Hörspiel von Henning Mankell Szenen einer Ehe

Es ist kein Krimi, nicht einmal ein Roman – und doch ist es ein echter Mankell: das Hörspiel "Begegnung am Nachmittag". Der Bestseller-Autor Henning Mankell hat einen abgründigen Ehedialog geschrieben, in dessen Rollen nun ausgerechnet ein prominentes Ehepaar brilliert.

Der Name Mankell gilt vielen als Synonym für Mordsgeschichten: für schwermütige Schwedenkrimis mit dem stets verknitterten, kauzigen Kultkommissar Kurt Wallander. Die Figur des Eigenbrötlers mit gescheiterter Ehe, der an sich und der Welt leidet, hat Henning Mankell bekannt und berühmt gemacht. Weltweit hat der 60-Jährige etwa 30 Millionen Bücher verkauft, darunter auch Afrika-Romane und Erzählungen für Kinder. Sogar einige sozial motivierte Theaterstücke hat er geschrieben, unter anderem für sein eigenes Theater in Mosambik.

Das aber wissen nicht einmal alle Fans, denn eine Marke ist der Name Mankell nun einmal nur, wenn es um Krimis geht - dann aber eine richtig große: So war es jüngst etlichen Medien einen Bericht wert, dass Mankell die Vorlagen geschrieben hat zu zwei Kieler Tatort-Folgen, auch wenn diese erst vom kommenden Jahr an gedreht und voraussichtlich erst 2010 gesendet werden sollen. Den Kontakt hergestellt hatte der Tatort-Hauptdarsteller Axel Milberg, der viele Mankell-Romane als Hörbücher gelesen hat, darunter "Der Chinese". Die Vertonung erhielt Anfang November den Internationalen Buchpreis Corine. Bei der Verleihung in München orakelte der Bestseller-Autor Mankell, dass Hörbücher künftig vielfach das Lesebuch ersetzen würden: "Ich bin überzeugt davon, dass ein großer Teil der Zukunft des Buchmarktes darin liegen wird, dass Menschen Bücher hören."

Vielleicht auch deshalb hat Mankell "Begegnung am Nachmittag" geschrieben: ein Original-Hörspiel, also keine Adaption eines Romans oder Theaterstücks. Vor wenigen Tagen ist die Co-Produktion von Deutschlandradio Kultur, Radio Bremen und Saarländischem Rundfunk im Hörverlag auf CD erschienen. Hinter der betont beiläufigen Betitelung verbirgt sich ein abgründiger Dialog über die Auf und Abs einer Ehe, übersetzt und inszeniert von Rainer Clute.

Der Beziehungskrach hat ja, flapsig formuliert, eine gewisse Tradition in Schweden, zumindest bei seinen Künstlern: Da ist das Urdrama aller Ehedramen, August Strindbergs "Totentanz", und natürlich der Film "Szenen einer Ehe" von Ingmar Bergman, mit dessen Tochter das Scheidungskind Mankell verheiratet ist - in dritter Ehe.

"Begegnung am Nachmittag" ist ein Psychogramm wie seine großen Vorbilder, aber deutlich harmloser, weil versöhnlicher: Seit 60 Jahren ist das Paar verheiratet, aber seit 23 Jahren lebt es getrennt. Oder seit 24, da fängt der Zwist schon an, als die beiden sich wiedertreffen. Der Anlass: Die Frau will sich, nach all den Jahren ohne ihn, nun auch offiziell scheiden lassen. Weil sie ihn nicht in der Nähe haben will, wenn sie stirbt. Weil sie nicht sterben will, bevor sie mit ihm fertig ist. Das jedenfalls, und zwar genauso, sagt sie ihm, "in aller Freundschaft".

Er will die Scheidung nicht, und so streiten die beiden Alten, aber immer mit angezogener Handbremse: Man will den anderen verletzten, durchaus böse, aber man will ihn nicht vernichten. Und vielleicht fehlt einem dafür auch die Kraft, angesichts der Einsamkeit des nahenden Todes. Die Stimmungen wechseln jäh: Nur Augenblicke vergehen zwischen der Beichte eines Ehebruchs und der Erinnerung an den Heiratsantrag.

Das Seniorenpaar redet miteinander, zum ersten Mal seit Jahren - über die Namen ihrer Pillen, über Probleme beim Pinkeln - und über die gemeinsamen Töchter: das beste, das ihnen je passiert ist. Ihr Dialog steckt voller Verletztheiten, aber auch voller Vertrautheit und, ja noch immer, Verliebtheit. Herrlich in Szene gesetzt wird dies von den Sprechern Nadja Tiller ("Das Mädchen Rosemarie") und Walter Giller, die in den Fünfzigern und Sechzigern das Traumpaar des deutschsprachigen Films waren. Inzwischen sind sie seit 52 Jahren miteinander verheiratet - und eben diese Erfahrung meint man in vielen Sätzen zu hören.

Zum Schluss des Hörspiels bettelt er, sie möge doch da bleiben, bis er eingeschlafen sei und dann wieder aufgewacht. Sie verspricht es und erzählt eine Geschichte aus früheren Tagen, bis er endlich schlummert, friedlich und hilflos. "Ich könnte dich jetzt einfach küssen", sagt sie. "Oder erwürgen." Sie wird warten - bis er wach ist. Sie hat es versprochen.

Mankell ist kein Strindberg und kein Bergman, aber immerhin ist ihm mit "Begegnung am Nachmittag" eine Mordsgeschichte geglückt, dieses Mal ganz ohne Tote.


Henning Mankell, Begegnung am Nachmittag : Originalhörspiel, der Hörverlag, 1 CD, 66 Minuten Laufzeit, 14,95 Euro

Am 26. November ist das Hörspiel um 21.33 Uhr bei Deutschlandradio Kultur zu hören

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