Trotz "Imperium"-Debatte Christian Kracht erhält Wilhelm-Raabe-Preis

Hoch dotierte Ehre für einen Außenseiter des Literaturbetriebs: Der Schriftsteller Christian Kracht erhält für seinen Roman "Imperium" den Wilhelm-Raabe-Preis. Die Jury würdigt damit die Geschichte eines Weltverbesserers aus der Kaiserzeit.
Schriftsteller Christian Kracht: "Farbig schillernd, böse komisch"

Schriftsteller Christian Kracht: "Farbig schillernd, böse komisch"

Foto: DDP

Hamburg/Braunschweig - Sein Roman "Imperium" ist ein bitteres Gleichnis dafür, wie der deutsche Idealismus des frühen 20. Jahrhunderts umschlägt ins Herrenmenschentum: Im Verlauf des Buchs wandelt sich die Hauptfigur August Engelhardt auf einer Südseeinsel vom Kokosnussapostel zum Menschenfresser und Antisemiten. Dazu kommen prügelnde Gendarmen daheim im Reich, grausame Willkürjustiz in den Kolonien.

Jetzt erhält der Schriftsteller Christian Kracht für "Imperium" den Wilhelm-Raabe-Preis. Die Auszeichnung wird von der Stadt Braunschweig und vom Deutschlandfunk verliehen.

In der Jury-Begründung hieß es, die Geschichte der deutschen Kolonien zu Kaiserzeiten sei noch nie "so farbig schillernd, so böse komisch" und "so pathologisch weltbeglückend" wie von Kracht erzählt worden.

Kracht, Jahrgang 1966, gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren der jüngeren Gegenwart. Bekannt wurde er 1995 mit seinem Debüt "Faserland". Wie kaum ein anderer deutschsprachiger Autor beherrscht Kracht das, was man auf Englisch "Tongue in Cheek" nennt: Das ironische, anspielungsreiche, mitunter uneindeutige Schreiben. Ergebnis von Krachts Auseinandersetzung mit englischsprachigen Vorbildern und mit der Popkultur und ihrem vieldeutigen Spiel mit Zeichen und Verweisen. Und wohl auch Folge der Tatsache, dass Kracht einen Großteil seines schriftstellerischen Lebens auf anderen Kontinenten verbracht hat, weit weg vom deutschen Literaturbetrieb mit seinen Sprachregelungen und wohl geordneten Codes.

Seine kühle Zurückhaltung, seine nicht für jedermann ergründlichen Scherze aus der Abseite der Kulturgeschichte, seine Koketterie mit der Herkunft aus einer reichen Familie (sein Vater war Generalbevollmächtigter bei Axel Springer) machten Kracht zum Außenseiter - und damit verdächtig: Im Frühjahr 2012 entzündete sich, ausgelöst von einem Text im SPIEGEL, gar eine Kontroverse um die politische Einordnung des Autors.

Immer wieder kokettierte Kracht damit, noch nie einen wichtigen Literaturpreis erhalten zu haben. Das dürfte ihm nun deutlich schwerer fallen: Der Raabe-Preis ist mit 30.000 Euro Preisgeld eine der höchstdotierten deutschen Literaturauszeichnungen; geehrt wurden zuletzt unter anderem die Schriftsteller Rainald Goetz, Katja Lange-Müller und Sibylle Lewitscharoff. Überreicht werden soll der Raabe-Preis am Donnerstag, 4. November in Braunschweig.

Die Auszeichnung erinnert an den Schriftsteller Wilhelm Raabe (1831-1910). In "Imperium" persifliert Kracht auch die literarische Sprache des Kaiserreichs - und erweist sich auch dadurch als würdiger Raabe-Preisträger: Schreibt er, besonders zu Beginn des Buchs, doch fast so verzopft wie der Namenspatron.

sha/dpa
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