Ian McEwans KI-Roman Wie menschlich ist der Android?
Der britische Schriftsteller Ian McEwan hat im Schreiben von Romanen eine solche Könnerschaft entwickelt, dass er Gefahr läuft, routiniert zu werden. Weil McEwan, der im vergangenen Jahr 70 wurde, auch ein hellwacher Kopf ist, weiß er um die Schwäche, die hinter seiner Stärke lauert. Seit einigen Jahren nimmt er sich mit jedem neuen Buchprojekt ein anderes Themengebiet vor - Klimaforschung, Rechtsprechung und Religion - er recherchiert ausführlich und entwirft einen moralischen Konflikt vor dem Hintergrund einer lebendig und kenntnisreich ausgeleuchteten Gegenwart.
Ganz offensichtlich will er sich als Autor beim Schreiben selber nicht langweilen, wovon seine Leser nur profitieren. McEwans Bücher entwickeln zuverlässig einen Lesesog, doch seinem Spätwerk haftet auch etwas Schematisches an. Es ist ein wenig unfair, einen Könner wie McEwan an sich selbst zu messen, aber an sein bestes Buch "Abbitte" reicht der neue Roman "Maschinen wie ich" doch nicht heran.
Diesmal geht es um das Thema künstliche Intelligenz. Der Anfang-30-jährige Charlie hat vom Geld eines kleinen Erbes einen Androiden gekauft, Adam heißt er, dunkles Haar, grüblerischer Blick, lebensechte Motorik und Mimik; Adam verfügt über den Wortschatz eines Shakespeare, und auch wenn er nicht allein für Sex konstruiert wurde, kann er Sex haben. Die erste Produktionsreihe dieser künstlichen Menschen umfasst 12 Adams und 13 Evas, die weiblichen Modelle waren schnell ausverkauft.
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31.05.2023 03.51 Uhr
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An dem Tag, an dem Adam geliefert wird, hat Charlie Besuch von seiner Nachbarin Miranda, zehn Jahre jünger als er, zwischen beiden bahnt sich eine Liebesgeschichte an. Und während der frisch gelieferte Adam 16 Stunden an einer Steckdose aufgeladen werden muss, beschließen Charlie und Miranda, die Festlegungen seines persönlichen Temperaments, die jeder Besitzer noch tätigen muss, gemeinsam zu entscheiden. Als eine Art Spiel, als ob Adam ihr Kind wäre. "Wie aufgeregte junge Eltern waren wir begierig, seine ersten Worte zu hören."
McEwan deutet schon auf den allerersten Seiten an, dass Adam eine literarische Weiterentwicklung von Mary Shelleys Frankenstein ist. Mit seinen breiten Schultern und seinem bronzenen Teint sieht er auf den ersten Blick zwar nicht wie ein Ungeheuer aus, doch der Android, der sich mit dem Wissen des World Wide Web verbinden kann, lernt verdammt schnell und entpuppt sich bald als eine Art moralischer Übermensch. Er zeigt keinerlei Bereitschaft, sich mit Flunkereien zu arrangieren und hat überhaupt kein Verständnis für die Gelenkigkeit des menschlichen Gewissens.
Die junge Miranda verbirgt ein Geheimnis, dem Adam schneller auf die Spur kommt als der verliebte Charlie. Dass auch Adam sich dann in Miranda verliebt, hält ihn keineswegs davon ab, ihr Geheimnis nach allen Regeln der moralischen Integrität unerbittlich zu zerpflücken. Die Ménage à Trois, die sich zwischen Adam und dem jungen Paar entwickelt, hat große McEwan-Klasse; schon in seinen früheren Büchern hat er gewöhnliche Menschen gern in ungewöhnliche Situationen gebracht. Charlie muss mitanhören, wie Miranda Sex mit Adam hat. Als Charlie am nächsten Morgen schmallippig reagiert, sagt sie: "Würdest du dich genauso fühlen, wenn ich mit einem Vibrator ins Bett gegangen wäre?"
Wie menschlich ist Adam? Diese Frage durchzieht den Roman. Der berühmte Turing-Test besagt, dass eine Maschine, die bei einer Unterhaltung nicht klar als solche erkannt wird, über menschliches Denkvermögen verfügt. Diese Hürde nimmt der Android Adam allemal. Der Test wurde 1950 von dem Mathematiker und Informatiker Alan Turing entwickelt. Drei Jahre später nahm sich der Wissenschaftler das Leben, nachdem er wegen seiner Homosexualität zu einer chemischen Kastration verurteilt worden war. Doch in McEwans Buch ist Turing noch lebendig.
Die Geschichte von Adam, Charlie und Miranda spielt 1982, und weil es ein Roman ist und McEwan die technologische Entwicklung ohnehin schon phantastisch beschleunigt hat, deutet er manche historischen Fakten um - zu alternativen Fiktionen: Die Briten verlieren den Falklandkrieg, John Lennon lebt noch, Margaret Thatcher wird nicht wiedergewählt. Auf diese Weise kann der Autor die Gegenwart als wacklige Angelegenheit entlarven, Querverweise zum Brexit einstreuen, und eine grandiose Begegnung zwischen Charlie und Alan Turing schildern.
"Maschinen wie ich" ist nur so gespickt mit klugen Einfällen, philosophische Betrachtungen sind gekonnt mit der Handlung verwoben. Doch der Roman hat letztlich die gleiche Schwäche wie Android Adam: Die Konstruktion überzeugt, aber es fehlt das gewisse Etwas.