Im Überschwang schreibt ein Investmentbanker ein radikales Manifest. Vermögen verstaatlichen, unternehmerisch regieren: Das ist mehrheitsfähig in Alexander Schimmelbuschs brillantem Roman "Hochdeutschland".
Wenn Investmentbanken für Unternehmen analysieren, wie die Nutzen und Risiken einer Fusion oder eines Zukaufs einzuschätzen wäre, ist dies "fundamental unseriös". Davon ist Alexander Schimmelbusch überzeugt, einst Investmentbanker in London, heute Schriftsteller und Autor eines Romans, dessen Hauptfigur Victor das auch so sieht.
Doch Victor hat es im Verfassen solcher Bewertungsanalysen zu einer gewissen Meisterschaft gebracht, auch deshalb ist er zum Partner einer Frankfurter Privatbank aufgestiegen (wobei er im Allgemeinen nicht daran glaubt, dass man im Leben bekommt, was man verdient). Der Pitch um neue Kunden ist für ihn vor allen Dingen eine rhetorische Herausforderung; natürlich sieht Victor auch schriftstellerische Talente in sich schlummern - doch sein Roman-Exposé "über einen U-Boot-Kommandanten und eine seelisch erloschene Prostituierte" wird vom Verlag abgelehnt.
Was also kann er tun in diesem so hässlichen wie teuren Berliner Hotelzimmer, nach dem erfolgreichen Termin beim Bundesfinanzminister ("Er habe den Pitch überflogen, die Transaktion mache eminent Sinn, Victor möge ihm eine Honorarvereinbarung zuschicken") und dem ebenfalls erfolgreichen im Hotel-Spa ("Valeszka hatte ihm per SMS vorgeschlagen, an diesem Tage auch eine französische Komponente in seine Massage zu integrieren")?
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Nun, Victor schreibt wieder einen Pitch, der sich aber diesmal "nicht an einen Funktionsträger, sondern direkt an den Souverän" richtet: Ein Manifest, ein radikales Projekt, "um das deutsche Volk zu einen".
Einfach so, weil er's kann. Weil ihn deprimiert hat, die Mehrheitsbevölkerung zu sehen, mit ihrer "kollektiven Angststörung". Und weil er dem Finanzministerium sowieso gerade den Rückkauf des Pumpspeicherwerks am Schluchsee im Schwarzwald vorgeschlagen hat, dessen Verkauf an einen US-Fonds er vorher selbst begleitet hatte.
Zukunftsweisendes Manifest mit nostalgischem Kern
Aber das wäre nur der Auftakt zu einem umfassenden Verstaatlichungsprogramm. Zudem würde er eine Vermögensobergrenze von 25 Millionen Euro pro Bürger einführen. Alles darüber würde zum Kapital der weltgrößten staatlichen Fondsgesellschaft, der "German Investment Authority (GINA)", mit der Deutschland wieder mit China oder den arabischen Herrscherfamilien konkurrieren könne. Die Bewegung, die das herbeiführen soll, tauft Victor "Deutschland AG" - denn letztlich steckt hinter diesem radikalen Bruch eine Sehnsucht nach den Verhältnissen der alten Bundesrepublik.
Diese gewisse Nostalgie hat das fiktive Manifest also durchaus gemein mit den Vorstellungen mancher realer Populisten. Es steht im Mittelpunkt von "Hochdeutschland", dem vierten Roman des 1975 geborenen Autoren, Sohn des einstigen Vorstandsvorsitzender der Metallgesellschaft AG, Heinz Schimmelbusch. Den Bezug zu AfD & Co stellte Alexander Schimmelbusch bei der Vorstellung seines Buches im Rahmen der Leipziger Buchmesse selbst her. Er habe sich aber einen Populismus vorstellen wollen, der für größere Teile der Bevölkerung attraktiv sein könne.
Alexander Schimmelbusch
Foto: Annette Hauschild/ Ostkreuz
"Hochdeutschland" ist ein brillanter Roman, der von einer tatsächlich bedenkenswerten Fragestellung ausgeht: Warum die Finanzkrise nicht dazu geführt hat, dass die Einkommensverteilung weithin in Frage gestellt wurde. Zugleich aber denkt er die Wirkung sich daraus ergebender Ideen durchaus zu Ende. Es ist Literatur, die zur Gegenwart etwas sagen will, aber diese Gegenwart nicht einfach nachstellt.
Schimmelbuschs Vorhaben gelingt vor allem deshalb, weil er in der ersten Hälfte von "Hochdeutschland" seine Hauptfigur Victor so furios einführt - mit Tempo, aber auch mit kunstvollen Abschweifungen: Großartig böse etwa sein untypischer Heißhunger-Abstecher in eine Vapiano-Filiale mit Seitenhieben auf die Heroinfixierung der BRD, menschenverachtende Arbeitsbedingungen und das Corporate Design der Restaurantkette, an dessen Ende "die Vapiano-Carbonara wie ein marktradikaler Pflasterstein in seinem Magen" liegt. Der Autor sorgte zuletzt für Aufsehen mit der "Murau Identität", einem Roman, in dem er den österreichischen Erregungskünstler Thomas Bernhard noch lange nach dessen Tod 1989 weiterleben ließ - auch der verstand sich aufs Abschweifen.
Ein Zyniker, der sich nicht zynisch vorkommt
Victor steht da als ein in allen distinguierenden Details beschriebener Unsympath und mit seinem berechnenden Wesen in der Tradition der Oberklassensnobs aus den Romanen von Bret Easton Ellis und der Finanzweltrasenden aus Wall-Street-Filmen. Und ähnlich wie dort wird er mit viel Humor beschrieben, mit Übertreibungen, Aufzählungen, so wissend wie desavouierend.
Schimmelbusch wuchs in New York auf, arbeitete im Londoner Bankenzentrum, er kennt diese Welt, diese Leute. Doch sein Victor lebt im Taunus, in der einen Richtung blickt er zwar herunter zu den Bankentürmen Frankfurts, doch auf der anderen Seite ist da auch der Wald, der sehr, sehr deutsche Wald, wie er auf dem Covermotiv von Caspar David Friedrich zu sehen ist.
Königstein im Taunus
Foto: Jchambers/ Getty Images/iStockphoto
Er steht für diesen romantischen Rest in Victor. Der Rest, der beim Lesen die Identifikation erlaubt mit dieser Figur, der ihr Zynismus nicht etwa zynisch vorkommt, sondern folgerichtig. So folgerichtig, wie es Victor vorkommt, ein Manifest zu schreiben, um Deutschland zu einen - obwohl daraus doch eine Sorge spricht, die man ihm nicht zugetraut hätte.