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02.06.2023 17.37 Uhr
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Die Zitate, mit denen Ebermann seine These belegen will, sind zahlreich, die Polemik ist präzise und macht Spaß. Man merkt dem Buch an, dass es ohne Vorsicht geschrieben wurde: 1980 war Ebermann Gründungsmitglied der Grünen. später verließ er sie wegen der von ihm konstatierten "Sozialdemokratisierung" der Partei. Heute schreibt er Theaterstücke und für die Zeitschrift "konkret" .
Rücksichtnahme auf Autoren, weil man es sich mit ihnen nicht verscherzen möchte, fällt weg, wenn man nicht Teil des Betriebs ist. Die Werke von Heimat-Apologeten wie Bernhard Schlink oder Edgar Reitz werden dementsprechend ohne Kompromissbereitschaft kommentiert. Und Kurt Tucholsky und Ernst Bloch stehen laut Ebermann für die Tradition, Heimat von links besetzen zu wollen. Sie alle trifft in unterschiedlicher Intensität das gleiche Verdikt: "Wer Heimat sagt, (...) macht Anleihen nicht unbedingt bei allen, aber bei den tragenden Säulen rechter Ideologie."

Thomas Ebermann 1982 in Hamburg: radikale Skepsis
Foto: Dieter Klar/ DPAZwischen einem individuellen Bedürfnis nach Heimat und ihrer politischen Instrumentalisierung will Ebermann nicht kategorisch unterscheiden. Er beschreibt die Idylle als Idealisierung. Am klarsten hat Ebermann seine radikale Skepsis in einem unterhaltsamen Interview mit der Tageszeitung "Neues Deutschland" formuliert: "Warum müssen die Menschen, wenn sie auf ihre Kindheit und Jugend zurückblicken, so gnadenlos fälschen? Warum haben sie vergessen, wie es früher in der Schule war? Die geprügelten Gleichaltrigen, die sie gekannt haben? Oder die unerträgliche Langeweile am Sonntagnachmittagstisch im Familienkreis? Oder den Hass auf die Außenseiter, die sogenannten Querulanten?"
Aber was ist mit dem Glück der Kindheit?
Man möchte einwenden: Das fragile Glück der Kindheit, das in der Erinnerung etwa mit bestimmten Orten, Menschen oder Gerüchen verbunden sein kann, das gibt es ja trotzdem. Der Schriftsteller Jean Améry wird in "Linke Heimatliebe" mit seinem Merksatz "Links ist da, wo keine Heimat ist" zitiert. Dessen Reflexionen zur Frage "Wie viel Heimat braucht der Mensch?" spart Ebermann hingegen explizit aus - "weil ich über diese noch einige Zeit brüten möchte".
Das ist schade, und da macht Ebermann es sich dann ausnahmsweise leicht. Man hätte mit Améry eine Perspektive auf den Verlust von so etwas wie Heimat jenseits von Tümelei diskutieren können. Geschrieben aus der Perspektive eines Exilanten, dem die Deutschen gezeigt haben, dass ihre Heimat niemals seine sein würde.
Ein Gedanke bleibt einem vor allem im Kopf nach der Lektüre dieses klärenden, wütenden Buchs: Das gute Leben hängt nicht davon ab, wie vertraut, überschaubar und irritationsfrei meine Umgebung ist. Thorsten Mense schreibt im Vorwort des Buchs: "Nicht dafür einzutreten, dass alle eine Heimat haben, sondern dass sie niemand mehr braucht, weil die Verhältnisse vernünftig eingerichtet sind." Heimat als identitäre Fiktion, die möglichst wenig Fremdes um mich herum vorsieht, ist dagegen dann vor allem immer: schlimmer Beschiss.