

Seine Bücher verkauft der Besitzer nur, wenn er das Gefühl hat, es sei gut bei jemandem aufgehoben. Michael Seidenberg hat eine gewöhnliche Wohnung zu einer Buchhandlung umgestaltet, in der er gebrauchte Bücher anbietet - vor allem aber will er dort Menschen zusammenbringen, sich mit ihnen über die gemeinsame Leidenschaft austauschen.
In einem Korbstuhl inmitten eines mit Büchern vollgestopften Zimmers thront Seidenberg, grauer Vollbart, Pfeife im Mund. Er ist einer von 50 unabhängigen Buchhändlern, die Autor Philippe Ungar und Fotograf Franck Bohbot für ihr Fotoprojekt "We are NY Indie Booksellers" besucht haben.
Ungar und Bohbot stammen beide aus Frankreich, leben mittlerweile aber in New York City, wo sie sich auch kennengelernt haben. Bereits bei vorherigen Projekten arbeiteten sie zusammen: Ungar interviewt, Bohbot macht Fotos. Die beiden teilen auch eine Leidenschaft für Bücher: "Wir sind beide begeisterte Leser und wollten die Stadt durch die Buchhandlungen entdecken", sagt Ungar.
Bohbots Fotos zeigt die Buchhändler meist allein, manchmal mit ihren Mitbesitzern, inmitten ihrer Buchhandlung. Manche haben sich auf Reisen, andere auf Kinder, Gender, afroamerikanische Literatur oder Kochen spezialisiert. Die einen verkaufen neue, manche alte Bücher oder Sammlerstücke. Genauso unterschiedlich sind die Räumlichkeiten: von einem Container in Bushwick bis zu einem repräsentativen Gebäude mitten in Manhattan.
"Ich wollte, dass diese Serie so bunt ist wie die Buchhandlungen selbst. Sie sind wie kleine Museen ihrer eigenen Nachbarschaft", sagt Bohbot. Auch für Ungar spiegeln Geschäfte die Kunden und das Viertel wider - und ergeben gemeinsam ein Porträt von New York City.
An kaum einem Ort findet man laut dem Autor Buchhandlungen in dieser Vielfalt und Individualität. Doch große Ladenketten, Onlineshopping und E-Books ebenso wie steigende Mieten in der Stadt führten in den vergangenen Jahren zu zahlreichen Schließungen. Durch ihre Arbeit hoffen Fotograf und Autor, einen Beitrag zu ihrem Erhalt zu leisten und Menschen daran zu erinnern, was sie verlieren könnten.
Als sich in der Buchhandlung "Bluestockings" jemand ein Buch nicht leisten konnte, sagte die Mitarbeiterin Corey Farach: "Das ist völlig verständlich, bitte nehmen Sie einfach Platz und lesen Sie es hier." Für Ungar macht das den wahren Geist der Indie-Buchhändler aus: "Es geht ihnen um mehr als um den Verkauf von Büchern. Sie schaffen einen Ort, an dem man eine Gemeinschaft entdecken kann. Bücher sind Brücken zwischen Menschen und Generationen."
Trotz ihrer Verschiedenheit teilen die Buchhändler die gemeinsame Mission, Literatur zu den Menschen zu bringen und den Austausch darüber zu fördern. "Es ist ein harter Job", sagt Ungar, "aber sie tun es gern."
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
"Menschen, die viel Zeit in Buchhandlungen verbringen, können sehr exzentrisch und obsessiv sein. Aber nur sehr wenige von ihnen machen mich wirklich wütend", sagt Wayne Conti. Der 86-Jährige verkauft in seinem Buchladen "Mercer Books" in Greenwich Village seit rund zwei Jahrzehnten gebrauchte Bücher. Der Fotograf Franck Bohbot und der Autor Philippe Ungar haben ihn sowie Dutzende weitere Indie-Buchhändler in New York City besucht.
Community Bookstore, seit 1971, Washington Heights
Da viele Menschen Anfang der Siebzigerjahre aus dem Stadtviertel Park Slope wegzogen, versuchte die Gründerin dieser Buchhandlung, dem entgegenzuwirken - und wählte deshalb auch den Namen "Community Bookstore" - Gemeinschaftsbuchhandlung - aus. "Im Laufe der Jahre kamen immer mehr jüngere Menschen hierher. Wir kennen mindestens die Hälfte unserer Kunden beim Namen", sagt die heutige Besitzerin Ezra Goldstein.
Freebird Books + Good, seit 2004, Red Hook
Als Peter Miller die Buchhandlung übernahm, wusste er schon, dass das sein Wochenendjob werden sollte - unter der Woche arbeitet er als Verleger. "Wenn ich in der Buchhandlung bin, fühle ich mich, als ob mich die Freundlichkeit der Leute wieder auflädt. Ich beginne dann meine Arbeitswoche am Montagmorgen und fühle mich erfrischt", sagt Miller.
Brazenhead Bücher, seit 2008, Manhattan
Der Besitzer Michael Seidenberg hat eine Wohnung zu einer Buchhandlung umgebaut.
"Ich bin nicht hier, um Leuten etwas beizubringen. Sie können mir Fragen stellen, aber ich beantworte sie nur mit ihnen gemeinsam und suche passende Bücher für sie", sagt er. Seine Bücher will Seidenberg nicht an irgendjemanden verkaufen, er muss das Gefühl haben, dass es bei dem jeweiligen gut aufgehoben ist.
Molasses Books, seit 2012, Bushwick
"Der Grund, warum es weiterhin Buchläden gibt, liegt darin, dass Menschen in einem echten physischen Raum sein und Erfahrungen aus dem wirklichen Leben machen wollen", sagt der Besitzer Matthew Winn. Er bietet neben gebrauchten Büchern auch Kaffee und Tee an. "Es ist nicht nur eine zusätzliche Einnahmequelle, sondern kann auch die Dynamik einer Buchhandlung verändern."
Stories Bookshop + Storytelling Lab, seit 2016, Park Slope
In der Buchhandlung von Maggie Pouncey und Matt Miller kann man nicht nur Kinderbücher kaufen, die beiden bieten auch Kurse für Kinder unterschiedlichen Alters an.
"Damit schließen wir eine wichtige Lücke. Wir wollen für Kinder einen Ort schaffen, der Bücher in ihr Leben bringt", sagt Pouncey.
Sister's Uptown Bookstore and Cultural Center Inc., seit 1996, Harlem
Diese Buchhandlung hat sich auf afroamerikanische Kultur spezialisiert und wird von Kory und Janifer Wilson betrieben - Mutter und Tochter. Der Name "Sister's" spielt nicht auf Blutsverwandtschaft an - es geht um Gleichgesinnte. "Wir wollen ein familiäres Gefühl schaffen. Wenn jemand zu uns kommt, wird er wie ein Familienmitglied und nicht nur wie ein Kunde behandelt."
Honey + Wax Booksellers, seit 2016, Gowanus
Heather O'Donnell arbeitete als Professorin für Englisch, bevor sie die Buchhandlung für seltene Sammlerstücke übernahm. "Buchverkauf ist wie Unterricht. Es geht darum herauszufinden, was Menschen interessiert, was in ihrer Sammlung fehlt - und diese dann zu vervollständigen."
Book Row, seit 2014, Bushwick
David Morse und sein Partner Matty D'Angelo verkaufen gebrauchte Bücher aus einem Schiffscontainer heraus, bald werden sie einen zweiten eröffnen. "Wir sind dankbar, dass wir eine ungewöhnliche Buchhandlung haben. Es weckt die Neugierde der Menschen und versetzt sie in eine besondere Stimmung", sagt Morse.
Bluestockings, seit 1999, Lower East Side
"Dies ist ein Ort, an dem Menschen subversive Literatur suchen, die anderswo vielleicht schwer zu finden ist", sagt der Ehrenamtliche Corey Farach. Die Buchhandlung "Bluestockings" hat sich auf LGBT-Literatur spezialisiert und wird auch als Treffpunkt der Szene genutzt. "Wir wollen ein integrativer Raum sein, in dem sich Menschen sicher fühlen."
Bonnie Slotnick Cookbooks, seit 1997, East Village
Neue, gebrauchte und seltene Kochbücher findet man in der Buchhandlung von Bonnie Slotnick. "Den Menschen zu helfen, etwas zu finden, das ihnen gefällt, bereitet mir Freude. Ich tue nichts Lebensnotwendiges, aber sicherlich ist dies ein Ort, der Menschen glücklich machen kann."
Argosy Book Store - Old and Rare Books, seit 1925, Upper East Side
"Argosy" ist die älteste Buchhandlung in New York City. Der Vater von Adina Cohen, Naomi Hample, Judith Lowry und Benjamin Lowry liebte Bücher und kaufte den Laden. "Wir könnten nie im Geschäft bleiben, wenn unser Vater das Gebäude nicht sofort erworben hätte", sagen die Kinder, die gemeinsam hier arbeiten. Im Laufe der Jahre habe sich der Laden nur wenig verändert - er bleibt eine Oase der Ruhe.